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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Wilhelm I. unter dem Einflusse seiner Gemalin.
nicht ganz geschlossenen Thüre stehenden Stuhle und trug Sorge,
durch Bewegungen mich erkennen zu lassen, daß sie Alles hörte.
Ich ließ mich durch diesen, nicht den ersten, Einschüchterungsversuch
nicht abhalten, meinen Vortrag zu erstatten. An dem Abende desselben
Tages war ich in einer Gesellschaft im Palais. Ihre Majestät
redete mich in einer Weise an, die mich vermuthen ließ, daß der
Kaiser meine Beschwerde ihr gegenüber vertreten hatte. Die Unter¬
haltung nahm die Wendung, daß ich die Kaiserin bat, die schon
bedenkliche Gesundheit ihres Gemals zu schonen und ihn nicht zwie¬
spältigen politischen Einwirkungen auszusetzen. Diese nach höfischen
Traditionen unerwartete Andeutung hatte einen merkwürdigen Effect.
Ich habe die Kaiserin Augusta in dem letzten Jahrzehnt ihres Lebens
nie so schön gesehn wie in diesem Augenblicke; ihre Haltung richtete
sich auf, ihr Auge belebte sich zu einem Feuer, wie ich es weder
vorher noch nachher erlebt habe. Sie brach ab, ließ mich stehn
und hat, wie ich von einem befreundeten Hofmanne erfuhr, gesagt:
"Unser allergnädigster Reichskanzler ist heut sehr ungnädig."

Ich hatte durch langjährige Gewohnheit allmälig ziemliche
Sicherheit in Beurtheilung der Frage gewonnen, ob der Kaiser
Anträgen, die mir logisch geboten erschienen, aus eigner Ueber¬
zeugung oder im Interesse des Hausfriedens widerstand. War
erstres der Fall, so konnte ich in der Regel auf Verständigung
rechnen, wenn ich die Zeit abwartete, wo der klare Verstand des
Herrn sich die Sache assimilirt hatte. Oder er berief sich auf das
Minister-Conseil. In solchen Fällen blieb die Discussion zwischen
mir und Sr. Majestät immer sachlich. Anders war es, wenn
die Ursache des königlichen Widerstrebens gegen ministerielle Mei¬
nungen in vorhergegangenen Erörterungen der Frage lag, die
Ihre Majestät beim Frühstück hervorgerufen und bis zu scharfer
Aussprache der Zustimmung durchgeführt hatte. Wenn der König
in solchen Momenten, beeinflußt durch ad hoc geschriebene Briefe
und Zeitungsartikel, zu raschen Aeußerungen im Sinne antimini¬
sterieller Politik gebracht war, so pflegte Ihre Majestät den

Wilhelm I. unter dem Einfluſſe ſeiner Gemalin.
nicht ganz geſchloſſenen Thüre ſtehenden Stuhle und trug Sorge,
durch Bewegungen mich erkennen zu laſſen, daß ſie Alles hörte.
Ich ließ mich durch dieſen, nicht den erſten, Einſchüchterungsverſuch
nicht abhalten, meinen Vortrag zu erſtatten. An dem Abende deſſelben
Tages war ich in einer Geſellſchaft im Palais. Ihre Majeſtät
redete mich in einer Weiſe an, die mich vermuthen ließ, daß der
Kaiſer meine Beſchwerde ihr gegenüber vertreten hatte. Die Unter¬
haltung nahm die Wendung, daß ich die Kaiſerin bat, die ſchon
bedenkliche Geſundheit ihres Gemals zu ſchonen und ihn nicht zwie¬
ſpältigen politiſchen Einwirkungen auszuſetzen. Dieſe nach höfiſchen
Traditionen unerwartete Andeutung hatte einen merkwürdigen Effect.
Ich habe die Kaiſerin Auguſta in dem letzten Jahrzehnt ihres Lebens
nie ſo ſchön geſehn wie in dieſem Augenblicke; ihre Haltung richtete
ſich auf, ihr Auge belebte ſich zu einem Feuer, wie ich es weder
vorher noch nachher erlebt habe. Sie brach ab, ließ mich ſtehn
und hat, wie ich von einem befreundeten Hofmanne erfuhr, geſagt:
„Unſer allergnädigſter Reichskanzler iſt heut ſehr ungnädig.“

Ich hatte durch langjährige Gewohnheit allmälig ziemliche
Sicherheit in Beurtheilung der Frage gewonnen, ob der Kaiſer
Anträgen, die mir logiſch geboten erſchienen, aus eigner Ueber¬
zeugung oder im Intereſſe des Hausfriedens widerſtand. War
erſtres der Fall, ſo konnte ich in der Regel auf Verſtändigung
rechnen, wenn ich die Zeit abwartete, wo der klare Verſtand des
Herrn ſich die Sache aſſimilirt hatte. Oder er berief ſich auf das
Miniſter-Conſeil. In ſolchen Fällen blieb die Diſcuſſion zwiſchen
mir und Sr. Majeſtät immer ſachlich. Anders war es, wenn
die Urſache des königlichen Widerſtrebens gegen miniſterielle Mei¬
nungen in vorhergegangenen Erörterungen der Frage lag, die
Ihre Majeſtät beim Frühſtück hervorgerufen und bis zu ſcharfer
Ausſprache der Zuſtimmung durchgeführt hatte. Wenn der König
in ſolchen Momenten, beeinflußt durch ad hoc geſchriebene Briefe
und Zeitungsartikel, zu raſchen Aeußerungen im Sinne antimini¬
ſterieller Politik gebracht war, ſo pflegte Ihre Majeſtät den

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[285/0309] Wilhelm I. unter dem Einfluſſe ſeiner Gemalin. nicht ganz geſchloſſenen Thüre ſtehenden Stuhle und trug Sorge, durch Bewegungen mich erkennen zu laſſen, daß ſie Alles hörte. Ich ließ mich durch dieſen, nicht den erſten, Einſchüchterungsverſuch nicht abhalten, meinen Vortrag zu erſtatten. An dem Abende deſſelben Tages war ich in einer Geſellſchaft im Palais. Ihre Majeſtät redete mich in einer Weiſe an, die mich vermuthen ließ, daß der Kaiſer meine Beſchwerde ihr gegenüber vertreten hatte. Die Unter¬ haltung nahm die Wendung, daß ich die Kaiſerin bat, die ſchon bedenkliche Geſundheit ihres Gemals zu ſchonen und ihn nicht zwie¬ ſpältigen politiſchen Einwirkungen auszuſetzen. Dieſe nach höfiſchen Traditionen unerwartete Andeutung hatte einen merkwürdigen Effect. Ich habe die Kaiſerin Auguſta in dem letzten Jahrzehnt ihres Lebens nie ſo ſchön geſehn wie in dieſem Augenblicke; ihre Haltung richtete ſich auf, ihr Auge belebte ſich zu einem Feuer, wie ich es weder vorher noch nachher erlebt habe. Sie brach ab, ließ mich ſtehn und hat, wie ich von einem befreundeten Hofmanne erfuhr, geſagt: „Unſer allergnädigſter Reichskanzler iſt heut ſehr ungnädig.“ Ich hatte durch langjährige Gewohnheit allmälig ziemliche Sicherheit in Beurtheilung der Frage gewonnen, ob der Kaiſer Anträgen, die mir logiſch geboten erſchienen, aus eigner Ueber¬ zeugung oder im Intereſſe des Hausfriedens widerſtand. War erſtres der Fall, ſo konnte ich in der Regel auf Verſtändigung rechnen, wenn ich die Zeit abwartete, wo der klare Verſtand des Herrn ſich die Sache aſſimilirt hatte. Oder er berief ſich auf das Miniſter-Conſeil. In ſolchen Fällen blieb die Diſcuſſion zwiſchen mir und Sr. Majeſtät immer ſachlich. Anders war es, wenn die Urſache des königlichen Widerſtrebens gegen miniſterielle Mei¬ nungen in vorhergegangenen Erörterungen der Frage lag, die Ihre Majeſtät beim Frühſtück hervorgerufen und bis zu ſcharfer Ausſprache der Zuſtimmung durchgeführt hatte. Wenn der König in ſolchen Momenten, beeinflußt durch ad hoc geſchriebene Briefe und Zeitungsartikel, zu raſchen Aeußerungen im Sinne antimini¬ ſterieller Politik gebracht war, ſo pflegte Ihre Majeſtät den

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/309>, abgerufen am 28.11.2024.