Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Graf Kutusoff. Stagnation der Belagerung von Paris.
werde dich zur Infanterie versetzen," nahm er seinen Abschied
und trat erst im Krimkriege in geringer Stellung wieder ein,
blieb unter Alexander II. in der Armee und wurde endlich Militär¬
bevollmächtigter in Berlin, wo seine ehrliche Bonhomie ihm
viele Freunde erwarb. Er begleitete uns als russischer Flügel¬
adjutant des preußischen Königs im französischen Kriege, und es
war vielleicht ein Effect der ungerechten Beurtheilung seiner Reit¬
fähigkeit, die ihm vom Kaiser Nicolaus zu Theil geworden war,
daß er alle Marschetappen, auf denen der König und sein Gefolge
gefahren wurden, nicht selten 50 bis 70 Werst im Tage, zu Pferde
zurücklegte. Für seine Bonhomie und die Tonart auf den Jagden
in Wusterhausen ist es bezeichnend, daß er gelegentlich vor dem
Könige erzählte, seine Familie stamme aus Preußisch-Litthauen und
sei unter dem Namen Kutu nach Rußland gekommen, worauf Graf
Fritz Eulenburg in seiner witzigen Art bemerkte: "Den schließlichen
,Soff' haben Sie also erst in Rußland sich angeeignet" -- all¬
gemeine Heiterkeit, in welche Kutusoff herzlich einstimmte.

Neben der Gewissenhaftigkeit der Meldungen dieses alten Sol¬
daten bot die regelmäßige eigenhändige Correspondenz des Gro߬
herzogs von Sachsen mit dem Kaiser Alexander einen Weg,
unverfälschte Mittheilungen direct an diesen gelangen zu lassen.
Der Großherzog, der stets wohlwollend für mich war und geblieben
ist, war in Petersburg ein Anwalt der guten Beziehungen zwischen
beiden Cabineten.

Die Möglichkeit einer europäischen Intervention war für mich
eine Ursache der Beunruhigung und der Ungeduld angesichts der
Stagnation der Belagerung. Kriegerische Wechselfälle sind in
Situationen, wie die unsrige vor Paris war, bei der besten
Leitung und der größten Tapferkeit nicht ausgeschlossen; sie können
durch Zufälligkeiten aller Art herbeigeführt werden, und für solche
bot unsre Stellung zwischen der numerisch reichlich starken be¬
lagerten Armee und den nach Zahl und Oertlichkeit schwer zu
controllirenden Streitkräften der Provinzen ein reiches Feld, auch

Graf Kutuſoff. Stagnation der Belagerung von Paris.
werde dich zur Infanterie verſetzen,“ nahm er ſeinen Abſchied
und trat erſt im Krimkriege in geringer Stellung wieder ein,
blieb unter Alexander II. in der Armee und wurde endlich Militär¬
bevollmächtigter in Berlin, wo ſeine ehrliche Bonhomie ihm
viele Freunde erwarb. Er begleitete uns als ruſſiſcher Flügel¬
adjutant des preußiſchen Königs im franzöſiſchen Kriege, und es
war vielleicht ein Effect der ungerechten Beurtheilung ſeiner Reit¬
fähigkeit, die ihm vom Kaiſer Nicolaus zu Theil geworden war,
daß er alle Marſchetappen, auf denen der König und ſein Gefolge
gefahren wurden, nicht ſelten 50 bis 70 Werſt im Tage, zu Pferde
zurücklegte. Für ſeine Bonhomie und die Tonart auf den Jagden
in Wuſterhauſen iſt es bezeichnend, daß er gelegentlich vor dem
Könige erzählte, ſeine Familie ſtamme aus Preußiſch-Litthauen und
ſei unter dem Namen Kutu nach Rußland gekommen, worauf Graf
Fritz Eulenburg in ſeiner witzigen Art bemerkte: „Den ſchließlichen
,Soff‘ haben Sie alſo erſt in Rußland ſich angeeignet“ — all¬
gemeine Heiterkeit, in welche Kutuſoff herzlich einſtimmte.

Neben der Gewiſſenhaftigkeit der Meldungen dieſes alten Sol¬
daten bot die regelmäßige eigenhändige Correſpondenz des Gro߬
herzogs von Sachſen mit dem Kaiſer Alexander einen Weg,
unverfälſchte Mittheilungen direct an dieſen gelangen zu laſſen.
Der Großherzog, der ſtets wohlwollend für mich war und geblieben
iſt, war in Petersburg ein Anwalt der guten Beziehungen zwiſchen
beiden Cabineten.

Die Möglichkeit einer europäiſchen Intervention war für mich
eine Urſache der Beunruhigung und der Ungeduld angeſichts der
Stagnation der Belagerung. Kriegeriſche Wechſelfälle ſind in
Situationen, wie die unſrige vor Paris war, bei der beſten
Leitung und der größten Tapferkeit nicht ausgeſchloſſen; ſie können
durch Zufälligkeiten aller Art herbeigeführt werden, und für ſolche
bot unſre Stellung zwiſchen der numeriſch reichlich ſtarken be¬
lagerten Armee und den nach Zahl und Oertlichkeit ſchwer zu
controllirenden Streitkräften der Provinzen ein reiches Feld, auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0133" n="109"/><fw place="top" type="header">Graf Kutu&#x017F;off. Stagnation der Belagerung von Paris.<lb/></fw> werde dich zur Infanterie ver&#x017F;etzen,&#x201C; nahm er &#x017F;einen Ab&#x017F;chied<lb/>
und trat er&#x017F;t im Krimkriege in geringer Stellung wieder ein,<lb/>
blieb unter Alexander <hi rendition="#aq">II</hi>. in der Armee und wurde endlich Militär¬<lb/>
bevollmächtigter in Berlin, wo &#x017F;eine ehrliche Bonhomie ihm<lb/>
viele Freunde erwarb. Er begleitete uns als ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;cher Flügel¬<lb/>
adjutant des preußi&#x017F;chen Königs im franzö&#x017F;i&#x017F;chen Kriege, und es<lb/>
war vielleicht ein Effect der ungerechten Beurtheilung &#x017F;einer Reit¬<lb/>
fähigkeit, die ihm vom Kai&#x017F;er Nicolaus zu Theil geworden war,<lb/>
daß er alle Mar&#x017F;chetappen, auf denen der König und &#x017F;ein Gefolge<lb/>
gefahren wurden, nicht &#x017F;elten 50 bis 70 Wer&#x017F;t im Tage, zu Pferde<lb/>
zurücklegte. Für &#x017F;eine Bonhomie und die Tonart auf den Jagden<lb/>
in Wu&#x017F;terhau&#x017F;en i&#x017F;t es bezeichnend, daß er gelegentlich vor dem<lb/>
Könige erzählte, &#x017F;eine Familie &#x017F;tamme aus Preußi&#x017F;ch-Litthauen und<lb/>
&#x017F;ei unter dem Namen Kutu nach Rußland gekommen, worauf Graf<lb/>
Fritz Eulenburg in &#x017F;einer witzigen Art bemerkte: &#x201E;Den &#x017F;chließlichen<lb/>
,Soff&#x2018; haben Sie al&#x017F;o er&#x017F;t in Rußland &#x017F;ich angeeignet&#x201C; &#x2014; all¬<lb/>
gemeine Heiterkeit, in welche Kutu&#x017F;off herzlich ein&#x017F;timmte.</p><lb/>
          <p>Neben der Gewi&#x017F;&#x017F;enhaftigkeit der Meldungen die&#x017F;es alten Sol¬<lb/>
daten bot die regelmäßige eigenhändige Corre&#x017F;pondenz des Gro߬<lb/>
herzogs von Sach&#x017F;en mit dem Kai&#x017F;er Alexander einen Weg,<lb/>
unverfäl&#x017F;chte Mittheilungen direct an die&#x017F;en gelangen zu la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Der Großherzog, der &#x017F;tets wohlwollend für mich war und geblieben<lb/>
i&#x017F;t, war in Petersburg ein Anwalt der guten Beziehungen zwi&#x017F;chen<lb/>
beiden Cabineten.</p><lb/>
          <p>Die Möglichkeit einer europäi&#x017F;chen Intervention war für mich<lb/>
eine Ur&#x017F;ache der Beunruhigung und der Ungeduld ange&#x017F;ichts der<lb/>
Stagnation der Belagerung. Kriegeri&#x017F;che Wech&#x017F;elfälle &#x017F;ind in<lb/>
Situationen, wie die un&#x017F;rige vor Paris war, bei der be&#x017F;ten<lb/>
Leitung und der größten Tapferkeit nicht ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en; &#x017F;ie können<lb/>
durch Zufälligkeiten aller Art herbeigeführt werden, und für &#x017F;olche<lb/>
bot un&#x017F;re Stellung zwi&#x017F;chen der numeri&#x017F;ch reichlich &#x017F;tarken be¬<lb/>
lagerten Armee und den nach Zahl und Oertlichkeit &#x017F;chwer zu<lb/>
controllirenden Streitkräften der Provinzen ein reiches Feld, auch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0133] Graf Kutuſoff. Stagnation der Belagerung von Paris. werde dich zur Infanterie verſetzen,“ nahm er ſeinen Abſchied und trat erſt im Krimkriege in geringer Stellung wieder ein, blieb unter Alexander II. in der Armee und wurde endlich Militär¬ bevollmächtigter in Berlin, wo ſeine ehrliche Bonhomie ihm viele Freunde erwarb. Er begleitete uns als ruſſiſcher Flügel¬ adjutant des preußiſchen Königs im franzöſiſchen Kriege, und es war vielleicht ein Effect der ungerechten Beurtheilung ſeiner Reit¬ fähigkeit, die ihm vom Kaiſer Nicolaus zu Theil geworden war, daß er alle Marſchetappen, auf denen der König und ſein Gefolge gefahren wurden, nicht ſelten 50 bis 70 Werſt im Tage, zu Pferde zurücklegte. Für ſeine Bonhomie und die Tonart auf den Jagden in Wuſterhauſen iſt es bezeichnend, daß er gelegentlich vor dem Könige erzählte, ſeine Familie ſtamme aus Preußiſch-Litthauen und ſei unter dem Namen Kutu nach Rußland gekommen, worauf Graf Fritz Eulenburg in ſeiner witzigen Art bemerkte: „Den ſchließlichen ,Soff‘ haben Sie alſo erſt in Rußland ſich angeeignet“ — all¬ gemeine Heiterkeit, in welche Kutuſoff herzlich einſtimmte. Neben der Gewiſſenhaftigkeit der Meldungen dieſes alten Sol¬ daten bot die regelmäßige eigenhändige Correſpondenz des Gro߬ herzogs von Sachſen mit dem Kaiſer Alexander einen Weg, unverfälſchte Mittheilungen direct an dieſen gelangen zu laſſen. Der Großherzog, der ſtets wohlwollend für mich war und geblieben iſt, war in Petersburg ein Anwalt der guten Beziehungen zwiſchen beiden Cabineten. Die Möglichkeit einer europäiſchen Intervention war für mich eine Urſache der Beunruhigung und der Ungeduld angeſichts der Stagnation der Belagerung. Kriegeriſche Wechſelfälle ſind in Situationen, wie die unſrige vor Paris war, bei der beſten Leitung und der größten Tapferkeit nicht ausgeſchloſſen; ſie können durch Zufälligkeiten aller Art herbeigeführt werden, und für ſolche bot unſre Stellung zwiſchen der numeriſch reichlich ſtarken be¬ lagerten Armee und den nach Zahl und Oertlichkeit ſchwer zu controllirenden Streitkräften der Provinzen ein reiches Feld, auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/133
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/133>, abgerufen am 09.05.2024.