Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweiundzwanzigstes Kapitel: Die Emser Depesche.
das eigentlich schon dadurch geworden, daß der König den fran¬
zösischen Botschafter unter dem Drucke von Drohungen während
seiner Badecur vier Tage hintereinander in Audienz empfangen
und seine monarchische Person der unverschämten Bearbeitung
durch diesen fremden Agenten ohne geschäftlichen Beistand exponirt
habe. Durch diese Neigung, die Staatsgeschäfte persönlich und
allein auf sich zu nehmen, war der König in eine Lage gedrängt
worden, die ich nicht vertreten konnte; meines Erachtens hätte
Se. Majestät in Ems jede geschäftliche Zumuthung des ihm
nicht gleichstehenden französischen Unterhändlers ablehnen und ihn
nach Berlin an die amtliche Stelle verweisen müssen, die dann
durch Vortrag in Ems oder, wenn man dilatorische Behandlung
nützlich gefunden, durch schriftlichen Bericht die Entscheidung des
Königs einzuholen gehabt haben wurde. Aber bei dem hohen Herrn,
so correct er in der Regel die Ressortverhältnisse respectirte, war
die Neigung, wichtige Fragen persönlich zwar nicht zu entscheiden,
aber doch zu verhandeln, zu stark, um ihm eine richtige Benutzung
der Deckung zu ermöglichen, mit der die Majestät gegen Zu¬
dringlichkeiten, unbequeme Fragestellung und Zumuthung zweck¬
mäßiger Weise umgeben ist. Daß der König sich nicht mit dem
ihm in so großem Maße eignen Gefühle seiner hoheitvollen Würde
der Benedettischen Aufdringlichkeit von Hause aus entzogen hatte,
davon lag die Schuld zum großen Theile in dem Einflusse, den
die Königin von dem benachbarten Coblenz her auf ihn ausübte.
Er war 73 Jahr alt, friedliebend und abgeneigt, die Lorbeeren
von 1866 in einem neuen Kampfe auf das Spiel zu setzen; aber
wenn er vom weiblichen Einflusse frei war, so blieb das Ehrgefühl
des Erben Friedrichs des Großen und des preußischen Offiziers in
ihm stets leitend. Gegen die Concurrenz, welche seine Gemalin
mit ihrer weiblich berechtigten Furchtsamkeit und ihrem Mangel an
Nationalgefühl machte, wurde die Widerstandsfähigkeit des Königs
abgeschwächt durch sein ritterliches Gefühl der Frau und durch sein
monarchisches Gefühl einer Königin und besonders der seinigen

Zweiundzwanzigſtes Kapitel: Die Emſer Depeſche.
das eigentlich ſchon dadurch geworden, daß der König den fran¬
zöſiſchen Botſchafter unter dem Drucke von Drohungen während
ſeiner Badecur vier Tage hintereinander in Audienz empfangen
und ſeine monarchiſche Perſon der unverſchämten Bearbeitung
durch dieſen fremden Agenten ohne geſchäftlichen Beiſtand exponirt
habe. Durch dieſe Neigung, die Staatsgeſchäfte perſönlich und
allein auf ſich zu nehmen, war der König in eine Lage gedrängt
worden, die ich nicht vertreten konnte; meines Erachtens hätte
Se. Majeſtät in Ems jede geſchäftliche Zumuthung des ihm
nicht gleichſtehenden franzöſiſchen Unterhändlers ablehnen und ihn
nach Berlin an die amtliche Stelle verweiſen müſſen, die dann
durch Vortrag in Ems oder, wenn man dilatoriſche Behandlung
nützlich gefunden, durch ſchriftlichen Bericht die Entſcheidung des
Königs einzuholen gehabt haben wurde. Aber bei dem hohen Herrn,
ſo correct er in der Regel die Reſſortverhältniſſe reſpectirte, war
die Neigung, wichtige Fragen perſönlich zwar nicht zu entſcheiden,
aber doch zu verhandeln, zu ſtark, um ihm eine richtige Benutzung
der Deckung zu ermöglichen, mit der die Majeſtät gegen Zu¬
dringlichkeiten, unbequeme Frageſtellung und Zumuthung zweck¬
mäßiger Weiſe umgeben iſt. Daß der König ſich nicht mit dem
ihm in ſo großem Maße eignen Gefühle ſeiner hoheitvollen Würde
der Benedettiſchen Aufdringlichkeit von Hauſe aus entzogen hatte,
davon lag die Schuld zum großen Theile in dem Einfluſſe, den
die Königin von dem benachbarten Coblenz her auf ihn ausübte.
Er war 73 Jahr alt, friedliebend und abgeneigt, die Lorbeeren
von 1866 in einem neuen Kampfe auf das Spiel zu ſetzen; aber
wenn er vom weiblichen Einfluſſe frei war, ſo blieb das Ehrgefühl
des Erben Friedrichs des Großen und des preußiſchen Offiziers in
ihm ſtets leitend. Gegen die Concurrenz, welche ſeine Gemalin
mit ihrer weiblich berechtigten Furchtſamkeit und ihrem Mangel an
Nationalgefühl machte, wurde die Widerſtandsfähigkeit des Königs
abgeſchwächt durch ſein ritterliches Gefühl der Frau und durch ſein
monarchiſches Gefühl einer Königin und beſonders der ſeinigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0110" n="86"/><fw place="top" type="header">Zweiundzwanzig&#x017F;tes Kapitel: Die Em&#x017F;er Depe&#x017F;che.<lb/></fw> das eigentlich &#x017F;chon dadurch geworden, daß der König den fran¬<lb/>&#x017F;i&#x017F;chen Bot&#x017F;chafter unter dem Drucke von Drohungen während<lb/>
&#x017F;einer Badecur vier Tage hintereinander in Audienz empfangen<lb/>
und &#x017F;eine monarchi&#x017F;che Per&#x017F;on der unver&#x017F;chämten Bearbeitung<lb/>
durch die&#x017F;en fremden Agenten ohne ge&#x017F;chäftlichen Bei&#x017F;tand exponirt<lb/>
habe. Durch die&#x017F;e Neigung, die Staatsge&#x017F;chäfte per&#x017F;önlich und<lb/>
allein auf &#x017F;ich zu nehmen, war der König in eine Lage gedrängt<lb/>
worden, die ich nicht vertreten konnte; meines Erachtens hätte<lb/>
Se. Maje&#x017F;tät in Ems jede ge&#x017F;chäftliche Zumuthung des ihm<lb/>
nicht gleich&#x017F;tehenden franzö&#x017F;i&#x017F;chen Unterhändlers ablehnen und ihn<lb/>
nach Berlin an die amtliche Stelle verwei&#x017F;en mü&#x017F;&#x017F;en, die dann<lb/>
durch Vortrag in Ems oder, wenn man dilatori&#x017F;che Behandlung<lb/>
nützlich gefunden, durch &#x017F;chriftlichen Bericht die Ent&#x017F;cheidung des<lb/>
Königs einzuholen gehabt haben wurde. Aber bei dem hohen Herrn,<lb/>
&#x017F;o correct er in der Regel die Re&#x017F;&#x017F;ortverhältni&#x017F;&#x017F;e re&#x017F;pectirte, war<lb/>
die Neigung, wichtige Fragen per&#x017F;önlich zwar nicht zu ent&#x017F;cheiden,<lb/>
aber doch zu verhandeln, zu &#x017F;tark, um ihm eine richtige Benutzung<lb/>
der Deckung zu ermöglichen, mit der die Maje&#x017F;tät gegen Zu¬<lb/>
dringlichkeiten, unbequeme Frage&#x017F;tellung und Zumuthung zweck¬<lb/>
mäßiger Wei&#x017F;e umgeben i&#x017F;t. Daß der König &#x017F;ich nicht mit dem<lb/>
ihm in &#x017F;o großem Maße eignen Gefühle &#x017F;einer hoheitvollen Würde<lb/>
der Benedetti&#x017F;chen Aufdringlichkeit von Hau&#x017F;e aus entzogen hatte,<lb/>
davon lag die Schuld zum großen Theile in dem Einflu&#x017F;&#x017F;e, den<lb/>
die Königin von dem benachbarten Coblenz her auf ihn ausübte.<lb/>
Er war 73 Jahr alt, friedliebend und abgeneigt, die Lorbeeren<lb/>
von 1866 in einem neuen Kampfe auf das Spiel zu &#x017F;etzen; aber<lb/>
wenn er vom weiblichen Einflu&#x017F;&#x017F;e frei war, &#x017F;o blieb das Ehrgefühl<lb/>
des Erben Friedrichs des Großen und des preußi&#x017F;chen Offiziers in<lb/>
ihm &#x017F;tets leitend. Gegen die Concurrenz, welche &#x017F;eine Gemalin<lb/>
mit ihrer weiblich berechtigten Furcht&#x017F;amkeit und ihrem Mangel an<lb/>
Nationalgefühl machte, wurde die Wider&#x017F;tandsfähigkeit des Königs<lb/>
abge&#x017F;chwächt durch &#x017F;ein ritterliches Gefühl der Frau und durch &#x017F;ein<lb/>
monarchi&#x017F;ches Gefühl einer Königin und be&#x017F;onders der &#x017F;einigen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0110] Zweiundzwanzigſtes Kapitel: Die Emſer Depeſche. das eigentlich ſchon dadurch geworden, daß der König den fran¬ zöſiſchen Botſchafter unter dem Drucke von Drohungen während ſeiner Badecur vier Tage hintereinander in Audienz empfangen und ſeine monarchiſche Perſon der unverſchämten Bearbeitung durch dieſen fremden Agenten ohne geſchäftlichen Beiſtand exponirt habe. Durch dieſe Neigung, die Staatsgeſchäfte perſönlich und allein auf ſich zu nehmen, war der König in eine Lage gedrängt worden, die ich nicht vertreten konnte; meines Erachtens hätte Se. Majeſtät in Ems jede geſchäftliche Zumuthung des ihm nicht gleichſtehenden franzöſiſchen Unterhändlers ablehnen und ihn nach Berlin an die amtliche Stelle verweiſen müſſen, die dann durch Vortrag in Ems oder, wenn man dilatoriſche Behandlung nützlich gefunden, durch ſchriftlichen Bericht die Entſcheidung des Königs einzuholen gehabt haben wurde. Aber bei dem hohen Herrn, ſo correct er in der Regel die Reſſortverhältniſſe reſpectirte, war die Neigung, wichtige Fragen perſönlich zwar nicht zu entſcheiden, aber doch zu verhandeln, zu ſtark, um ihm eine richtige Benutzung der Deckung zu ermöglichen, mit der die Majeſtät gegen Zu¬ dringlichkeiten, unbequeme Frageſtellung und Zumuthung zweck¬ mäßiger Weiſe umgeben iſt. Daß der König ſich nicht mit dem ihm in ſo großem Maße eignen Gefühle ſeiner hoheitvollen Würde der Benedettiſchen Aufdringlichkeit von Hauſe aus entzogen hatte, davon lag die Schuld zum großen Theile in dem Einfluſſe, den die Königin von dem benachbarten Coblenz her auf ihn ausübte. Er war 73 Jahr alt, friedliebend und abgeneigt, die Lorbeeren von 1866 in einem neuen Kampfe auf das Spiel zu ſetzen; aber wenn er vom weiblichen Einfluſſe frei war, ſo blieb das Ehrgefühl des Erben Friedrichs des Großen und des preußiſchen Offiziers in ihm ſtets leitend. Gegen die Concurrenz, welche ſeine Gemalin mit ihrer weiblich berechtigten Furchtſamkeit und ihrem Mangel an Nationalgefühl machte, wurde die Widerſtandsfähigkeit des Königs abgeſchwächt durch ſein ritterliches Gefühl der Frau und durch ſein monarchiſches Gefühl einer Königin und beſonders der ſeinigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/110
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/110>, abgerufen am 09.05.2024.