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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Französische Unverschämtheit. Rückkehr nach Berlin.
geben eine Demüthigung Deutschlands sah, die ich nicht amtlich ver¬
antworten wollte. Dieser Eindruck der Verletzung des nationalen
Ehrgefühls durch den aufgezwungenen Rückzug war in mir so
vorherrschend, daß ich schon entschlossen war, meinen Rücktritt aus
dem Dienste nach Ems zu melden. Ich hielt diese Demüthigung
vor Frankreich und seinen renommistischen Kundgebungen für schlim¬
mer als die von Olmütz, zu deren Entschuldigung die gemeinsame
Vorgeschichte und unser damaliger Mangel an Kriegsbereitschaft
immer dienen werden. Ich nahm an, Frankreich werde die Ent¬
sagung des Prinzen als einen befriedigenden Erfolg escomptiren
in dem Gefühl, daß eine kriegerische Drohung, auch wenn sie in
den Formen internationaler Beleidigung und Verhöhnung geschehn
und der Kriegsvorwand gegen Preußen vom Zaune gebrochen wäre,
genüge, um Preußen zum Rückzuge auch in einer gerechten Sache
zu nöthigen, und daß auch der Norddeutsche Bund in sich nicht das
hinreichende Machtgefühl trage, um die nationale Ehre und Unab¬
hängigkeit gegen französische Anmaßung zu schützen. Ich war sehr
niedergeschlagen, denn ich sah kein Mittel, den fressenden Schaden,
den ich von einer schüchternen Politik für unsre nationale Stellung
befürchtete, wieder gut zu machen, ohne Händel ungeschickt vom
Zaune zu brechen und künstlich zu suchen. Den Krieg sah ich schon
damals als eine Nothwendigkeit an, der wir mit Ehren nicht mehr
ausweichen konnten. Ich telegraphirte an die Meinigen nach Varzin,
man sollte nicht packen, nicht abreisen, ich würde in wenig Tagen
wieder dort sein. Ich glaubte nunmehr an Frieden; da ich aber
die Haltung nicht vertreten wollte, durch welche dieser Friede erkauft
gewesen wäre, so gab ich die Reise nach Ems auf und bat Graf
Eulenburg, dorthin zu reisen und Sr. Majestät meine Auffassung
vorzutragen. In gleichem Sinne sprach ich auch mit dem Kriegs¬
minister von Roon: wir hätten die französische Ohrfeige weg, und
wären durch die Nachgiebigkeit in die Lage gebracht, als Händelsucher
zu erscheinen, wenn wir zum Kriege schritten, durch den allein wir den
Flecken abwaschen könnten. Meine Stellung sei jetzt unhaltbar und

Franzöſiſche Unverſchämtheit. Rückkehr nach Berlin.
geben eine Demüthigung Deutſchlands ſah, die ich nicht amtlich ver¬
antworten wollte. Dieſer Eindruck der Verletzung des nationalen
Ehrgefühls durch den aufgezwungenen Rückzug war in mir ſo
vorherrſchend, daß ich ſchon entſchloſſen war, meinen Rücktritt aus
dem Dienſte nach Ems zu melden. Ich hielt dieſe Demüthigung
vor Frankreich und ſeinen renommiſtiſchen Kundgebungen für ſchlim¬
mer als die von Olmütz, zu deren Entſchuldigung die gemeinſame
Vorgeſchichte und unſer damaliger Mangel an Kriegsbereitſchaft
immer dienen werden. Ich nahm an, Frankreich werde die Ent¬
ſagung des Prinzen als einen befriedigenden Erfolg escomptiren
in dem Gefühl, daß eine kriegeriſche Drohung, auch wenn ſie in
den Formen internationaler Beleidigung und Verhöhnung geſchehn
und der Kriegsvorwand gegen Preußen vom Zaune gebrochen wäre,
genüge, um Preußen zum Rückzuge auch in einer gerechten Sache
zu nöthigen, und daß auch der Norddeutſche Bund in ſich nicht das
hinreichende Machtgefühl trage, um die nationale Ehre und Unab¬
hängigkeit gegen franzöſiſche Anmaßung zu ſchützen. Ich war ſehr
niedergeſchlagen, denn ich ſah kein Mittel, den freſſenden Schaden,
den ich von einer ſchüchternen Politik für unſre nationale Stellung
befürchtete, wieder gut zu machen, ohne Händel ungeſchickt vom
Zaune zu brechen und künſtlich zu ſuchen. Den Krieg ſah ich ſchon
damals als eine Nothwendigkeit an, der wir mit Ehren nicht mehr
ausweichen konnten. Ich telegraphirte an die Meinigen nach Varzin,
man ſollte nicht packen, nicht abreiſen, ich würde in wenig Tagen
wieder dort ſein. Ich glaubte nunmehr an Frieden; da ich aber
die Haltung nicht vertreten wollte, durch welche dieſer Friede erkauft
geweſen wäre, ſo gab ich die Reiſe nach Ems auf und bat Graf
Eulenburg, dorthin zu reiſen und Sr. Majeſtät meine Auffaſſung
vorzutragen. In gleichem Sinne ſprach ich auch mit dem Kriegs¬
miniſter von Roon: wir hätten die franzöſiſche Ohrfeige weg, und
wären durch die Nachgiebigkeit in die Lage gebracht, als Händelſucher
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[85/0109] Franzöſiſche Unverſchämtheit. Rückkehr nach Berlin. geben eine Demüthigung Deutſchlands ſah, die ich nicht amtlich ver¬ antworten wollte. Dieſer Eindruck der Verletzung des nationalen Ehrgefühls durch den aufgezwungenen Rückzug war in mir ſo vorherrſchend, daß ich ſchon entſchloſſen war, meinen Rücktritt aus dem Dienſte nach Ems zu melden. Ich hielt dieſe Demüthigung vor Frankreich und ſeinen renommiſtiſchen Kundgebungen für ſchlim¬ mer als die von Olmütz, zu deren Entſchuldigung die gemeinſame Vorgeſchichte und unſer damaliger Mangel an Kriegsbereitſchaft immer dienen werden. Ich nahm an, Frankreich werde die Ent¬ ſagung des Prinzen als einen befriedigenden Erfolg escomptiren in dem Gefühl, daß eine kriegeriſche Drohung, auch wenn ſie in den Formen internationaler Beleidigung und Verhöhnung geſchehn und der Kriegsvorwand gegen Preußen vom Zaune gebrochen wäre, genüge, um Preußen zum Rückzuge auch in einer gerechten Sache zu nöthigen, und daß auch der Norddeutſche Bund in ſich nicht das hinreichende Machtgefühl trage, um die nationale Ehre und Unab¬ hängigkeit gegen franzöſiſche Anmaßung zu ſchützen. Ich war ſehr niedergeſchlagen, denn ich ſah kein Mittel, den freſſenden Schaden, den ich von einer ſchüchternen Politik für unſre nationale Stellung befürchtete, wieder gut zu machen, ohne Händel ungeſchickt vom Zaune zu brechen und künſtlich zu ſuchen. Den Krieg ſah ich ſchon damals als eine Nothwendigkeit an, der wir mit Ehren nicht mehr ausweichen konnten. Ich telegraphirte an die Meinigen nach Varzin, man ſollte nicht packen, nicht abreiſen, ich würde in wenig Tagen wieder dort ſein. Ich glaubte nunmehr an Frieden; da ich aber die Haltung nicht vertreten wollte, durch welche dieſer Friede erkauft geweſen wäre, ſo gab ich die Reiſe nach Ems auf und bat Graf Eulenburg, dorthin zu reiſen und Sr. Majeſtät meine Auffaſſung vorzutragen. In gleichem Sinne ſprach ich auch mit dem Kriegs¬ miniſter von Roon: wir hätten die franzöſiſche Ohrfeige weg, und wären durch die Nachgiebigkeit in die Lage gebracht, als Händelſucher zu erſcheinen, wenn wir zum Kriege ſchritten, durch den allein wir den Flecken abwaſchen könnten. Meine Stellung ſei jetzt unhaltbar und

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/109>, abgerufen am 23.11.2024.