Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Zweites Kapitel: Das Jahr 1848. schaft am 21. März war am wenigsten geeignet, das wieder ein¬zubringen, was im Innern und nach Außen verloren war. Die Situation wurde dadurch dergestalt umgedreht, daß der König nun an der Spitze nicht mehr seiner Truppen, sondern der Barrikaden¬ kämpfer, derselben unlenkbaren Massen, stand, vor deren Bedrohung die Fürsten einige Tage zuvor bei ihm Schutz gesucht hatten. Der Gedanke, eine Verlegung des geplanten Fürstencongresses von Dresden nach Potsdam als einziges Ergebniß der Märztage zu behandeln, verlor durch den würdelosen Umzug jede Haltbarkeit. Die Weichlichkeit, mit der Friedrich Wilhelm IV. unter dem Zweites Kapitel: Das Jahr 1848. ſchaft am 21. März war am wenigſten geeignet, das wieder ein¬zubringen, was im Innern und nach Außen verloren war. Die Situation wurde dadurch dergeſtalt umgedreht, daß der König nun an der Spitze nicht mehr ſeiner Truppen, ſondern der Barrikaden¬ kämpfer, derſelben unlenkbaren Maſſen, ſtand, vor deren Bedrohung die Fürſten einige Tage zuvor bei ihm Schutz geſucht hatten. Der Gedanke, eine Verlegung des geplanten Fürſtencongreſſes von Dresden nach Potsdam als einziges Ergebniß der Märztage zu behandeln, verlor durch den würdeloſen Umzug jede Haltbarkeit. Die Weichlichkeit, mit der Friedrich Wilhelm IV. unter dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0069" n="42"/><fw place="top" type="header">Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.<lb/></fw> ſchaft am 21. März war am wenigſten geeignet, das wieder ein¬<lb/> zubringen, was im Innern und nach Außen verloren war. Die<lb/> Situation wurde dadurch dergeſtalt umgedreht, daß der König nun<lb/> an der Spitze nicht mehr ſeiner Truppen, ſondern der Barrikaden¬<lb/> kämpfer, derſelben unlenkbaren Maſſen, ſtand, vor deren Bedrohung<lb/> die Fürſten einige Tage zuvor bei ihm Schutz geſucht hatten. Der<lb/> Gedanke, eine Verlegung des geplanten Fürſtencongreſſes von<lb/> Dresden nach Potsdam als einziges Ergebniß der Märztage zu<lb/> behandeln, verlor durch den würdeloſen Umzug jede Haltbarkeit.<lb/></p> <p>Die Weichlichkeit, mit der Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">IV</hi>. unter dem<lb/> Drucke unberufener, vielleicht verrätheriſcher Rathgeber, gedrängt<lb/> durch weibliche Thränen, das blutige Ergebniß in Berlin, nachdem<lb/> es ſiegreich durchgeführt war, dadurch abſchließen wollte, daß er<lb/> ſeinen Truppen befahl, auf den gewonnenen Sieg zu verzichten,<lb/> hat für die weitere Entwicklung unſrer Politik zunächſt den<lb/> Schaden einer verſäumten Gelegenheit gebracht. Ob der Fortſchritt<lb/> ein dauernder geweſen ſein würde, wenn der König den Sieg<lb/> ſeiner Truppen feſtgehalten und ausgenutzt hätte, iſt eine andre<lb/> Frage. Der König würde dann allerdings nicht in der gebrochenen<lb/> Stimmung geweſen ſein, in der ich ihn während des Zweiten Ver¬<lb/> einigten Landtags gefunden habe, ſondern in dem durch den Sieg<lb/> geſtärkten Schwunge der Beredſamkeit, die er bei Gelegenheit der<lb/> Huldigung 1840, in Köln 1842 und ſonſt entwickelt hatte. Ich<lb/> wage keine Vermuthung darüber, welche Einwirkung auf die Hal¬<lb/> tung des Königs, die Romantik mittelalterlicher Reichserinnerungen<lb/> Oeſtreich und den Fürſten gegenüber und das vorher und ſpäter<lb/> ſo ſtarke fürſtliche Selbſtgefühl im Inlande das Bewußtſein geübt<lb/> haben würde, den Aufruhr definitiv niedergeſchlagen zu haben,<lb/> der ihm gegenüber allein ſiegreich blieb im außerruſſiſchen Continent.<lb/> Eine auf dem Straßenpflaſter erkämpfte Errungenſchaft wäre von<lb/> andrer Art und von minderer Tragweite geweſen als die ſpäter auf<lb/> dem Schlachtfeld gewonnene. Es iſt vielleicht für unſre Zukunft beſſer<lb/> geweſen, daß wir die Irrwege in der Wüſte innerer Kämpfe von<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [42/0069]
Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.
ſchaft am 21. März war am wenigſten geeignet, das wieder ein¬
zubringen, was im Innern und nach Außen verloren war. Die
Situation wurde dadurch dergeſtalt umgedreht, daß der König nun
an der Spitze nicht mehr ſeiner Truppen, ſondern der Barrikaden¬
kämpfer, derſelben unlenkbaren Maſſen, ſtand, vor deren Bedrohung
die Fürſten einige Tage zuvor bei ihm Schutz geſucht hatten. Der
Gedanke, eine Verlegung des geplanten Fürſtencongreſſes von
Dresden nach Potsdam als einziges Ergebniß der Märztage zu
behandeln, verlor durch den würdeloſen Umzug jede Haltbarkeit.
Die Weichlichkeit, mit der Friedrich Wilhelm IV. unter dem
Drucke unberufener, vielleicht verrätheriſcher Rathgeber, gedrängt
durch weibliche Thränen, das blutige Ergebniß in Berlin, nachdem
es ſiegreich durchgeführt war, dadurch abſchließen wollte, daß er
ſeinen Truppen befahl, auf den gewonnenen Sieg zu verzichten,
hat für die weitere Entwicklung unſrer Politik zunächſt den
Schaden einer verſäumten Gelegenheit gebracht. Ob der Fortſchritt
ein dauernder geweſen ſein würde, wenn der König den Sieg
ſeiner Truppen feſtgehalten und ausgenutzt hätte, iſt eine andre
Frage. Der König würde dann allerdings nicht in der gebrochenen
Stimmung geweſen ſein, in der ich ihn während des Zweiten Ver¬
einigten Landtags gefunden habe, ſondern in dem durch den Sieg
geſtärkten Schwunge der Beredſamkeit, die er bei Gelegenheit der
Huldigung 1840, in Köln 1842 und ſonſt entwickelt hatte. Ich
wage keine Vermuthung darüber, welche Einwirkung auf die Hal¬
tung des Königs, die Romantik mittelalterlicher Reichserinnerungen
Oeſtreich und den Fürſten gegenüber und das vorher und ſpäter
ſo ſtarke fürſtliche Selbſtgefühl im Inlande das Bewußtſein geübt
haben würde, den Aufruhr definitiv niedergeſchlagen zu haben,
der ihm gegenüber allein ſiegreich blieb im außerruſſiſchen Continent.
Eine auf dem Straßenpflaſter erkämpfte Errungenſchaft wäre von
andrer Art und von minderer Tragweite geweſen als die ſpäter auf
dem Schlachtfeld gewonnene. Es iſt vielleicht für unſre Zukunft beſſer
geweſen, daß wir die Irrwege in der Wüſte innerer Kämpfe von
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