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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Stellung zur Prinzessin. Politische Lage.
einer Erklärung der preußischen und der östreichischen Regirung vom
10. März auf den 20. März nach Dresden berufenen Fürstencongreß
gekommen wäre, so wäre nach der Stimmung der betheiligten Höfe
eine Opferwilligkeit auf dem Altar des Vaterlandes wie die fran¬
zösische vom 4. August 1789 zu erwarten gewesen. Diese Auffassung
entsprach den thatsächlichen Verhältnissen; das militärische Preußen
war stark und intact genug, um die revolutionäre Welle zum Stehn
zu bringen und den übrigen deutschen Staaten für Gesetz und
Ordnung in Zukunft Garantien zu bieten, welche den andern
Dynastien damals annehmbar erschienen.

Der 18. März war ein Beispiel, wie schädlich das Eingreifen
roher Kräfte auch den Zwecken werden kann, die dadurch er¬
reicht werden sollen. Indessen war am 19. Morgens noch nichts
verloren. Der Aufstand war niedergeschlagen. Führer desselben,
darunter der mir von der Universität her bekannte Assessor Rudolf
Schramm, hatten sich nach Dessau geflüchtet, hielten die erste Nach¬
richt von dem Rückzuge der Truppen für eine polizeiliche Falle und
kehrten erst nach Berlin zurück, nachdem sie die Zeitungen erhalten
hatten. Ich glaube, daß mit fester und kluger Ausnutzung des
Sieges; des einzigen, der damals von einer Regirung in Europa
gegen Aufstände erfochten war, die deutsche Einheit in strengerer
Form zu erreichen war, als zur Zeit meiner Betheiligung an der
Regirung schließlich geschehn ist. Ob das nützlicher und dauer¬
hafter gewesen wäre, lasse ich dahingestellt sein.

Wenn der König im März die Empörung in Berlin definitiv
niederwarf und auch nachher nicht wieder aufkommen ließ, so würden
wir von dem Kaiser Nicolaus nach dem Zusammenbruch Oest¬
reichs keine Schwierigkeiten in der Neubildung einer haltbaren
Organisation Deutschlands erfahren haben. Seine Sympathien
waren ursprünglich mehr nach Berlin als nach Wien gerichtet,
wenn auch Friedrich Wilhelm IV. persönlich diese nicht besaß und
bei der Verschiedenheit der Charaktere nicht besitzen konnte.

Der Umzug durch die Straßen in den Farben der Burschen¬

Stellung zur Prinzeſſin. Politiſche Lage.
einer Erklärung der preußiſchen und der öſtreichiſchen Regirung vom
10. März auf den 20. März nach Dresden berufenen Fürſtencongreß
gekommen wäre, ſo wäre nach der Stimmung der betheiligten Höfe
eine Opferwilligkeit auf dem Altar des Vaterlandes wie die fran¬
zöſiſche vom 4. Auguſt 1789 zu erwarten geweſen. Dieſe Auffaſſung
entſprach den thatſächlichen Verhältniſſen; das militäriſche Preußen
war ſtark und intact genug, um die revolutionäre Welle zum Stehn
zu bringen und den übrigen deutſchen Staaten für Geſetz und
Ordnung in Zukunft Garantien zu bieten, welche den andern
Dynaſtien damals annehmbar erſchienen.

Der 18. März war ein Beiſpiel, wie ſchädlich das Eingreifen
roher Kräfte auch den Zwecken werden kann, die dadurch er¬
reicht werden ſollen. Indeſſen war am 19. Morgens noch nichts
verloren. Der Aufſtand war niedergeſchlagen. Führer deſſelben,
darunter der mir von der Univerſität her bekannte Aſſeſſor Rudolf
Schramm, hatten ſich nach Deſſau geflüchtet, hielten die erſte Nach¬
richt von dem Rückzuge der Truppen für eine polizeiliche Falle und
kehrten erſt nach Berlin zurück, nachdem ſie die Zeitungen erhalten
hatten. Ich glaube, daß mit feſter und kluger Ausnutzung des
Sieges; des einzigen, der damals von einer Regirung in Europa
gegen Aufſtände erfochten war, die deutſche Einheit in ſtrengerer
Form zu erreichen war, als zur Zeit meiner Betheiligung an der
Regirung ſchließlich geſchehn iſt. Ob das nützlicher und dauer¬
hafter geweſen wäre, laſſe ich dahingeſtellt ſein.

Wenn der König im März die Empörung in Berlin definitiv
niederwarf und auch nachher nicht wieder aufkommen ließ, ſo würden
wir von dem Kaiſer Nicolaus nach dem Zuſammenbruch Oeſt¬
reichs keine Schwierigkeiten in der Neubildung einer haltbaren
Organiſation Deutſchlands erfahren haben. Seine Sympathien
waren urſprünglich mehr nach Berlin als nach Wien gerichtet,
wenn auch Friedrich Wilhelm IV. perſönlich dieſe nicht beſaß und
bei der Verſchiedenheit der Charaktere nicht beſitzen konnte.

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[41/0068] Stellung zur Prinzeſſin. Politiſche Lage. einer Erklärung der preußiſchen und der öſtreichiſchen Regirung vom 10. März auf den 20. März nach Dresden berufenen Fürſtencongreß gekommen wäre, ſo wäre nach der Stimmung der betheiligten Höfe eine Opferwilligkeit auf dem Altar des Vaterlandes wie die fran¬ zöſiſche vom 4. Auguſt 1789 zu erwarten geweſen. Dieſe Auffaſſung entſprach den thatſächlichen Verhältniſſen; das militäriſche Preußen war ſtark und intact genug, um die revolutionäre Welle zum Stehn zu bringen und den übrigen deutſchen Staaten für Geſetz und Ordnung in Zukunft Garantien zu bieten, welche den andern Dynaſtien damals annehmbar erſchienen. Der 18. März war ein Beiſpiel, wie ſchädlich das Eingreifen roher Kräfte auch den Zwecken werden kann, die dadurch er¬ reicht werden ſollen. Indeſſen war am 19. Morgens noch nichts verloren. Der Aufſtand war niedergeſchlagen. Führer deſſelben, darunter der mir von der Univerſität her bekannte Aſſeſſor Rudolf Schramm, hatten ſich nach Deſſau geflüchtet, hielten die erſte Nach¬ richt von dem Rückzuge der Truppen für eine polizeiliche Falle und kehrten erſt nach Berlin zurück, nachdem ſie die Zeitungen erhalten hatten. Ich glaube, daß mit feſter und kluger Ausnutzung des Sieges; des einzigen, der damals von einer Regirung in Europa gegen Aufſtände erfochten war, die deutſche Einheit in ſtrengerer Form zu erreichen war, als zur Zeit meiner Betheiligung an der Regirung ſchließlich geſchehn iſt. Ob das nützlicher und dauer¬ hafter geweſen wäre, laſſe ich dahingeſtellt ſein. Wenn der König im März die Empörung in Berlin definitiv niederwarf und auch nachher nicht wieder aufkommen ließ, ſo würden wir von dem Kaiſer Nicolaus nach dem Zuſammenbruch Oeſt¬ reichs keine Schwierigkeiten in der Neubildung einer haltbaren Organiſation Deutſchlands erfahren haben. Seine Sympathien waren urſprünglich mehr nach Berlin als nach Wien gerichtet, wenn auch Friedrich Wilhelm IV. perſönlich dieſe nicht beſaß und bei der Verſchiedenheit der Charaktere nicht beſitzen konnte. Der Umzug durch die Straßen in den Farben der Burſchen¬

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/68>, abgerufen am 26.11.2024.