Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Schwäche Friedrich Wilhelms IV. Erster Besuch in Sanssouci. 1848 bis 1866 wie die Juden, bevor sie das gelobte Land er¬reichten, noch haben durchmachen müssen. Die Kriege von 1866 und 1870 wären uns doch schwerlich erspart worden, nachdem unsre 1848 zusammengebrochenen Nachbarn in Anlehnung an Paris, Wien und anderswo sich wieder ermuthigt und gekräftigt haben würden. Es ist fraglich, ob auf dem kürzeren und rascheren Wege des Märzsieges von 1848 die Wirkung der geschichtlichen Ereignisse auf die Deutschen dieselbe gewesen sein würde, wie die heut vorhandene, die den Eindruck macht, daß die Dynastien, und grade die früher hervorragend particularistischen, reichsfreundlicher sind als die Fractionen und Parteien. Mein erster Besuch in Sanssouci kam unter ungünstigen Schwäche Friedrich Wilhelms IV. Erſter Beſuch in Sansſouci. 1848 bis 1866 wie die Juden, bevor ſie das gelobte Land er¬reichten, noch haben durchmachen müſſen. Die Kriege von 1866 und 1870 wären uns doch ſchwerlich erſpart worden, nachdem unſre 1848 zuſammengebrochenen Nachbarn in Anlehnung an Paris, Wien und anderswo ſich wieder ermuthigt und gekräftigt haben würden. Es iſt fraglich, ob auf dem kürzeren und raſcheren Wege des Märzſieges von 1848 die Wirkung der geſchichtlichen Ereigniſſe auf die Deutſchen dieſelbe geweſen ſein würde, wie die heut vorhandene, die den Eindruck macht, daß die Dynaſtien, und grade die früher hervorragend particulariſtiſchen, reichsfreundlicher ſind als die Fractionen und Parteien. Mein erſter Beſuch in Sansſouci kam unter ungünſtigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0070" n="43"/><fw place="top" type="header">Schwäche Friedrich Wilhelms <hi rendition="#aq">IV</hi>. Erſter Beſuch in Sansſouci.<lb/></fw>1848 bis 1866 wie die Juden, bevor ſie das gelobte Land er¬<lb/> reichten, noch haben durchmachen müſſen. Die Kriege von 1866<lb/> und 1870 wären uns doch ſchwerlich erſpart worden, nachdem<lb/> unſre 1848 zuſammengebrochenen Nachbarn in Anlehnung an<lb/> Paris, Wien und anderswo ſich wieder ermuthigt und gekräftigt<lb/> haben würden. Es iſt fraglich, ob auf dem kürzeren und raſcheren<lb/> Wege des Märzſieges von 1848 die Wirkung der geſchichtlichen<lb/> Ereigniſſe auf die Deutſchen dieſelbe geweſen ſein würde, wie die<lb/> heut vorhandene, die den Eindruck macht, daß die Dynaſtien, und<lb/> grade die früher hervorragend particulariſtiſchen, reichsfreundlicher<lb/> ſind als die Fractionen und Parteien.</p><lb/> <p>Mein erſter Beſuch in Sansſouci kam unter ungünſtigen<lb/> Aſpecten zu Stande. In den erſten Tagen des Juni, wenige Tage<lb/> vor dem Abgange des Miniſterpräſidenten Ludolf Camphauſen, be¬<lb/> fand ich mich in Potsdam, als ein Leibjäger mich in dem Gaſt¬<lb/> hofe aufſuchte, um mir zu melden, daß der König mich zu ſprechen<lb/> wünſche. Ich ſagte unter dem Eindruck meiner frondirenden Ge¬<lb/> müthsſtimmung, daß ich bedauerte, dem Befehle Sr. Majeſtät<lb/> nicht Folge leiſten zu können, da ich im Begriffe ſei, nach Hauſe<lb/> zu reiſen und meine Frau, deren Geſundheit beſondrer Schonung<lb/> bedürfe, ſich ängſtigen würde, wenn ich länger als verabredet aus¬<lb/> bliebe. Nach einiger Zeit erſchien der Flügeladjutant Edwin von<lb/> Manteuffel, wiederholte die Aufforderung in Form einer Einladung<lb/> zur Tafel und ſagte, der König ſtelle mir einen Feldjäger zur Ver¬<lb/> fügung, um meine Frau zu benachrichtigen. Es blieb mir nichts<lb/> übrig, als mich nach Sansſouci zu begeben. Die Tiſchgeſellſchaft<lb/> war ſehr klein, enthielt, wenn ich mich recht erinnere, außer den<lb/> Damen und Herrn vom Dienſte nur Camphauſen und mich. Nach<lb/> der Tafel führte der König mich auf die Terraſſe und fragte<lb/> freundlich: „Wie geht es bei Ihnen?“ In der Gereiztheit, die ich<lb/> ſeit den Märztagen in mir trug, antwortete ich: „Schlecht.“ Darauf<lb/> der König: „Ich denke, die Stimmung iſt gut bei Ihnen.“ Darauf<lb/> ich, unter dem Eindrucke von Anordnungen, deren Inhalt mir nicht<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [43/0070]
Schwäche Friedrich Wilhelms IV. Erſter Beſuch in Sansſouci.
1848 bis 1866 wie die Juden, bevor ſie das gelobte Land er¬
reichten, noch haben durchmachen müſſen. Die Kriege von 1866
und 1870 wären uns doch ſchwerlich erſpart worden, nachdem
unſre 1848 zuſammengebrochenen Nachbarn in Anlehnung an
Paris, Wien und anderswo ſich wieder ermuthigt und gekräftigt
haben würden. Es iſt fraglich, ob auf dem kürzeren und raſcheren
Wege des Märzſieges von 1848 die Wirkung der geſchichtlichen
Ereigniſſe auf die Deutſchen dieſelbe geweſen ſein würde, wie die
heut vorhandene, die den Eindruck macht, daß die Dynaſtien, und
grade die früher hervorragend particulariſtiſchen, reichsfreundlicher
ſind als die Fractionen und Parteien.
Mein erſter Beſuch in Sansſouci kam unter ungünſtigen
Aſpecten zu Stande. In den erſten Tagen des Juni, wenige Tage
vor dem Abgange des Miniſterpräſidenten Ludolf Camphauſen, be¬
fand ich mich in Potsdam, als ein Leibjäger mich in dem Gaſt¬
hofe aufſuchte, um mir zu melden, daß der König mich zu ſprechen
wünſche. Ich ſagte unter dem Eindruck meiner frondirenden Ge¬
müthsſtimmung, daß ich bedauerte, dem Befehle Sr. Majeſtät
nicht Folge leiſten zu können, da ich im Begriffe ſei, nach Hauſe
zu reiſen und meine Frau, deren Geſundheit beſondrer Schonung
bedürfe, ſich ängſtigen würde, wenn ich länger als verabredet aus¬
bliebe. Nach einiger Zeit erſchien der Flügeladjutant Edwin von
Manteuffel, wiederholte die Aufforderung in Form einer Einladung
zur Tafel und ſagte, der König ſtelle mir einen Feldjäger zur Ver¬
fügung, um meine Frau zu benachrichtigen. Es blieb mir nichts
übrig, als mich nach Sansſouci zu begeben. Die Tiſchgeſellſchaft
war ſehr klein, enthielt, wenn ich mich recht erinnere, außer den
Damen und Herrn vom Dienſte nur Camphauſen und mich. Nach
der Tafel führte der König mich auf die Terraſſe und fragte
freundlich: „Wie geht es bei Ihnen?“ In der Gereiztheit, die ich
ſeit den Märztagen in mir trug, antwortete ich: „Schlecht.“ Darauf
der König: „Ich denke, die Stimmung iſt gut bei Ihnen.“ Darauf
ich, unter dem Eindrucke von Anordnungen, deren Inhalt mir nicht
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