Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Preußen als Großmacht. Dynastische Anhänglichkeit in Deutschland. dynastische Beziehungen, auf denen die centrifugalen Elemente ur¬sprünglich beruhn. Es kommt nicht die Anhänglichkeit an schwäbische, niedersächsische, thüringische Eigenthümlichkeit zur Hebung, sondern die durch die Dynastien Braunschweig, Brabant, Wittelsbach zu einem dynastischen Antheil an dem Körper der Nation gesonderten Convolute der Herrschaft einer fürstlichen Familie. Der Zusammen¬ hang des Königreichs Baiern beruht nicht nur auf dem bajuvari¬ schen Stamme, wie er im Süden Baierns und in Oestreich vor¬ handen ist, sondern der Augsburger Schwabe, der Pfälzer Alemanne und der Mainfranke, sehr verschiedenen Geblüts, nennen sich mit derselben Genugthuung Baiern, wie der Altbaier in München und Landshut, lediglich weil sie mit den letztern durch die gemeinschaftliche Dynastie seit drei Menschenaltern verbunden sind. Die am meisten ausgeprägten Stammeseigenthümlichkeiten, die niederdeutsche, platt¬ deutsche, sächsische, sind durch dynastische Einflüsse schärfer und tiefer als die übrigen Stämme geschieden. Die deutsche Vater¬ landsliebe bedarf eines Fürsten, auf den sich ihre Anhänglichkeit concentrirt. Wenn man den Zustand fingirte, daß sämmtliche deutsche Dynastien plötzlich beseitigt wären, so wäre nicht wahr¬ scheinlich, daß das deutsche Nationalgefühl alle Deutschen in den Frictionen europäischer Politik völkerrechtlich zusammenhalten würde, auch nicht in der Form föderirter Hansestädte und Reichsdörfer. Die Deutschen würden fester geschmiedeten Nationen zur Beute fallen, wenn ihnen das Bindemittel verloren ginge, welches in dem gemeinsamen Standesgefühl der Fürsten liegt. Die geschichtlich am stärksten ausgeprägte Stammeseigen¬ Preußen als Großmacht. Dynaſtiſche Anhänglichkeit in Deutſchland. dynaſtiſche Beziehungen, auf denen die centrifugalen Elemente ur¬ſprünglich beruhn. Es kommt nicht die Anhänglichkeit an ſchwäbiſche, niederſächſiſche, thüringiſche Eigenthümlichkeit zur Hebung, ſondern die durch die Dynaſtien Braunſchweig, Brabant, Wittelsbach zu einem dynaſtiſchen Antheil an dem Körper der Nation geſonderten Convolute der Herrſchaft einer fürſtlichen Familie. Der Zuſammen¬ hang des Königreichs Baiern beruht nicht nur auf dem bajuvari¬ ſchen Stamme, wie er im Süden Baierns und in Oeſtreich vor¬ handen iſt, ſondern der Augsburger Schwabe, der Pfälzer Alemanne und der Mainfranke, ſehr verſchiedenen Geblüts, nennen ſich mit derſelben Genugthuung Baiern, wie der Altbaier in München und Landshut, lediglich weil ſie mit den letztern durch die gemeinſchaftliche Dynaſtie ſeit drei Menſchenaltern verbunden ſind. Die am meiſten ausgeprägten Stammeseigenthümlichkeiten, die niederdeutſche, platt¬ deutſche, ſächſiſche, ſind durch dynaſtiſche Einflüſſe ſchärfer und tiefer als die übrigen Stämme geſchieden. Die deutſche Vater¬ landsliebe bedarf eines Fürſten, auf den ſich ihre Anhänglichkeit concentrirt. Wenn man den Zuſtand fingirte, daß ſämmtliche deutſche Dynaſtien plötzlich beſeitigt wären, ſo wäre nicht wahr¬ ſcheinlich, daß das deutſche Nationalgefühl alle Deutſchen in den Frictionen europäiſcher Politik völkerrechtlich zuſammenhalten würde, auch nicht in der Form föderirter Hanſeſtädte und Reichsdörfer. Die Deutſchen würden feſter geſchmiedeten Nationen zur Beute fallen, wenn ihnen das Bindemittel verloren ginge, welches in dem gemeinſamen Standesgefühl der Fürſten liegt. Die geſchichtlich am ſtärkſten ausgeprägte Stammeseigen¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0318" n="291"/><fw place="top" type="header">Preußen als Großmacht. Dynaſtiſche Anhänglichkeit in Deutſchland.<lb/></fw> dynaſtiſche Beziehungen, auf denen die centrifugalen Elemente ur¬<lb/> ſprünglich beruhn. Es kommt nicht die Anhänglichkeit an ſchwäbiſche,<lb/> niederſächſiſche, thüringiſche Eigenthümlichkeit zur Hebung, ſondern<lb/> die durch die Dynaſtien Braunſchweig, Brabant, Wittelsbach zu<lb/> einem dynaſtiſchen Antheil an dem Körper der Nation geſonderten<lb/> Convolute der Herrſchaft einer fürſtlichen Familie. Der Zuſammen¬<lb/> hang des Königreichs Baiern beruht nicht nur auf dem bajuvari¬<lb/> ſchen Stamme, wie er im Süden Baierns und in Oeſtreich vor¬<lb/> handen iſt, ſondern der Augsburger Schwabe, der Pfälzer Alemanne<lb/> und der Mainfranke, ſehr verſchiedenen Geblüts, nennen ſich mit<lb/> derſelben Genugthuung Baiern, wie der Altbaier in München und<lb/> Landshut, lediglich weil ſie mit den letztern durch die gemeinſchaftliche<lb/> Dynaſtie ſeit drei Menſchenaltern verbunden ſind. Die am meiſten<lb/> ausgeprägten Stammeseigenthümlichkeiten, die niederdeutſche, platt¬<lb/> deutſche, ſächſiſche, ſind durch dynaſtiſche Einflüſſe ſchärfer und<lb/> tiefer als die übrigen Stämme geſchieden. Die deutſche Vater¬<lb/> landsliebe bedarf eines Fürſten, auf den ſich ihre Anhänglichkeit<lb/> concentrirt. Wenn man den Zuſtand fingirte, daß ſämmtliche<lb/> deutſche Dynaſtien plötzlich beſeitigt wären, ſo wäre nicht wahr¬<lb/> ſcheinlich, daß das deutſche Nationalgefühl alle Deutſchen in den<lb/> Frictionen europäiſcher Politik völkerrechtlich zuſammenhalten würde,<lb/> auch nicht in der Form föderirter Hanſeſtädte und Reichsdörfer.<lb/> Die Deutſchen würden feſter geſchmiedeten Nationen zur Beute<lb/> fallen, wenn ihnen das Bindemittel verloren ginge, welches in dem<lb/> gemeinſamen Standesgefühl der Fürſten liegt.</p><lb/> <p>Die geſchichtlich am ſtärkſten ausgeprägte Stammeseigen¬<lb/> thümlichkeit in Deutſchland iſt wohl die preußiſche, und doch wird<lb/> Niemand die Frage mit Sicherheit beantworten können, ob der<lb/> ſtaatliche Zuſammenhang Preußens fortbeſtehn würde, wenn man<lb/> ſich die Dynaſtie Hohenzollern und jede, die ihr rechtlich nach¬<lb/> folgen könnte, verſchwunden denkt. Iſt es wohl ſicher, daß der<lb/> öſtliche und der weſtliche Theil, daß Pommern, Hanoveraner,<lb/> Holſteiner und Schleſier, daß Aachen und Königsberg, im untrenn¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [291/0318]
Preußen als Großmacht. Dynaſtiſche Anhänglichkeit in Deutſchland.
dynaſtiſche Beziehungen, auf denen die centrifugalen Elemente ur¬
ſprünglich beruhn. Es kommt nicht die Anhänglichkeit an ſchwäbiſche,
niederſächſiſche, thüringiſche Eigenthümlichkeit zur Hebung, ſondern
die durch die Dynaſtien Braunſchweig, Brabant, Wittelsbach zu
einem dynaſtiſchen Antheil an dem Körper der Nation geſonderten
Convolute der Herrſchaft einer fürſtlichen Familie. Der Zuſammen¬
hang des Königreichs Baiern beruht nicht nur auf dem bajuvari¬
ſchen Stamme, wie er im Süden Baierns und in Oeſtreich vor¬
handen iſt, ſondern der Augsburger Schwabe, der Pfälzer Alemanne
und der Mainfranke, ſehr verſchiedenen Geblüts, nennen ſich mit
derſelben Genugthuung Baiern, wie der Altbaier in München und
Landshut, lediglich weil ſie mit den letztern durch die gemeinſchaftliche
Dynaſtie ſeit drei Menſchenaltern verbunden ſind. Die am meiſten
ausgeprägten Stammeseigenthümlichkeiten, die niederdeutſche, platt¬
deutſche, ſächſiſche, ſind durch dynaſtiſche Einflüſſe ſchärfer und
tiefer als die übrigen Stämme geſchieden. Die deutſche Vater¬
landsliebe bedarf eines Fürſten, auf den ſich ihre Anhänglichkeit
concentrirt. Wenn man den Zuſtand fingirte, daß ſämmtliche
deutſche Dynaſtien plötzlich beſeitigt wären, ſo wäre nicht wahr¬
ſcheinlich, daß das deutſche Nationalgefühl alle Deutſchen in den
Frictionen europäiſcher Politik völkerrechtlich zuſammenhalten würde,
auch nicht in der Form föderirter Hanſeſtädte und Reichsdörfer.
Die Deutſchen würden feſter geſchmiedeten Nationen zur Beute
fallen, wenn ihnen das Bindemittel verloren ginge, welches in dem
gemeinſamen Standesgefühl der Fürſten liegt.
Die geſchichtlich am ſtärkſten ausgeprägte Stammeseigen¬
thümlichkeit in Deutſchland iſt wohl die preußiſche, und doch wird
Niemand die Frage mit Sicherheit beantworten können, ob der
ſtaatliche Zuſammenhang Preußens fortbeſtehn würde, wenn man
ſich die Dynaſtie Hohenzollern und jede, die ihr rechtlich nach¬
folgen könnte, verſchwunden denkt. Iſt es wohl ſicher, daß der
öſtliche und der weſtliche Theil, daß Pommern, Hanoveraner,
Holſteiner und Schleſier, daß Aachen und Königsberg, im untrenn¬
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |