Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Briefwechsel mit Gerlach über Frankreich.
willen angefangen. Aber sie haben im Gegentheil uns in der
Durchmarschfrage genirt, so viel sie konnten, uns verleumdet, uns
Baden abwendig gemacht, und jetzt in Paris sind sie mit England
unsre Gegner gewesen. Ich weiß von den Franzosen und von
Kisseleff, daß in allen Besprechungen, wo Hübner ohne Hatzfeldt
gewesen ist, und das waren grade die entscheidenden, er stets der
Erste war, sich dem englischen Widerspruch gegen uns anzuschließen;
dann ist Frankreich gefolgt, dann Rußland. Warum sollte aber
überhaupt Jemand etwas für uns in Neuenburg thun und sich
für unsre Interessen einsetzen? hatte denn Jemand von uns etwas
dafür zu hoffen oder zu fürchten, wenn er uns den Gefallen that
oder nicht? Daß man in der Politik aus Gefälligkeit oder aus
allgemeinem Rechtsgefühl handelt, das dürfen Andre von uns,
wir aber nicht von ihnen erwarten.

Wollen wir so isolirt, unbeachtet und gelegentlich schlecht be¬
handelt weiter leben, so habe ich freilich keine Macht, es zu ändern;
wollen wir aber wieder zu Ansehn gelangen, so erreichen wir
es unmöglich damit, daß wir unser Fundament lediglich auf den
Sand des Deutschen Bundes bauen und den Einsturz in Ruhe
abwarten. So lange Jeder von uns die Ueberzeugung hat, daß
ein Theil des europäischen Schachbretts uns nach unserm eignen
Willen verschlossen bleibt oder daß wir uns einen Arm prinzipiell
festbinden, während jeder Andre beide zu unserm Nachtheil be¬
nutzt, wird man diese unsre Gemüthlichkeit ohne Furcht und ohne
Dank benutzen. Ich verlange ja garnicht, daß wir mit Frankreich
ein Bündniß schließen und gegen Deutschland conspiriren sollen;
aber ist es nicht vernünftiger, mit den Franzosen, so lange sie uns
in Ruhe lassen, auf freundlichem als auf kühlem Fuße zu stehn?
Ich will nichts weiter als andern Leuten den Glauben benehmen,
sie könnten sich verbrüdern, mit wem sie wollten, aber wir würden
eher Riemen aus unsrer Haut schneiden lassen, als dieselbe mit
französischer Hülfe vertheidigen. Höflichkeit ist eine wohlfeile Münze;
und wenn sie auch nur dahin führt, daß die Andern nicht mehr

Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 11

Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich.
willen angefangen. Aber ſie haben im Gegentheil uns in der
Durchmarſchfrage genirt, ſo viel ſie konnten, uns verleumdet, uns
Baden abwendig gemacht, und jetzt in Paris ſind ſie mit England
unſre Gegner geweſen. Ich weiß von den Franzoſen und von
Kiſſeleff, daß in allen Beſprechungen, wo Hübner ohne Hatzfeldt
geweſen iſt, und das waren grade die entſcheidenden, er ſtets der
Erſte war, ſich dem engliſchen Widerſpruch gegen uns anzuſchließen;
dann iſt Frankreich gefolgt, dann Rußland. Warum ſollte aber
überhaupt Jemand etwas für uns in Neuenburg thun und ſich
für unſre Intereſſen einſetzen? hatte denn Jemand von uns etwas
dafür zu hoffen oder zu fürchten, wenn er uns den Gefallen that
oder nicht? Daß man in der Politik aus Gefälligkeit oder aus
allgemeinem Rechtsgefühl handelt, das dürfen Andre von uns,
wir aber nicht von ihnen erwarten.

Wollen wir ſo iſolirt, unbeachtet und gelegentlich ſchlecht be¬
handelt weiter leben, ſo habe ich freilich keine Macht, es zu ändern;
wollen wir aber wieder zu Anſehn gelangen, ſo erreichen wir
es unmöglich damit, daß wir unſer Fundament lediglich auf den
Sand des Deutſchen Bundes bauen und den Einſturz in Ruhe
abwarten. So lange Jeder von uns die Ueberzeugung hat, daß
ein Theil des europäiſchen Schachbretts uns nach unſerm eignen
Willen verſchloſſen bleibt oder daß wir uns einen Arm prinzipiell
feſtbinden, während jeder Andre beide zu unſerm Nachtheil be¬
nutzt, wird man dieſe unſre Gemüthlichkeit ohne Furcht und ohne
Dank benutzen. Ich verlange ja garnicht, daß wir mit Frankreich
ein Bündniß ſchließen und gegen Deutſchland conſpiriren ſollen;
aber iſt es nicht vernünftiger, mit den Franzoſen, ſo lange ſie uns
in Ruhe laſſen, auf freundlichem als auf kühlem Fuße zu ſtehn?
Ich will nichts weiter als andern Leuten den Glauben benehmen,
ſie könnten ſich verbrüdern, mit wem ſie wollten, aber wir würden
eher Riemen aus unſrer Haut ſchneiden laſſen, als dieſelbe mit
franzöſiſcher Hülfe vertheidigen. Höflichkeit iſt eine wohlfeile Münze;
und wenn ſie auch nur dahin führt, daß die Andern nicht mehr

Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 11
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0188" n="161"/><fw place="top" type="header">Briefwech&#x017F;el mit Gerlach über Frankreich.<lb/></fw>willen angefangen. Aber &#x017F;ie haben im Gegentheil uns in der<lb/>
Durchmar&#x017F;chfrage genirt, &#x017F;o viel &#x017F;ie konnten, uns verleumdet, uns<lb/>
Baden abwendig gemacht, und jetzt in Paris &#x017F;ind &#x017F;ie mit England<lb/>
un&#x017F;re Gegner gewe&#x017F;en. Ich weiß von den Franzo&#x017F;en und von<lb/>
Ki&#x017F;&#x017F;eleff, daß in allen Be&#x017F;prechungen, wo Hübner <hi rendition="#g">ohne</hi> Hatzfeldt<lb/>
gewe&#x017F;en i&#x017F;t, und das waren grade die ent&#x017F;cheidenden, er &#x017F;tets der<lb/>
Er&#x017F;te war, &#x017F;ich dem engli&#x017F;chen Wider&#x017F;pruch gegen uns anzu&#x017F;chließen;<lb/>
dann i&#x017F;t Frankreich gefolgt, dann Rußland. Warum &#x017F;ollte aber<lb/>
überhaupt <hi rendition="#g">Jemand</hi> etwas für uns in Neuenburg thun und &#x017F;ich<lb/>
für un&#x017F;re Intere&#x017F;&#x017F;en ein&#x017F;etzen? hatte denn Jemand von uns etwas<lb/>
dafür zu hoffen oder zu fürchten, wenn er uns den Gefallen that<lb/>
oder nicht? Daß man in der Politik aus Gefälligkeit oder aus<lb/>
allgemeinem Rechtsgefühl handelt, das dürfen Andre von <hi rendition="#g">uns</hi>,<lb/><hi rendition="#g">wir</hi> aber nicht von <hi rendition="#g">ihnen</hi> erwarten.</p><lb/>
          <p>Wollen wir &#x017F;o i&#x017F;olirt, unbeachtet und gelegentlich &#x017F;chlecht be¬<lb/>
handelt weiter leben, &#x017F;o habe ich freilich keine Macht, es zu ändern;<lb/>
wollen wir aber wieder zu An&#x017F;ehn gelangen, &#x017F;o erreichen wir<lb/>
es unmöglich damit, daß wir un&#x017F;er Fundament lediglich auf den<lb/>
Sand des Deut&#x017F;chen Bundes bauen und den Ein&#x017F;turz in Ruhe<lb/>
abwarten. So lange Jeder von uns die Ueberzeugung hat, daß<lb/>
ein Theil des europäi&#x017F;chen Schachbretts uns nach un&#x017F;erm eignen<lb/>
Willen ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en bleibt oder daß wir uns einen Arm prinzipiell<lb/>
fe&#x017F;tbinden, während jeder Andre beide zu un&#x017F;erm Nachtheil be¬<lb/>
nutzt, wird man die&#x017F;e un&#x017F;re Gemüthlichkeit ohne Furcht und ohne<lb/>
Dank benutzen. Ich verlange ja garnicht, daß wir mit Frankreich<lb/>
ein Bündniß &#x017F;chließen und gegen Deut&#x017F;chland con&#x017F;piriren &#x017F;ollen;<lb/>
aber i&#x017F;t es nicht vernünftiger, mit den Franzo&#x017F;en, &#x017F;o lange &#x017F;ie uns<lb/>
in Ruhe la&#x017F;&#x017F;en, auf freundlichem als auf kühlem Fuße zu &#x017F;tehn?<lb/>
Ich will nichts weiter als andern Leuten den Glauben benehmen,<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;ie</hi> könnten &#x017F;ich verbrüdern, mit wem &#x017F;ie wollten, aber <hi rendition="#g">wir</hi> würden<lb/>
eher Riemen aus un&#x017F;rer Haut &#x017F;chneiden la&#x017F;&#x017F;en, als die&#x017F;elbe mit<lb/>
franzö&#x017F;i&#x017F;cher Hülfe vertheidigen. Höflichkeit i&#x017F;t eine wohlfeile Münze;<lb/>
und wenn &#x017F;ie auch nur dahin führt, daß die Andern nicht mehr<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Otto Für&#x017F;t von Bismarck</hi>, Gedanken und Erinnerungen. <hi rendition="#aq">I</hi>. 11<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0188] Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich. willen angefangen. Aber ſie haben im Gegentheil uns in der Durchmarſchfrage genirt, ſo viel ſie konnten, uns verleumdet, uns Baden abwendig gemacht, und jetzt in Paris ſind ſie mit England unſre Gegner geweſen. Ich weiß von den Franzoſen und von Kiſſeleff, daß in allen Beſprechungen, wo Hübner ohne Hatzfeldt geweſen iſt, und das waren grade die entſcheidenden, er ſtets der Erſte war, ſich dem engliſchen Widerſpruch gegen uns anzuſchließen; dann iſt Frankreich gefolgt, dann Rußland. Warum ſollte aber überhaupt Jemand etwas für uns in Neuenburg thun und ſich für unſre Intereſſen einſetzen? hatte denn Jemand von uns etwas dafür zu hoffen oder zu fürchten, wenn er uns den Gefallen that oder nicht? Daß man in der Politik aus Gefälligkeit oder aus allgemeinem Rechtsgefühl handelt, das dürfen Andre von uns, wir aber nicht von ihnen erwarten. Wollen wir ſo iſolirt, unbeachtet und gelegentlich ſchlecht be¬ handelt weiter leben, ſo habe ich freilich keine Macht, es zu ändern; wollen wir aber wieder zu Anſehn gelangen, ſo erreichen wir es unmöglich damit, daß wir unſer Fundament lediglich auf den Sand des Deutſchen Bundes bauen und den Einſturz in Ruhe abwarten. So lange Jeder von uns die Ueberzeugung hat, daß ein Theil des europäiſchen Schachbretts uns nach unſerm eignen Willen verſchloſſen bleibt oder daß wir uns einen Arm prinzipiell feſtbinden, während jeder Andre beide zu unſerm Nachtheil be¬ nutzt, wird man dieſe unſre Gemüthlichkeit ohne Furcht und ohne Dank benutzen. Ich verlange ja garnicht, daß wir mit Frankreich ein Bündniß ſchließen und gegen Deutſchland conſpiriren ſollen; aber iſt es nicht vernünftiger, mit den Franzoſen, ſo lange ſie uns in Ruhe laſſen, auf freundlichem als auf kühlem Fuße zu ſtehn? Ich will nichts weiter als andern Leuten den Glauben benehmen, ſie könnten ſich verbrüdern, mit wem ſie wollten, aber wir würden eher Riemen aus unſrer Haut ſchneiden laſſen, als dieſelbe mit franzöſiſcher Hülfe vertheidigen. Höflichkeit iſt eine wohlfeile Münze; und wenn ſie auch nur dahin führt, daß die Andern nicht mehr Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 11

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/188
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/188>, abgerufen am 12.05.2024.