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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Achtes Kapitel: Besuch in Paris.
glauben, Frankreichs seien sie gegen uns immer sicher und wir
jeder Zeit hülfsbedürftig gegen Frankreich, so ist das für Friedens¬
diplomatie ein großer Gewinn; wenn wir diese Hülfsmittel ver¬
schmähn, sogar das Gegentheil thun, so weiß ich nicht, warum wir
nicht lieber die Kosten der Diplomatie sparen oder reduciren, denn
diese Kaste vermag mit allen Arbeiten nicht zu Wege zu bringen,
was der König mit geringer Mühe kann, nämlich Preußen eine
angesehne Stellung im Frieden durch den Anschein von freund¬
lichen Beziehungen und möglichen Verbindungen wiederzugeben.
Nicht minder vermag Se. Majestät durch ein [Zur]schautragen
kühler Verhältnisse leicht alle Arbeit der Diplomaten zu lähmen;
denn was soll ich hier oder einer unsrer andern Gesandten durch¬
setzen, wenn wir den Eindruck machen, ohne Freunde zu sein oder
auf Oestreichs Freundschaft zu rechnen. Man muß nach Berlin
kommen, um nicht ausgelacht zu werden, wenn man von Oestreichs
Unterstützung in irgend einer für uns erheblichen Frage sprechen
will. Und selbst in Berlin kenne ich doch nachgrade nur einen
sehr kleinen Kreis, bei dem das Gefühl der Bitterkeit nicht durch¬
bräche, sobald von unsrer auswärtigen Politik die Rede ist. Unser
Recept für alle Uebel ist, uns an die Brust des Grafen Buol zu
werfen und ihm unser brüderliches Herz auszuschütten. Ich erlebte
in Paris, daß ein Graf So und So gegen seine Frau auf Schei¬
dung klagte, nachdem er sie, eine ehemalige Kunstreiterin, zum
24. Male im flagranten Ehebruch betroffen hatte; er wurde als
ein Muster von galantem und nachsichtigem Ehemann von seinem
Advocaten vor Gericht gerühmt, aber gegen unsern Edelmuth mit
Oestreich kann er sich doch nicht messen.

Unsre innern Verhältnisse leiden unter ihren eignen Fehlern
kaum mehr, als unter dem peinlichen und allgemeinen Gefühl
unsres Verlustes an Ansehn im Auslande und der gänzlich passiven
Rolle unsrer Politik. Wir sind eine eitle Nation, es ist uns
schon empfindlich, wenn wir nicht renommiren können, und einer
Regirung, die uns nach außen hin Bedeutung gibt, halten wir

Achtes Kapitel: Beſuch in Paris.
glauben, Frankreichs ſeien ſie gegen uns immer ſicher und wir
jeder Zeit hülfsbedürftig gegen Frankreich, ſo iſt das für Friedens¬
diplomatie ein großer Gewinn; wenn wir dieſe Hülfsmittel ver¬
ſchmähn, ſogar das Gegentheil thun, ſo weiß ich nicht, warum wir
nicht lieber die Koſten der Diplomatie ſparen oder reduciren, denn
dieſe Kaſte vermag mit allen Arbeiten nicht zu Wege zu bringen,
was der König mit geringer Mühe kann, nämlich Preußen eine
angeſehne Stellung im Frieden durch den Anſchein von freund¬
lichen Beziehungen und möglichen Verbindungen wiederzugeben.
Nicht minder vermag Se. Majeſtät durch ein [Zur]ſchautragen
kühler Verhältniſſe leicht alle Arbeit der Diplomaten zu lähmen;
denn was ſoll ich hier oder einer unſrer andern Geſandten durch¬
ſetzen, wenn wir den Eindruck machen, ohne Freunde zu ſein oder
auf Oeſtreichs Freundſchaft zu rechnen. Man muß nach Berlin
kommen, um nicht ausgelacht zu werden, wenn man von Oeſtreichs
Unterſtützung in irgend einer für uns erheblichen Frage ſprechen
will. Und ſelbſt in Berlin kenne ich doch nachgrade nur einen
ſehr kleinen Kreis, bei dem das Gefühl der Bitterkeit nicht durch¬
bräche, ſobald von unſrer auswärtigen Politik die Rede iſt. Unſer
Recept für alle Uebel iſt, uns an die Bruſt des Grafen Buol zu
werfen und ihm unſer brüderliches Herz auszuſchütten. Ich erlebte
in Paris, daß ein Graf So und So gegen ſeine Frau auf Schei¬
dung klagte, nachdem er ſie, eine ehemalige Kunſtreiterin, zum
24. Male im flagranten Ehebruch betroffen hatte; er wurde als
ein Muſter von galantem und nachſichtigem Ehemann von ſeinem
Advocaten vor Gericht gerühmt, aber gegen unſern Edelmuth mit
Oeſtreich kann er ſich doch nicht meſſen.

Unſre innern Verhältniſſe leiden unter ihren eignen Fehlern
kaum mehr, als unter dem peinlichen und allgemeinen Gefühl
unſres Verluſtes an Anſehn im Auslande und der gänzlich paſſiven
Rolle unſrer Politik. Wir ſind eine eitle Nation, es iſt uns
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[162/0189] Achtes Kapitel: Beſuch in Paris. glauben, Frankreichs ſeien ſie gegen uns immer ſicher und wir jeder Zeit hülfsbedürftig gegen Frankreich, ſo iſt das für Friedens¬ diplomatie ein großer Gewinn; wenn wir dieſe Hülfsmittel ver¬ ſchmähn, ſogar das Gegentheil thun, ſo weiß ich nicht, warum wir nicht lieber die Koſten der Diplomatie ſparen oder reduciren, denn dieſe Kaſte vermag mit allen Arbeiten nicht zu Wege zu bringen, was der König mit geringer Mühe kann, nämlich Preußen eine angeſehne Stellung im Frieden durch den Anſchein von freund¬ lichen Beziehungen und möglichen Verbindungen wiederzugeben. Nicht minder vermag Se. Majeſtät durch ein [Zur]ſchautragen kühler Verhältniſſe leicht alle Arbeit der Diplomaten zu lähmen; denn was ſoll ich hier oder einer unſrer andern Geſandten durch¬ ſetzen, wenn wir den Eindruck machen, ohne Freunde zu ſein oder auf Oeſtreichs Freundſchaft zu rechnen. Man muß nach Berlin kommen, um nicht ausgelacht zu werden, wenn man von Oeſtreichs Unterſtützung in irgend einer für uns erheblichen Frage ſprechen will. Und ſelbſt in Berlin kenne ich doch nachgrade nur einen ſehr kleinen Kreis, bei dem das Gefühl der Bitterkeit nicht durch¬ bräche, ſobald von unſrer auswärtigen Politik die Rede iſt. Unſer Recept für alle Uebel iſt, uns an die Bruſt des Grafen Buol zu werfen und ihm unſer brüderliches Herz auszuſchütten. Ich erlebte in Paris, daß ein Graf So und So gegen ſeine Frau auf Schei¬ dung klagte, nachdem er ſie, eine ehemalige Kunſtreiterin, zum 24. Male im flagranten Ehebruch betroffen hatte; er wurde als ein Muſter von galantem und nachſichtigem Ehemann von ſeinem Advocaten vor Gericht gerühmt, aber gegen unſern Edelmuth mit Oeſtreich kann er ſich doch nicht meſſen. Unſre innern Verhältniſſe leiden unter ihren eignen Fehlern kaum mehr, als unter dem peinlichen und allgemeinen Gefühl unſres Verluſtes an Anſehn im Auslande und der gänzlich paſſiven Rolle unſrer Politik. Wir ſind eine eitle Nation, es iſt uns ſchon empfindlich, wenn wir nicht renommiren können, und einer Regirung, die uns nach außen hin Bedeutung gibt, halten wir

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/189>, abgerufen am 23.11.2024.