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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Achtes Kapitel: Besuch in Paris.
merkwürdig zu sehn, wie Oestreich die stärksten Anstrengungen
mache, um hinein zu gerathen. Ich frage noch weiter und bitte
Sie, mich in Antwort nicht mit einer ausweichenden Wendung ab¬
zufinden: gibt es nächst Oestreich Regirungen, die weniger den
Beruf fühlen, etwas für Preußen zu thun, als die deutschen
Mittelstaaten? Im Frieden haben sie das Bedürfniß, am Bunde
und im Zollverein Rollen zu spielen, ihre Souveränetät an unsern
Gränzen geltend zu machen, sich mit von der Heydt zu zanken, und
im Kriege wird ihr Verhalten durch Furcht oder Mißtrauen für
oder gegen uns bedingt, und das Mißtrauen wird ihnen kein Engel
ausreden können, so lange es noch Landkarten gibt, auf die sie
einen Blick werfen können. Und nun noch eine Frage: Glauben
Sie denn und glaubt Se. Majestät der König wirklich noch an
den Deutschen Bund und seine Armee für den Kriegsfall? ich meine
nicht für den Fall eines französischen Revolutionskrieges gegen
Deutschland im Bunde mit Rußland, sondern in einem Interessen¬
kriege, bei dem Deutschland mit Preußen und Oestreich auf ihren
alleinigen Füßen zu stehn angewiesen wären. Glauben Sie daran,
so kann ich allerdings nicht weiter discutiren, denn unsre Prämissen
wären zu verschieden. Was könnte Sie aber berechtigen, daran
zu glauben, daß die Großherzöge von Baden und Darmstadt, der
König von Würtemberg oder Baiern den Leonidas für Preußen
und Oestreich machen sollten, wenn die Uebermacht nicht auf deren
Seite ist und niemand an Einheit und Vertrauen zwischen beiden,
Preußen und Oestreich nämlich, auch nur den mäßigsten Grund
hat zu glauben? Schwerlich wird der König Max in Fontainebleau
dem Napoleon sagen, daß er nur über seine Leiche die Gränze
Deutschlands oder Oestreichs passiren werde.

Ganz erstaunt bin ich, in Ihrem Briefe zu lesen, daß die
Oestreicher behaupten, sie hätten uns in Neuenburg mehr verschafft
als die Franzosen. So unverschämt im Lügen ist doch nur Oest¬
reich; wenn sie gewollt hätten, so hätten sie es nicht gekonnt und
mit Frankreich und England wahrlich keine Händel um unsert¬

Achtes Kapitel: Beſuch in Paris.
merkwürdig zu ſehn, wie Oeſtreich die ſtärkſten Anſtrengungen
mache, um hinein zu gerathen. Ich frage noch weiter und bitte
Sie, mich in Antwort nicht mit einer ausweichenden Wendung ab¬
zufinden: gibt es nächſt Oeſtreich Regirungen, die weniger den
Beruf fühlen, etwas für Preußen zu thun, als die deutſchen
Mittelſtaaten? Im Frieden haben ſie das Bedürfniß, am Bunde
und im Zollverein Rollen zu ſpielen, ihre Souveränetät an unſern
Gränzen geltend zu machen, ſich mit von der Heydt zu zanken, und
im Kriege wird ihr Verhalten durch Furcht oder Mißtrauen für
oder gegen uns bedingt, und das Mißtrauen wird ihnen kein Engel
ausreden können, ſo lange es noch Landkarten gibt, auf die ſie
einen Blick werfen können. Und nun noch eine Frage: Glauben
Sie denn und glaubt Se. Majeſtät der König wirklich noch an
den Deutſchen Bund und ſeine Armee für den Kriegsfall? ich meine
nicht für den Fall eines franzöſiſchen Revolutionskrieges gegen
Deutſchland im Bunde mit Rußland, ſondern in einem Intereſſen¬
kriege, bei dem Deutſchland mit Preußen und Oeſtreich auf ihren
alleinigen Füßen zu ſtehn angewieſen wären. Glauben Sie daran,
ſo kann ich allerdings nicht weiter diſcutiren, denn unſre Prämiſſen
wären zu verſchieden. Was könnte Sie aber berechtigen, daran
zu glauben, daß die Großherzöge von Baden und Darmſtadt, der
König von Würtemberg oder Baiern den Leonidas für Preußen
und Oeſtreich machen ſollten, wenn die Uebermacht nicht auf deren
Seite iſt und niemand an Einheit und Vertrauen zwiſchen beiden,
Preußen und Oeſtreich nämlich, auch nur den mäßigſten Grund
hat zu glauben? Schwerlich wird der König Max in Fontainebleau
dem Napoleon ſagen, daß er nur über ſeine Leiche die Gränze
Deutſchlands oder Oeſtreichs paſſiren werde.

Ganz erſtaunt bin ich, in Ihrem Briefe zu leſen, daß die
Oeſtreicher behaupten, ſie hätten uns in Neuenburg mehr verſchafft
als die Franzoſen. So unverſchämt im Lügen iſt doch nur Oeſt¬
reich; wenn ſie gewollt hätten, ſo hätten ſie es nicht gekonnt und
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[160/0187] Achtes Kapitel: Beſuch in Paris. merkwürdig zu ſehn, wie Oeſtreich die ſtärkſten Anſtrengungen mache, um hinein zu gerathen. Ich frage noch weiter und bitte Sie, mich in Antwort nicht mit einer ausweichenden Wendung ab¬ zufinden: gibt es nächſt Oeſtreich Regirungen, die weniger den Beruf fühlen, etwas für Preußen zu thun, als die deutſchen Mittelſtaaten? Im Frieden haben ſie das Bedürfniß, am Bunde und im Zollverein Rollen zu ſpielen, ihre Souveränetät an unſern Gränzen geltend zu machen, ſich mit von der Heydt zu zanken, und im Kriege wird ihr Verhalten durch Furcht oder Mißtrauen für oder gegen uns bedingt, und das Mißtrauen wird ihnen kein Engel ausreden können, ſo lange es noch Landkarten gibt, auf die ſie einen Blick werfen können. Und nun noch eine Frage: Glauben Sie denn und glaubt Se. Majeſtät der König wirklich noch an den Deutſchen Bund und ſeine Armee für den Kriegsfall? ich meine nicht für den Fall eines franzöſiſchen Revolutionskrieges gegen Deutſchland im Bunde mit Rußland, ſondern in einem Intereſſen¬ kriege, bei dem Deutſchland mit Preußen und Oeſtreich auf ihren alleinigen Füßen zu ſtehn angewieſen wären. Glauben Sie daran, ſo kann ich allerdings nicht weiter diſcutiren, denn unſre Prämiſſen wären zu verſchieden. Was könnte Sie aber berechtigen, daran zu glauben, daß die Großherzöge von Baden und Darmſtadt, der König von Würtemberg oder Baiern den Leonidas für Preußen und Oeſtreich machen ſollten, wenn die Uebermacht nicht auf deren Seite iſt und niemand an Einheit und Vertrauen zwiſchen beiden, Preußen und Oeſtreich nämlich, auch nur den mäßigſten Grund hat zu glauben? Schwerlich wird der König Max in Fontainebleau dem Napoleon ſagen, daß er nur über ſeine Leiche die Gränze Deutſchlands oder Oeſtreichs paſſiren werde. Ganz erſtaunt bin ich, in Ihrem Briefe zu leſen, daß die Oeſtreicher behaupten, ſie hätten uns in Neuenburg mehr verſchafft als die Franzoſen. So unverſchämt im Lügen iſt doch nur Oeſt¬ reich; wenn ſie gewollt hätten, ſo hätten ſie es nicht gekonnt und mit Frankreich und England wahrlich keine Händel um unſert¬

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/187>, abgerufen am 24.11.2024.