Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Briefwechsel mit Gerlach über Frankreich. unter den Großmächten ist. Bündnisse sind der Ausdruck gemein¬samer Interessen und Absichten. Ob wir Absichten und bewußte Ziele unsrer Politik überhaupt jetzt haben, weiß ich nicht; aber daß wir Interessen haben, daran werden uns Andre schon erinnern. Wir aber haben die Wahrscheinlichkeit eines Bündnisses bisher nur mit denen, deren Interessen sich mit den unsrigen am mannig¬ fachsten kreuzen und ihnen widersprechen, nämlich mit den deutschen Staaten und Oestreich. Wollen wir damit unsre auswärtige Politik abgeschlossen betrachten, so müssen wir uns auch mit dem Gedanken vertraut machen, in Friedenszeiten unsern europäischen Einfluß auf ein Siebzehntel der Stimmen des engern Rathes im Bunde reducirt zu sehn und im Kriegsfalle mit der Bundesverfassung in der Hand allein im Taxis'schen Palais übrig zu bleiben. Ich frage Sie, ob es in Europa ein Cabinet gibt, welches mehr als das Wiener ein gebornes und natürliches Interesse daran hat, Preußen nicht stärker werden zu lassen, sondern seinen Einfluß in Deutschland zu min¬ dern; ob es ein Cabinet gibt, welches diesen Zweck eifriger und geschickter verfolgt, welches überhaupt kühler und cynischer nur seine eignen Interessen zur Richtschnur seiner Politik nimmt, und welches uns, den Russen und den Westmächten mehr und schlagen¬ dere Beweise von Perfidie und Unzuverlässigkeit für Bundesgenossen gegeben hat? Genirt sich denn Oestreich etwa mit dem Auslande jede seinem Vortheil entsprechende Verbindung einzugehn und sogar die Theilnehmer des Deutschen Bundes vermöge solcher Verbindungen offen zu bedrohen? Halten Sie den Kaiser Franz Joseph für eine aufopfernde, hingebende Natur überhaupt und insbesondre für außer¬ östreichische Interessen? Finden Sie zwischen seiner Buol-Bach'schen Regirungsweise und der Napoleonischen vom Standpunkte des ,Prinzips' einen Unterschied? Der Träger der letztern sagte mir in Paris, es sei für ihn ,qui fais tous les efforts pour sortir de ce systeme de centralisation trop tendue qui en dernier lieu a pour pivot un gend'arme-secretaire et que je considere comme une des causes principales des malheurs de la France' sehr Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich. unter den Großmächten iſt. Bündniſſe ſind der Ausdruck gemein¬ſamer Intereſſen und Abſichten. Ob wir Abſichten und bewußte Ziele unſrer Politik überhaupt jetzt haben, weiß ich nicht; aber daß wir Intereſſen haben, daran werden uns Andre ſchon erinnern. Wir aber haben die Wahrſcheinlichkeit eines Bündniſſes bisher nur mit denen, deren Intereſſen ſich mit den unſrigen am mannig¬ fachſten kreuzen und ihnen widerſprechen, nämlich mit den deutſchen Staaten und Oeſtreich. Wollen wir damit unſre auswärtige Politik abgeſchloſſen betrachten, ſo müſſen wir uns auch mit dem Gedanken vertraut machen, in Friedenszeiten unſern europäiſchen Einfluß auf ein Siebzehntel der Stimmen des engern Rathes im Bunde reducirt zu ſehn und im Kriegsfalle mit der Bundesverfaſſung in der Hand allein im Taxis'ſchen Palais übrig zu bleiben. Ich frage Sie, ob es in Europa ein Cabinet gibt, welches mehr als das Wiener ein gebornes und natürliches Intereſſe daran hat, Preußen nicht ſtärker werden zu laſſen, ſondern ſeinen Einfluß in Deutſchland zu min¬ dern; ob es ein Cabinet gibt, welches dieſen Zweck eifriger und geſchickter verfolgt, welches überhaupt kühler und cyniſcher nur ſeine eignen Intereſſen zur Richtſchnur ſeiner Politik nimmt, und welches uns, den Ruſſen und den Weſtmächten mehr und ſchlagen¬ dere Beweiſe von Perfidie und Unzuverläſſigkeit für Bundesgenoſſen gegeben hat? Genirt ſich denn Oeſtreich etwa mit dem Auslande jede ſeinem Vortheil entſprechende Verbindung einzugehn und ſogar die Theilnehmer des Deutſchen Bundes vermöge ſolcher Verbindungen offen zu bedrohen? Halten Sie den Kaiſer Franz Joſeph für eine aufopfernde, hingebende Natur überhaupt und insbeſondre für außer¬ öſtreichiſche Intereſſen? Finden Sie zwiſchen ſeiner Buol-Bach'ſchen Regirungsweiſe und der Napoleoniſchen vom Standpunkte des ,Prinzips' einen Unterſchied? Der Träger der letztern ſagte mir in Paris, es ſei für ihn ,qui fais tous les efforts pour sortir de ce système de centralisation trop tendue qui en dernier lieu a pour pivot un gend'arme-sécrétaire et que je considère comme une des causes principales des malheurs de la France‘ ſehr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0186" n="159"/><fw place="top" type="header">Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich.<lb/></fw>unter den Großmächten iſt. 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Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich.
unter den Großmächten iſt. Bündniſſe ſind der Ausdruck gemein¬
ſamer Intereſſen und Abſichten. Ob wir Abſichten und bewußte
Ziele unſrer Politik überhaupt jetzt haben, weiß ich nicht; aber daß
wir Intereſſen haben, daran werden uns Andre ſchon erinnern.
Wir aber haben die Wahrſcheinlichkeit eines Bündniſſes bisher nur
mit denen, deren Intereſſen ſich mit den unſrigen am mannig¬
fachſten kreuzen und ihnen widerſprechen, nämlich mit den deutſchen
Staaten und Oeſtreich. Wollen wir damit unſre auswärtige Politik
abgeſchloſſen betrachten, ſo müſſen wir uns auch mit dem Gedanken
vertraut machen, in Friedenszeiten unſern europäiſchen Einfluß auf
ein Siebzehntel der Stimmen des engern Rathes im Bunde reducirt
zu ſehn und im Kriegsfalle mit der Bundesverfaſſung in der Hand
allein im Taxis'ſchen Palais übrig zu bleiben. Ich frage Sie, ob
es in Europa ein Cabinet gibt, welches mehr als das Wiener ein
gebornes und natürliches Intereſſe daran hat, Preußen nicht ſtärker
werden zu laſſen, ſondern ſeinen Einfluß in Deutſchland zu min¬
dern; ob es ein Cabinet gibt, welches dieſen Zweck eifriger und
geſchickter verfolgt, welches überhaupt kühler und cyniſcher nur
ſeine eignen Intereſſen zur Richtſchnur ſeiner Politik nimmt, und
welches uns, den Ruſſen und den Weſtmächten mehr und ſchlagen¬
dere Beweiſe von Perfidie und Unzuverläſſigkeit für Bundesgenoſſen
gegeben hat? Genirt ſich denn Oeſtreich etwa mit dem Auslande
jede ſeinem Vortheil entſprechende Verbindung einzugehn und ſogar
die Theilnehmer des Deutſchen Bundes vermöge ſolcher Verbindungen
offen zu bedrohen? Halten Sie den Kaiſer Franz Joſeph für eine
aufopfernde, hingebende Natur überhaupt und insbeſondre für außer¬
öſtreichiſche Intereſſen? Finden Sie zwiſchen ſeiner Buol-Bach'ſchen
Regirungsweiſe und der Napoleoniſchen vom Standpunkte des
,Prinzips' einen Unterſchied? Der Träger der letztern ſagte mir
in Paris, es ſei für ihn ,qui fais tous les efforts pour sortir
de ce système de centralisation trop tendue qui en dernier lieu
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