Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Auszüge aus Gerlachs Briefen. Ministerkrisen. Rußland so weit festzuhalten, daß wir diesem bis dahin befreundetenNachbar gegenüber nicht direct feindlich auftraten, dann spitzte sich die Sache in der Regel dahin zu, daß eine Cabinetskrisis zwischen dem Könige und dem Ministerpräsidenten entstand und der erstre dem letztern gelegentlich mit mir oder auch mit dem Grafen Alvensleben drohte, in einem Falle auch, im Winter 1854, mit dem Grafen Albert Pourtales aus der Bethmann-Hollwegschen Coterie, obschon dessen Auffassung der auswärtigen Politik die entgegengesetzte von der meinigen und auch mit der des Grafen Alvensleben schwerlich verträglich war. Das Ende der Krisis führte den König und den Minister stets 1) S. u. S. 138. 2) Vgl. die Aeußerung in der Reichstagsrede vom 6. Febr. 1888, Poli¬
tische Reden XII 448 f. Auszüge aus Gerlachs Briefen. Miniſterkriſen. Rußland ſo weit feſtzuhalten, daß wir dieſem bis dahin befreundetenNachbar gegenüber nicht direct feindlich auftraten, dann ſpitzte ſich die Sache in der Regel dahin zu, daß eine Cabinetskriſis zwiſchen dem Könige und dem Miniſterpräſidenten entſtand und der erſtre dem letztern gelegentlich mit mir oder auch mit dem Grafen Alvensleben drohte, in einem Falle auch, im Winter 1854, mit dem Grafen Albert Pourtalès aus der Bethmann-Hollwegſchen Coterie, obſchon deſſen Auffaſſung der auswärtigen Politik die entgegengeſetzte von der meinigen und auch mit der des Grafen Alvensleben ſchwerlich verträglich war. Das Ende der Kriſis führte den König und den Miniſter ſtets 1) S. u. S. 138. 2) Vgl. die Aeußerung in der Reichstagsrede vom 6. Febr. 1888, Poli¬
tiſche Reden XII 448 f. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0136" n="109"/><fw place="top" type="header">Auszüge aus Gerlachs Briefen. Miniſterkriſen.<lb/></fw> Rußland ſo weit feſtzuhalten, daß wir dieſem bis dahin befreundeten<lb/> Nachbar gegenüber nicht direct feindlich auftraten, dann ſpitzte<lb/> ſich die Sache in der Regel dahin zu, daß eine Cabinetskriſis<lb/> zwiſchen dem Könige und dem Miniſterpräſidenten entſtand und<lb/> der erſtre dem letztern gelegentlich mit mir oder auch mit dem<lb/> Grafen Alvensleben drohte, in einem Falle auch, im Winter 1854,<lb/> mit dem Grafen Albert Pourtal<hi rendition="#aq">è</hi>s aus der Bethmann-Hollwegſchen<lb/> Coterie, obſchon deſſen Auffaſſung der auswärtigen Politik die<lb/> entgegengeſetzte von der meinigen und auch mit der des Grafen<lb/> Alvensleben ſchwerlich verträglich war.</p><lb/> <p>Das Ende der Kriſis führte den König und den Miniſter ſtets<lb/> wieder zuſammen. Von den drei Gegencandidaten hatte Graf Alvens¬<lb/> leben ziemlich öffentlich erklärt, er würde unter dieſem Monarchen<lb/> nie wieder ein Amt annehmen. Der König wollte mich zu ihm<lb/> nach Erxleben ſchicken; ich rieth davon ab, weil Alvensleben mir<lb/> vor kurzem obige Erklärung mit Bitterkeit in Frankfurt wiederholt<lb/> hatte. Als wir uns ſpäter wiederſahen, war ſeine Verſtimmung<lb/> gehoben, er war geneigt, einer Aufforderung Sr. Majeſtät ent¬<lb/> gegen zu kommen, und wünſchte, daß ich in dem Falle mit ihm<lb/> eintreten möge. Der König iſt aber mir gegenüber nicht auf<lb/> Alvensleben zurückgekommen, vielleicht weil in der Zeit nach mei¬<lb/> nem Beſuche in Paris (Auguſt 1855) eine Erkältung am Hofe,<lb/> und namentlich bei Ihrer Majeſtät der Königin mir gegenüber ein¬<lb/> getreten war. Graf Pourtal<hi rendition="#aq">è</hi>s war dem Könige wegen ſeines Reich¬<lb/> thums „zu unabhängig“<note place="foot" n="1)"><lb/> S. u. S. 138.</note>. Der König war der Meinung, daß arme<lb/> und auf Gehalt angewieſene Miniſter gehorſamer wären. Ich<lb/> ſelbſt entzog mich der verantwortlichen Stellung unter dieſem Herrn,<lb/> wie ich konnte, und ſöhnte ihn immer wieder mit Manteuffel aus,<lb/> den ich zu dieſem Zwecke auf dem Lande (Drahnsdorf) beſuchte<note place="foot" n="2)"><lb/> Vgl. die Aeußerung in der Reichstagsrede vom 6. Febr. 1888, Poli¬<lb/> tiſche Reden <hi rendition="#aq">XII</hi> 448 f.</note>.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [109/0136]
Auszüge aus Gerlachs Briefen. Miniſterkriſen.
Rußland ſo weit feſtzuhalten, daß wir dieſem bis dahin befreundeten
Nachbar gegenüber nicht direct feindlich auftraten, dann ſpitzte
ſich die Sache in der Regel dahin zu, daß eine Cabinetskriſis
zwiſchen dem Könige und dem Miniſterpräſidenten entſtand und
der erſtre dem letztern gelegentlich mit mir oder auch mit dem
Grafen Alvensleben drohte, in einem Falle auch, im Winter 1854,
mit dem Grafen Albert Pourtalès aus der Bethmann-Hollwegſchen
Coterie, obſchon deſſen Auffaſſung der auswärtigen Politik die
entgegengeſetzte von der meinigen und auch mit der des Grafen
Alvensleben ſchwerlich verträglich war.
Das Ende der Kriſis führte den König und den Miniſter ſtets
wieder zuſammen. Von den drei Gegencandidaten hatte Graf Alvens¬
leben ziemlich öffentlich erklärt, er würde unter dieſem Monarchen
nie wieder ein Amt annehmen. Der König wollte mich zu ihm
nach Erxleben ſchicken; ich rieth davon ab, weil Alvensleben mir
vor kurzem obige Erklärung mit Bitterkeit in Frankfurt wiederholt
hatte. Als wir uns ſpäter wiederſahen, war ſeine Verſtimmung
gehoben, er war geneigt, einer Aufforderung Sr. Majeſtät ent¬
gegen zu kommen, und wünſchte, daß ich in dem Falle mit ihm
eintreten möge. Der König iſt aber mir gegenüber nicht auf
Alvensleben zurückgekommen, vielleicht weil in der Zeit nach mei¬
nem Beſuche in Paris (Auguſt 1855) eine Erkältung am Hofe,
und namentlich bei Ihrer Majeſtät der Königin mir gegenüber ein¬
getreten war. Graf Pourtalès war dem Könige wegen ſeines Reich¬
thums „zu unabhängig“ 1). Der König war der Meinung, daß arme
und auf Gehalt angewieſene Miniſter gehorſamer wären. Ich
ſelbſt entzog mich der verantwortlichen Stellung unter dieſem Herrn,
wie ich konnte, und ſöhnte ihn immer wieder mit Manteuffel aus,
den ich zu dieſem Zwecke auf dem Lande (Drahnsdorf) beſuchte 2).
1)
S. u. S. 138.
2)
Vgl. die Aeußerung in der Reichstagsrede vom 6. Febr. 1888, Poli¬
tiſche Reden XII 448 f.
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