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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg.
III.

In dieser Situation trieb die Wochenblattspartei, wie sie auch
genannt wurde, ein merkwürdiges Doppelspiel. Ich erinnere mich
der umfangreichen Denkschriften, welche die Herrn unter sich aus¬
tauschten und durch deren Mittheilung sie mitunter auch mich für
ihre Sache zu gewinnen suchten. Darin war als ein Ziel auf¬
gestellt, nach dem Preußen als Vorkämpfer Europas zu streben
hätte, die Zerstückelung Rußlands, der Verlust der Ostseeprovinzen
mit Einschluß von Petersburg an Preußen und Schweden, des
Gesammtgebiets der Republik Polen in ihrer größten Ausdehnung
und die Zersetzung des Ueberrestes durch Theilung zwischen Groß-
und Klein-Russen, abgesehn davon, daß fast die Mehrheit der
Klein-Russen schon dem Maximalgebiet der Republik Polen gehört
hatte. Zur Rechtfertigung dieses Programms wurde mit Vor¬
liebe die Theorie des Freiherrn von Haxthausen-Abbenburg (Studien
über die inneren Zustände, das Volksleben und insbesondere die
ländlichen Einrichtungen Rußlands) benutzt, daß die drei Zonen
mit ihren einander ergänzenden Producten den hundert Millionen
Russen, wenn sie vereinigt blieben, das Uebergewicht über Europa
sichern müßten.

Aus dieser Theorie wurde die Nothwendigkeit der Pflege des
natürlichen Bündnisses mit England entwickelt, mit dunkeln An¬
deutungen, daß England, wenn Preußen ihm mit seiner Armee
gegen Rußland diene, seinerseits die preußische Politik in dem
Sinne, den man damals den "Gothaer" nannte, fördern würde.
Von der angeblichen öffentlichen Meinung des englischen Volkes
im Bunde bald mit dem Prinzen Albert, welcher dem Könige und
dem Prinzen von Preußen unerbetene Lectionen ertheilte, bald mit
Lord Palmerston, der im November 1851 gegen eine Deputation
radicaler Vorstädter England als den einsichtigen Sekundanten
(judicious bottleholder) jedes für seine Freiheit kämpfenden Volkes

Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg.
III.

In dieſer Situation trieb die Wochenblattspartei, wie ſie auch
genannt wurde, ein merkwürdiges Doppelſpiel. Ich erinnere mich
der umfangreichen Denkſchriften, welche die Herrn unter ſich aus¬
tauſchten und durch deren Mittheilung ſie mitunter auch mich für
ihre Sache zu gewinnen ſuchten. Darin war als ein Ziel auf¬
geſtellt, nach dem Preußen als Vorkämpfer Europas zu ſtreben
hätte, die Zerſtückelung Rußlands, der Verluſt der Oſtſeeprovinzen
mit Einſchluß von Petersburg an Preußen und Schweden, des
Geſammtgebiets der Republik Polen in ihrer größten Ausdehnung
und die Zerſetzung des Ueberreſtes durch Theilung zwiſchen Groß-
und Klein-Ruſſen, abgeſehn davon, daß faſt die Mehrheit der
Klein-Ruſſen ſchon dem Maximalgebiet der Republik Polen gehört
hatte. Zur Rechtfertigung dieſes Programms wurde mit Vor¬
liebe die Theorie des Freiherrn von Haxthauſen-Abbenburg (Studien
über die inneren Zuſtände, das Volksleben und insbeſondere die
ländlichen Einrichtungen Rußlands) benutzt, daß die drei Zonen
mit ihren einander ergänzenden Producten den hundert Millionen
Ruſſen, wenn ſie vereinigt blieben, das Uebergewicht über Europa
ſichern müßten.

Aus dieſer Theorie wurde die Nothwendigkeit der Pflege des
natürlichen Bündniſſes mit England entwickelt, mit dunkeln An¬
deutungen, daß England, wenn Preußen ihm mit ſeiner Armee
gegen Rußland diene, ſeinerſeits die preußiſche Politik in dem
Sinne, den man damals den „Gothaer“ nannte, fördern würde.
Von der angeblichen öffentlichen Meinung des engliſchen Volkes
im Bunde bald mit dem Prinzen Albert, welcher dem Könige und
dem Prinzen von Preußen unerbetene Lectionen ertheilte, bald mit
Lord Palmerſton, der im November 1851 gegen eine Deputation
radicaler Vorſtädter England als den einſichtigen Sekundanten
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[110/0137] Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg. III. In dieſer Situation trieb die Wochenblattspartei, wie ſie auch genannt wurde, ein merkwürdiges Doppelſpiel. Ich erinnere mich der umfangreichen Denkſchriften, welche die Herrn unter ſich aus¬ tauſchten und durch deren Mittheilung ſie mitunter auch mich für ihre Sache zu gewinnen ſuchten. Darin war als ein Ziel auf¬ geſtellt, nach dem Preußen als Vorkämpfer Europas zu ſtreben hätte, die Zerſtückelung Rußlands, der Verluſt der Oſtſeeprovinzen mit Einſchluß von Petersburg an Preußen und Schweden, des Geſammtgebiets der Republik Polen in ihrer größten Ausdehnung und die Zerſetzung des Ueberreſtes durch Theilung zwiſchen Groß- und Klein-Ruſſen, abgeſehn davon, daß faſt die Mehrheit der Klein-Ruſſen ſchon dem Maximalgebiet der Republik Polen gehört hatte. Zur Rechtfertigung dieſes Programms wurde mit Vor¬ liebe die Theorie des Freiherrn von Haxthauſen-Abbenburg (Studien über die inneren Zuſtände, das Volksleben und insbeſondere die ländlichen Einrichtungen Rußlands) benutzt, daß die drei Zonen mit ihren einander ergänzenden Producten den hundert Millionen Ruſſen, wenn ſie vereinigt blieben, das Uebergewicht über Europa ſichern müßten. Aus dieſer Theorie wurde die Nothwendigkeit der Pflege des natürlichen Bündniſſes mit England entwickelt, mit dunkeln An¬ deutungen, daß England, wenn Preußen ihm mit ſeiner Armee gegen Rußland diene, ſeinerſeits die preußiſche Politik in dem Sinne, den man damals den „Gothaer“ nannte, fördern würde. Von der angeblichen öffentlichen Meinung des engliſchen Volkes im Bunde bald mit dem Prinzen Albert, welcher dem Könige und dem Prinzen von Preußen unerbetene Lectionen ertheilte, bald mit Lord Palmerſton, der im November 1851 gegen eine Deputation radicaler Vorſtädter England als den einſichtigen Sekundanten (judicious bottleholder) jedes für ſeine Freiheit kämpfenden Volkes

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/137>, abgerufen am 23.11.2024.