Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite
Viertes Kapitel: Diplomat.

Unter dem 15. Juli erfolgte meine Ernennung zum Bundes¬
tagsgesandten. Ungeachtet der Rücksicht, mit welcher er behandelt
wurde, war Herr von Rochow verstimmt und ließ mich die Ver¬
eitelung seines Wunsches entgelten, indem er Frankfurt eines
Morgens früh verließ, ohne mich von seiner Abreise unterrichtet
und mir die Geschäfte und die Akten übergeben zu haben. Von
andrer Seite benachrichtigt, kam ich zur rechten Zeit nach dem
Bahnhofe, um ihm meinen Dank für das mir bewiesene Wohl¬
wollen auszudrücken. -- Ueber meine Thätigkeit und meine Wahr¬
nehmungen am Bundestage ist so viel Amtliches und Privates ver¬
öffentlicht worden 1), daß mir nur eine Nachlese übrig bleibt.

Ich fand in Frankfurt zwei preußische Commissarien aus der
Zeit des Interim, den Oberpräsidenten von Boetticher, dessen Sohn
später als Staatssekretär und Minister mein Beistand sein sollte,
und den General von Peucker, der mir Gelegenheit zu meinen
ersten Studien über das Ordenswesen gab. Er war ein gescheidter,
tapferer Offizier von hoher wissenschaftlicher Bildung, die er später
als Generalinspecteur des Militär-Erziehungs- und Bildungswesens
verwerthen konnte. Im Jahre 1812 in dem York'schen Corps
dienend, hatte er durch Diebstahl seinen Mantel eingebüßt, den
Rückzug in der knappen Uniform machen müssen, sich die Zehen
erfroren und durch die Kälte anderweitige Schäden erlitten. Trotz
seiner äußerlichen Unschönheit gewann dieser kluge und tapfere
Offizier die Hand einer hübschen Gräfin Schulenburg, durch welche
später das reiche Erbe des Hauses Schenck von Flechtingen in der
Altmark an seinen Sohn gelangte. In merkwürdigem Contrast
mit seiner geistigen Bedeutung stand seine Schwäche für Aeußer¬
lichkeiten, die den Berliner Jargon um einen Ausdruck bereicherte.

1) Preußen im Bundestage 1851-1859. Documente der K. Preuß.
Bundestags-Gesandtschaft. Herausgegeben von Dr. Ritter v. Poschinger. 4 Bde.
Lpz. 1882-1884. -- Bismarck's Briefe an den General Leopold v. Gerlach.
Herausgegeben von H. Kohl. Berlin 1896. -- Bismarckbriefe. Herausgegeben
von H. Kohl. 7. Auflage. Bielefeld 1898 S. 106 ff.
Viertes Kapitel: Diplomat.

Unter dem 15. Juli erfolgte meine Ernennung zum Bundes¬
tagsgeſandten. Ungeachtet der Rückſicht, mit welcher er behandelt
wurde, war Herr von Rochow verſtimmt und ließ mich die Ver¬
eitelung ſeines Wunſches entgelten, indem er Frankfurt eines
Morgens früh verließ, ohne mich von ſeiner Abreiſe unterrichtet
und mir die Geſchäfte und die Akten übergeben zu haben. Von
andrer Seite benachrichtigt, kam ich zur rechten Zeit nach dem
Bahnhofe, um ihm meinen Dank für das mir bewieſene Wohl¬
wollen auszudrücken. — Ueber meine Thätigkeit und meine Wahr¬
nehmungen am Bundestage iſt ſo viel Amtliches und Privates ver¬
öffentlicht worden 1), daß mir nur eine Nachleſe übrig bleibt.

Ich fand in Frankfurt zwei preußiſche Commiſſarien aus der
Zeit des Interim, den Oberpräſidenten von Boetticher, deſſen Sohn
ſpäter als Staatsſekretär und Miniſter mein Beiſtand ſein ſollte,
und den General von Peucker, der mir Gelegenheit zu meinen
erſten Studien über das Ordensweſen gab. Er war ein geſcheidter,
tapferer Offizier von hoher wiſſenſchaftlicher Bildung, die er ſpäter
als Generalinſpecteur des Militär-Erziehungs- und Bildungsweſens
verwerthen konnte. Im Jahre 1812 in dem York'ſchen Corps
dienend, hatte er durch Diebſtahl ſeinen Mantel eingebüßt, den
Rückzug in der knappen Uniform machen müſſen, ſich die Zehen
erfroren und durch die Kälte anderweitige Schäden erlitten. Trotz
ſeiner äußerlichen Unſchönheit gewann dieſer kluge und tapfere
Offizier die Hand einer hübſchen Gräfin Schulenburg, durch welche
ſpäter das reiche Erbe des Hauſes Schenck von Flechtingen in der
Altmark an ſeinen Sohn gelangte. In merkwürdigem Contraſt
mit ſeiner geiſtigen Bedeutung ſtand ſeine Schwäche für Aeußer¬
lichkeiten, die den Berliner Jargon um einen Ausdruck bereicherte.

1) Preußen im Bundestage 1851–1859. Documente der K. Preuß.
Bundestags-Geſandtſchaft. Herausgegeben von Dr. Ritter v. Poſchinger. 4 Bde.
Lpz. 1882–1884. — Bismarck's Briefe an den General Leopold v. Gerlach.
Herausgegeben von H. Kohl. Berlin 1896. — Bismarckbriefe. Herausgegeben
von H. Kohl. 7. Auflage. Bielefeld 1898 S. 106 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0107" n="80"/>
        <fw place="top" type="header">Viertes Kapitel: Diplomat.<lb/></fw>
        <p>Unter dem 15. Juli erfolgte meine Ernennung zum Bundes¬<lb/>
tagsge&#x017F;andten. Ungeachtet der Rück&#x017F;icht, mit welcher er behandelt<lb/>
wurde, war Herr von Rochow ver&#x017F;timmt und ließ mich die Ver¬<lb/>
eitelung &#x017F;eines Wun&#x017F;ches entgelten, indem er Frankfurt eines<lb/>
Morgens früh verließ, ohne mich von &#x017F;einer Abrei&#x017F;e unterrichtet<lb/>
und mir die Ge&#x017F;chäfte und die Akten übergeben zu haben. Von<lb/>
andrer Seite benachrichtigt, kam ich zur rechten Zeit nach dem<lb/>
Bahnhofe, um ihm meinen Dank für das mir bewie&#x017F;ene Wohl¬<lb/>
wollen auszudrücken. &#x2014; Ueber meine Thätigkeit und meine Wahr¬<lb/>
nehmungen am Bundestage i&#x017F;t &#x017F;o viel Amtliches und Privates ver¬<lb/>
öffentlicht worden <note place="foot" n="1)"><lb/>
Preußen im Bundestage 1851&#x2013;1859. Documente der K. Preuß.<lb/>
Bundestags-Ge&#x017F;andt&#x017F;chaft. Herausgegeben von <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Ritter v. <hi rendition="#g">Po&#x017F;chinger</hi>. 4 Bde.<lb/>
Lpz. 1882&#x2013;1884. &#x2014; Bismarck's Briefe an den General Leopold v. Gerlach.<lb/>
Herausgegeben von H. <hi rendition="#g">Kohl</hi>. Berlin 1896. &#x2014; Bismarckbriefe. Herausgegeben<lb/>
von H. <hi rendition="#g">Kohl</hi>. 7. Auflage. Bielefeld 1898 S. 106 ff.</note>, daß mir nur eine Nachle&#x017F;e übrig bleibt.</p><lb/>
        <p>Ich fand in Frankfurt zwei preußi&#x017F;che Commi&#x017F;&#x017F;arien aus der<lb/>
Zeit des Interim, den Oberprä&#x017F;identen von Boetticher, de&#x017F;&#x017F;en Sohn<lb/>
&#x017F;päter als Staats&#x017F;ekretär und Mini&#x017F;ter mein Bei&#x017F;tand &#x017F;ein &#x017F;ollte,<lb/>
und den General von Peucker, der mir Gelegenheit zu meinen<lb/>
er&#x017F;ten Studien über das Ordenswe&#x017F;en gab. Er war ein ge&#x017F;cheidter,<lb/>
tapferer Offizier von hoher wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlicher Bildung, die er &#x017F;päter<lb/>
als Generalin&#x017F;pecteur des Militär-Erziehungs- und Bildungswe&#x017F;ens<lb/>
verwerthen konnte. Im Jahre 1812 in dem York'&#x017F;chen Corps<lb/>
dienend, hatte er durch Dieb&#x017F;tahl &#x017F;einen Mantel eingebüßt, den<lb/>
Rückzug in der knappen Uniform machen mü&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ich die Zehen<lb/>
erfroren und durch die Kälte anderweitige Schäden erlitten. Trotz<lb/>
&#x017F;einer äußerlichen Un&#x017F;chönheit gewann die&#x017F;er kluge und tapfere<lb/>
Offizier die Hand einer hüb&#x017F;chen Gräfin Schulenburg, durch welche<lb/>
&#x017F;päter das reiche Erbe des Hau&#x017F;es Schenck von Flechtingen in der<lb/>
Altmark an &#x017F;einen Sohn gelangte. In merkwürdigem Contra&#x017F;t<lb/>
mit &#x017F;einer gei&#x017F;tigen Bedeutung &#x017F;tand &#x017F;eine Schwäche für Aeußer¬<lb/>
lichkeiten, die den Berliner Jargon um einen Ausdruck bereicherte.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0107] Viertes Kapitel: Diplomat. Unter dem 15. Juli erfolgte meine Ernennung zum Bundes¬ tagsgeſandten. Ungeachtet der Rückſicht, mit welcher er behandelt wurde, war Herr von Rochow verſtimmt und ließ mich die Ver¬ eitelung ſeines Wunſches entgelten, indem er Frankfurt eines Morgens früh verließ, ohne mich von ſeiner Abreiſe unterrichtet und mir die Geſchäfte und die Akten übergeben zu haben. Von andrer Seite benachrichtigt, kam ich zur rechten Zeit nach dem Bahnhofe, um ihm meinen Dank für das mir bewieſene Wohl¬ wollen auszudrücken. — Ueber meine Thätigkeit und meine Wahr¬ nehmungen am Bundestage iſt ſo viel Amtliches und Privates ver¬ öffentlicht worden 1), daß mir nur eine Nachleſe übrig bleibt. Ich fand in Frankfurt zwei preußiſche Commiſſarien aus der Zeit des Interim, den Oberpräſidenten von Boetticher, deſſen Sohn ſpäter als Staatsſekretär und Miniſter mein Beiſtand ſein ſollte, und den General von Peucker, der mir Gelegenheit zu meinen erſten Studien über das Ordensweſen gab. Er war ein geſcheidter, tapferer Offizier von hoher wiſſenſchaftlicher Bildung, die er ſpäter als Generalinſpecteur des Militär-Erziehungs- und Bildungsweſens verwerthen konnte. Im Jahre 1812 in dem York'ſchen Corps dienend, hatte er durch Diebſtahl ſeinen Mantel eingebüßt, den Rückzug in der knappen Uniform machen müſſen, ſich die Zehen erfroren und durch die Kälte anderweitige Schäden erlitten. Trotz ſeiner äußerlichen Unſchönheit gewann dieſer kluge und tapfere Offizier die Hand einer hübſchen Gräfin Schulenburg, durch welche ſpäter das reiche Erbe des Hauſes Schenck von Flechtingen in der Altmark an ſeinen Sohn gelangte. In merkwürdigem Contraſt mit ſeiner geiſtigen Bedeutung ſtand ſeine Schwäche für Aeußer¬ lichkeiten, die den Berliner Jargon um einen Ausdruck bereicherte. 1) Preußen im Bundestage 1851–1859. Documente der K. Preuß. Bundestags-Geſandtſchaft. Herausgegeben von Dr. Ritter v. Poſchinger. 4 Bde. Lpz. 1882–1884. — Bismarck's Briefe an den General Leopold v. Gerlach. Herausgegeben von H. Kohl. Berlin 1896. — Bismarckbriefe. Herausgegeben von H. Kohl. 7. Auflage. Bielefeld 1898 S. 106 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/107
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/107>, abgerufen am 14.05.2024.