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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.
Stück, da steckt trotz Allem eine künstlerische Per¬
sönlichkeit dahinter.

Also stellt euch vor: Stilpe trat als verlumpter,
versoffener alter Dichter auf. Lange graue Haare,
zerknüllter Cylinder, Bratenrock, flatternder Künstler¬
shlips, -- dies also die alte schablonenhafte Figur
des idealistischen Dichters in übler Vermögenslage.
Aber nun hättet ihr sehen sollen, wie das Gesicht,
die Bewegungen, die Worte dazu paßten. Zum
Gesicht hatte er freilich keine Kunst nötig gehabt:
Diese aufgedunsenen Züge, diese alkoholisch poröse,
kupferige Nase, diese schwimmenden, unstäten Augen,
-- das war leider Alles Natur. Auch die Be¬
wegungen, dieses Fallenlassen der Arme, die dann
an den Schenkeln herumsuchten und tasteten, dieses
nervöse Zucken der Schultern, dieses zitternde Auf¬
legen der rechten Hand auf die Stirne, dieses
langsame Auf- und Niederneigen des Kopfes, dieses
Nachschleifen der Füße beim schwankenden Gange, --
auch dies war im Grunde Natur, nur unter¬
strichen, perspektivisch berechnet. Aber nun: Was
er sprach und sang!

Es war so eine Soloßene, wißt ihr: Monologe
mit Gesangseinlagen wechselnd; man kennt das ja;
diese Geschichten sind eigentlich nicht mehr modern;

Stilpe.
Stück, da ſteckt trotz Allem eine künſtleriſche Per¬
ſönlichkeit dahinter.

Alſo ſtellt euch vor: Stilpe trat als verlumpter,
verſoffener alter Dichter auf. Lange graue Haare,
zerknüllter Cylinder, Bratenrock, flatternder Künſtler¬
ſhlips, — dies alſo die alte ſchablonenhafte Figur
des idealiſtiſchen Dichters in übler Vermögenslage.
Aber nun hättet ihr ſehen ſollen, wie das Geſicht,
die Bewegungen, die Worte dazu paßten. Zum
Geſicht hatte er freilich keine Kunſt nötig gehabt:
Dieſe aufgedunſenen Züge, dieſe alkoholiſch poröſe,
kupferige Naſe, dieſe ſchwimmenden, unſtäten Augen,
— das war leider Alles Natur. Auch die Be¬
wegungen, dieſes Fallenlaſſen der Arme, die dann
an den Schenkeln herumſuchten und taſteten, dieſes
nervöſe Zucken der Schultern, dieſes zitternde Auf¬
legen der rechten Hand auf die Stirne, dieſes
langſame Auf- und Niederneigen des Kopfes, dieſes
Nachſchleifen der Füße beim ſchwankenden Gange, —
auch dies war im Grunde Natur, nur unter¬
ſtrichen, perſpektiviſch berechnet. Aber nun: Was
er ſprach und ſang!

Es war ſo eine Soloſzene, wißt ihr: Monologe
mit Geſangseinlagen wechſelnd; man kennt das ja;
dieſe Geſchichten ſind eigentlich nicht mehr modern;

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[392/0406] Stilpe. Stück, da ſteckt trotz Allem eine künſtleriſche Per¬ ſönlichkeit dahinter. Alſo ſtellt euch vor: Stilpe trat als verlumpter, verſoffener alter Dichter auf. Lange graue Haare, zerknüllter Cylinder, Bratenrock, flatternder Künſtler¬ ſhlips, — dies alſo die alte ſchablonenhafte Figur des idealiſtiſchen Dichters in übler Vermögenslage. Aber nun hättet ihr ſehen ſollen, wie das Geſicht, die Bewegungen, die Worte dazu paßten. Zum Geſicht hatte er freilich keine Kunſt nötig gehabt: Dieſe aufgedunſenen Züge, dieſe alkoholiſch poröſe, kupferige Naſe, dieſe ſchwimmenden, unſtäten Augen, — das war leider Alles Natur. Auch die Be¬ wegungen, dieſes Fallenlaſſen der Arme, die dann an den Schenkeln herumſuchten und taſteten, dieſes nervöſe Zucken der Schultern, dieſes zitternde Auf¬ legen der rechten Hand auf die Stirne, dieſes langſame Auf- und Niederneigen des Kopfes, dieſes Nachſchleifen der Füße beim ſchwankenden Gange, — auch dies war im Grunde Natur, nur unter¬ ſtrichen, perſpektiviſch berechnet. Aber nun: Was er ſprach und ſang! Es war ſo eine Soloſzene, wißt ihr: Monologe mit Geſangseinlagen wechſelnd; man kennt das ja; dieſe Geſchichten ſind eigentlich nicht mehr modern;

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/406>, abgerufen am 22.11.2024.