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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.
entschiedene Talente für feinste Kunst und freiestes
Leben. Nur ein paar von ihnen waren schon mit
Werken an die Offentlichkeit getreten, und es war
nun eine Quelle gemeinsamer herzlicher Freude,
wenn sie und Stilpe die niederträchtigen Kritiken
zitierten, mit denen "der gefürchtete Kritiker
W. St." sie einst an den Pranger gestellt hatte.
Die Mehrzahl war so gut wie ungedruckt, denn es
gab kein Blatt, das excentrisch genug für sie ge¬
wesen wäre.

Nun sollte Stilpe natürlich dieses Blatt gründen.

Bei allen Zusammenkünften, soweit sie nicht
blos mit Trinken oder Rezitationen der "neuesten
Sachen von Rang" ausgefüllt wurden, war diese
Gründung das Hauptthema. Aber nun waren
schon zwei Monate seit dem Erscheinen des Tinten¬
sumpfes verstrichen, das Interesse für diese Brochüre
ebbte nach der Provinz hin ab, und man war noch
zu keinem Entschlusse gekommen.

Da erlies Stilpe an den "inneren Kreis der
Eigentlichen" eine Einladung, die unter dem Hin¬
weis darauf, daß "mit den schwindenden Monden
auch die Moneten verrollten", zu einer letzten und
endgiltigen Sitzung "in punkto Blatt" zusammen¬
rief. Postskriptum: "Um nüchternes Erscheinen

Stilpe.
entſchiedene Talente für feinſte Kunſt und freieſtes
Leben. Nur ein paar von ihnen waren ſchon mit
Werken an die Offentlichkeit getreten, und es war
nun eine Quelle gemeinſamer herzlicher Freude,
wenn ſie und Stilpe die niederträchtigen Kritiken
zitierten, mit denen „der gefürchtete Kritiker
W. St.“ ſie einſt an den Pranger geſtellt hatte.
Die Mehrzahl war ſo gut wie ungedruckt, denn es
gab kein Blatt, das excentriſch genug für ſie ge¬
weſen wäre.

Nun ſollte Stilpe natürlich dieſes Blatt gründen.

Bei allen Zuſammenkünften, ſoweit ſie nicht
blos mit Trinken oder Rezitationen der „neueſten
Sachen von Rang“ ausgefüllt wurden, war dieſe
Gründung das Hauptthema. Aber nun waren
ſchon zwei Monate ſeit dem Erſcheinen des Tinten¬
ſumpfes verſtrichen, das Intereſſe für dieſe Brochüre
ebbte nach der Provinz hin ab, und man war noch
zu keinem Entſchluſſe gekommen.

Da erlies Stilpe an den „inneren Kreis der
Eigentlichen“ eine Einladung, die unter dem Hin¬
weis darauf, daß „mit den ſchwindenden Monden
auch die Moneten verrollten“, zu einer letzten und
endgiltigen Sitzung „in punkto Blatt“ zuſammen¬
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[324/0338] Stilpe. entſchiedene Talente für feinſte Kunſt und freieſtes Leben. Nur ein paar von ihnen waren ſchon mit Werken an die Offentlichkeit getreten, und es war nun eine Quelle gemeinſamer herzlicher Freude, wenn ſie und Stilpe die niederträchtigen Kritiken zitierten, mit denen „der gefürchtete Kritiker W. St.“ ſie einſt an den Pranger geſtellt hatte. Die Mehrzahl war ſo gut wie ungedruckt, denn es gab kein Blatt, das excentriſch genug für ſie ge¬ weſen wäre. Nun ſollte Stilpe natürlich dieſes Blatt gründen. Bei allen Zuſammenkünften, ſoweit ſie nicht blos mit Trinken oder Rezitationen der „neueſten Sachen von Rang“ ausgefüllt wurden, war dieſe Gründung das Hauptthema. Aber nun waren ſchon zwei Monate ſeit dem Erſcheinen des Tinten¬ ſumpfes verſtrichen, das Intereſſe für dieſe Brochüre ebbte nach der Provinz hin ab, und man war noch zu keinem Entſchluſſe gekommen. Da erlies Stilpe an den „inneren Kreis der Eigentlichen“ eine Einladung, die unter dem Hin¬ weis darauf, daß „mit den ſchwindenden Monden auch die Moneten verrollten“, zu einer letzten und endgiltigen Sitzung „in punkto Blatt“ zuſammen¬ rief. Poſtſkriptum: „Um nüchternes Erſcheinen

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/338>, abgerufen am 22.11.2024.