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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.
waltig hin und her, und durch seine schwärmerischen
Verse quollen zuweilen absonderliche Töne eines
unheimlichen Drängens aus der Tiefe.

Ich glaube, für die Augen der Götter sah
seine Seele damals aus wie ein Glas voll Feder¬
weißem, in dem die Gährschichten durcheinander¬
wallen und die Blasen steigen. Vielleicht richten die
Götter derlei blos an, weil ihnen dieser Federweiße
der menschlichen Pubertät besonders schmeckt. Für
den Menschen selber aber ist dieser Zustand keine
ungemischte Freude.

Stilpe verkam sichtlich dabei. Er war beim
Austragen eines wesentlichen Stückes seiner selbst:
Er ging mit seiner Mannheit schwanger. Vielleicht
war es zu früh, daß es ihm so viel Qualen
machte?

Da war es ein großes Glück für ihn, daß er
nun als Ablenkung Ludwig Börne kennen lernte.
Er stürzte sich auf diesen vielbeweglichen blendenden
Geist, wie eine Frau, der es in der Hoffnung nach
Dingen gelüstet, die ihr vielleicht schädlich sind, im
Augenblicke aber wohlthun. Es verging kein Monat,
und er war ein wütigerer Revolutionär, als sein
Freund Girlinger. Selbst seine deutschen Aufsätze
in der Schule brachten Äußerungen zu Tage, die

Stilpe.
waltig hin und her, und durch ſeine ſchwärmeriſchen
Verſe quollen zuweilen abſonderliche Töne eines
unheimlichen Drängens aus der Tiefe.

Ich glaube, für die Augen der Götter ſah
ſeine Seele damals aus wie ein Glas voll Feder¬
weißem, in dem die Gährſchichten durcheinander¬
wallen und die Blaſen ſteigen. Vielleicht richten die
Götter derlei blos an, weil ihnen dieſer Federweiße
der menſchlichen Pubertät beſonders ſchmeckt. Für
den Menſchen ſelber aber iſt dieſer Zuſtand keine
ungemiſchte Freude.

Stilpe verkam ſichtlich dabei. Er war beim
Austragen eines weſentlichen Stückes ſeiner ſelbſt:
Er ging mit ſeiner Mannheit ſchwanger. Vielleicht
war es zu früh, daß es ihm ſo viel Qualen
machte?

Da war es ein großes Glück für ihn, daß er
nun als Ablenkung Ludwig Börne kennen lernte.
Er ſtürzte ſich auf dieſen vielbeweglichen blendenden
Geiſt, wie eine Frau, der es in der Hoffnung nach
Dingen gelüſtet, die ihr vielleicht ſchädlich ſind, im
Augenblicke aber wohlthun. Es verging kein Monat,
und er war ein wütigerer Revolutionär, als ſein
Freund Girlinger. Selbſt ſeine deutſchen Aufſätze
in der Schule brachten Äußerungen zu Tage, die

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[96/0110] Stilpe. waltig hin und her, und durch ſeine ſchwärmeriſchen Verſe quollen zuweilen abſonderliche Töne eines unheimlichen Drängens aus der Tiefe. Ich glaube, für die Augen der Götter ſah ſeine Seele damals aus wie ein Glas voll Feder¬ weißem, in dem die Gährſchichten durcheinander¬ wallen und die Blaſen ſteigen. Vielleicht richten die Götter derlei blos an, weil ihnen dieſer Federweiße der menſchlichen Pubertät beſonders ſchmeckt. Für den Menſchen ſelber aber iſt dieſer Zuſtand keine ungemiſchte Freude. Stilpe verkam ſichtlich dabei. Er war beim Austragen eines weſentlichen Stückes ſeiner ſelbſt: Er ging mit ſeiner Mannheit ſchwanger. Vielleicht war es zu früh, daß es ihm ſo viel Qualen machte? Da war es ein großes Glück für ihn, daß er nun als Ablenkung Ludwig Börne kennen lernte. Er ſtürzte ſich auf dieſen vielbeweglichen blendenden Geiſt, wie eine Frau, der es in der Hoffnung nach Dingen gelüſtet, die ihr vielleicht ſchädlich ſind, im Augenblicke aber wohlthun. Es verging kein Monat, und er war ein wütigerer Revolutionär, als ſein Freund Girlinger. Selbſt ſeine deutſchen Aufſätze in der Schule brachten Äußerungen zu Tage, die

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/110>, abgerufen am 27.11.2024.