Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.

Bild:
<< vorherige Seite
p3b_210.001

I. Aus "The Sunbeam" von Felicia Hemans. p3b_210.002
(7. Strophe.)

p3b_210.003

Thou tak'st through the dim church-aisle thy way, p3b_210.004
And its pillars from twilight flash forth to day, p3b_210.005
And its high, pale tombs, with their trophies old, p3b_210.006
Are bathed in a flood as of molten gold.

p3b_210.007
Diese Strophe hat Freiligrath fünfmal geschrieben, bis er ihr die endgültige p3b_210.008
Gestalt verlieh.

p3b_210.009

1. Erste Übersetzung. (Entwurf Freiligraths.)

p3b_210.010
Durch den dämmernden Kreuzgang nimmst du den Pfad, p3b_210.011
Seine Pfeiler erglühn, wenn dein Schimmer naht; p3b_210.012
Und der bleiche Marmor ... p3b_210.013
Umwallt eine Glorie, wie brennend Gold.

p3b_210.014
NB. Viele Worte sind hier noch gar nicht und manche sogar ungenau p3b_210.015
übersetzt.

p3b_210.016

2. Veränderung des Entwurfs.

p3b_210.017
(dämmernde Münster) Kirchendämmerung p3b_210.018
Durch (den dämmernden Kreuzgang) nimmst du den Pfad, p3b_210.019
Seine Pfeiler erglühn, wenn dein Schimmer naht, p3b_210.020
Und der bleiche Marmor .... p3b_210.021
Umwallt eine Glorie, wie brennend Gold.

p3b_210.022
Freiligrath setzte zuerst für: "den dämmernden Kirchgang" == dämmernde p3b_210.023
Münster. Aber diese Bezeichnung sagte ihm nicht ganz zu, und er verbesserte p3b_210.024
sie durch "Kirchendämmerung". Jetzt gefiel ihm plötzlich auch der Reim nicht p3b_210.025
mehr; er strebte durch den Reim malerisch zu wirken. Dies übte Einfluß auf p3b_210.026
die weiteren Verse und es entstand folgender

p3b_210.027

3. Neuer Entwurf Freiligraths.

p3b_210.028
Durch die Dämmrung des Münsters kommst du geflammt; p3b_210.029
Seine Pfeiler erglühn und des Betstuhls Sammt; p3b_210.030
Und die alten Trophä'n .... p3b_210.031
Zuckt, wie brennendes Gold, einer Glorie Schein.

p3b_210.032
Das kritische Auge des Übersetzers merkte bald das Mißliche der Auseinanderrückung p3b_210.033
zweier Momente einer 2. und 3. Form. Ferner hatte er p3b_210.034
sich den Gedanken des Originals: "hohe bleiche Grabmäler mit ihren alten p3b_210.035
Trophäen" im 1. und 2. Entwurf mit "bleicher Marmor", im 3. Entwurf p3b_210.036
mit "alten Trophäen" skizzenhaft vorgemerkt; jetzt versuchte er eine dichterische p3b_210.037
Verschmelzung, so daß folgendes Bild entstand:

p3b_210.001

I. Aus „The Sunbeam“ von Felicia Hemans. p3b_210.002
(7. Strophe.)

p3b_210.003

Thou tak'st through the dim church-aisle thy way, p3b_210.004
And its pillars from twilight flash forth to day, p3b_210.005
And its high, pale tombs, with their trophies old, p3b_210.006
Are bathed in a flood as of molten gold.

p3b_210.007
Diese Strophe hat Freiligrath fünfmal geschrieben, bis er ihr die endgültige p3b_210.008
Gestalt verlieh.

p3b_210.009

1. Erste Übersetzung. (Entwurf Freiligraths.)

p3b_210.010
Durch den dämmernden Kreuzgang nimmst du den Pfad, p3b_210.011
Seine Pfeiler erglühn, wenn dein Schimmer naht; p3b_210.012
Und der bleiche Marmor ... p3b_210.013
Umwallt eine Glorie, wie brennend Gold.

p3b_210.014
NB. Viele Worte sind hier noch gar nicht und manche sogar ungenau p3b_210.015
übersetzt.

p3b_210.016

2. Veränderung des Entwurfs.

p3b_210.017
(dämmernde Münster) Kirchendämmerung p3b_210.018
Durch (den dämmernden Kreuzgang) nimmst du den Pfad, p3b_210.019
Seine Pfeiler erglühn, wenn dein Schimmer naht, p3b_210.020
Und der bleiche Marmor .... p3b_210.021
Umwallt eine Glorie, wie brennend Gold.

p3b_210.022
Freiligrath setzte zuerst für: „den dämmernden Kirchgang“ == dämmernde p3b_210.023
Münster. Aber diese Bezeichnung sagte ihm nicht ganz zu, und er verbesserte p3b_210.024
sie durch „Kirchendämmerung“. Jetzt gefiel ihm plötzlich auch der Reim nicht p3b_210.025
mehr; er strebte durch den Reim malerisch zu wirken. Dies übte Einfluß auf p3b_210.026
die weiteren Verse und es entstand folgender

p3b_210.027

3. Neuer Entwurf Freiligraths.

p3b_210.028
Durch die Dämmrung des Münsters kommst du geflammt; p3b_210.029
Seine Pfeiler erglühn und des Betstuhls Sammt; p3b_210.030
Und die alten Trophä'n .... p3b_210.031
Zuckt, wie brennendes Gold, einer Glorie Schein.

p3b_210.032
Das kritische Auge des Übersetzers merkte bald das Mißliche der Auseinanderrückung p3b_210.033
zweier Momente einer 2. und 3. Form. Ferner hatte er p3b_210.034
sich den Gedanken des Originals: „hohe bleiche Grabmäler mit ihren alten p3b_210.035
Trophäen“ im 1. und 2. Entwurf mit „bleicher Marmor“, im 3. Entwurf p3b_210.036
mit „alten Trophäen“ skizzenhaft vorgemerkt; jetzt versuchte er eine dichterische p3b_210.037
Verschmelzung, so daß folgendes Bild entstand:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0236" n="210"/>
          <lb n="p3b_210.001"/>
          <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">I</hi>. Aus &#x201E;<hi rendition="#aq">The Sunbeam</hi>&#x201C; von <hi rendition="#aq">Felicia Hemans</hi>. <lb n="p3b_210.002"/>
(7. Strophe.)</hi> </p>
          <lb n="p3b_210.003"/>
          <p> <hi rendition="#aq">
              <lg>
                <l>Thou tak'st through the dim church-aisle thy way,</l>
                <lb n="p3b_210.004"/>
                <l>And its pillars from twilight flash forth to day,</l>
                <lb n="p3b_210.005"/>
                <l>And its high, pale tombs, with their trophies old,</l>
                <lb n="p3b_210.006"/>
                <l>Are bathed in a flood as of molten gold.</l>
              </lg>
            </hi> </p>
          <p><lb n="p3b_210.007"/>
Diese Strophe hat Freiligrath fünfmal geschrieben, bis er ihr die endgültige <lb n="p3b_210.008"/>
Gestalt verlieh.</p>
          <lb n="p3b_210.009"/>
          <p> <hi rendition="#c">1. <hi rendition="#g">Erste Übersetzung.</hi> (Entwurf Freiligraths.)</hi> </p>
          <lb n="p3b_210.010"/>
          <lg>
            <l>Durch den dämmernden Kreuzgang nimmst du den Pfad,</l>
            <lb n="p3b_210.011"/>
            <l>Seine Pfeiler erglühn, wenn dein Schimmer naht;</l>
            <lb n="p3b_210.012"/>
            <l>Und der bleiche Marmor ...</l>
            <lb n="p3b_210.013"/>
            <l>Umwallt eine Glorie, wie brennend Gold.</l>
          </lg>
          <p><lb n="p3b_210.014"/><hi rendition="#aq">NB</hi>. Viele Worte sind hier noch <hi rendition="#g">gar nicht</hi> und manche sogar ungenau <lb n="p3b_210.015"/>
übersetzt.</p>
          <lb n="p3b_210.016"/>
          <p> <hi rendition="#c">2. <hi rendition="#g">Veränderung des Entwurfs.</hi></hi> </p>
          <lb n="p3b_210.017"/>
          <lg>
            <l>  (dämmernde Münster) Kirchendämmerung</l>
            <lb n="p3b_210.018"/>
            <l>Durch (den dämmernden Kreuzgang) nimmst du den Pfad,</l>
            <lb n="p3b_210.019"/>
            <l>Seine Pfeiler erglühn, wenn dein Schimmer naht,</l>
            <lb n="p3b_210.020"/>
            <l>Und der bleiche Marmor ....</l>
            <lb n="p3b_210.021"/>
            <l>Umwallt eine Glorie, wie brennend Gold.</l>
          </lg>
          <p><lb n="p3b_210.022"/>
Freiligrath setzte zuerst für: &#x201E;den dämmernden Kirchgang&#x201C; == dämmernde <lb n="p3b_210.023"/>
Münster. Aber diese Bezeichnung sagte ihm nicht ganz zu, und er verbesserte <lb n="p3b_210.024"/>
sie durch &#x201E;Kirchendämmerung&#x201C;. Jetzt gefiel ihm plötzlich auch der Reim nicht <lb n="p3b_210.025"/>
mehr; er strebte durch den Reim malerisch zu wirken. Dies übte Einfluß auf <lb n="p3b_210.026"/>
die weiteren Verse und es entstand folgender</p>
          <lb n="p3b_210.027"/>
          <p> <hi rendition="#c">3. <hi rendition="#g">Neuer Entwurf Freiligraths.</hi></hi> </p>
          <lb n="p3b_210.028"/>
          <lg>
            <l>Durch die Dämmrung des Münsters kommst du geflammt;</l>
            <lb n="p3b_210.029"/>
            <l>Seine Pfeiler erglühn und des Betstuhls Sammt;</l>
            <lb n="p3b_210.030"/>
            <l>Und die alten Trophä'n ....</l>
            <lb n="p3b_210.031"/>
            <l>Zuckt, wie brennendes Gold, einer Glorie Schein.</l>
          </lg>
          <p><lb n="p3b_210.032"/>
Das kritische Auge des Übersetzers merkte bald das Mißliche der Auseinanderrückung <lb n="p3b_210.033"/>
zweier Momente einer 2. und 3. Form. Ferner hatte er <lb n="p3b_210.034"/>
sich den Gedanken des Originals: &#x201E;hohe bleiche Grabmäler mit ihren alten <lb n="p3b_210.035"/>
Trophäen&#x201C; im 1. und 2. Entwurf mit &#x201E;bleicher Marmor&#x201C;, im 3. Entwurf <lb n="p3b_210.036"/>
mit &#x201E;alten Trophäen&#x201C; skizzenhaft vorgemerkt; jetzt versuchte er eine dichterische <lb n="p3b_210.037"/>
Verschmelzung, so daß folgendes Bild entstand:</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0236] p3b_210.001 I. Aus „The Sunbeam“ von Felicia Hemans. p3b_210.002 (7. Strophe.) p3b_210.003 Thou tak'st through the dim church-aisle thy way, p3b_210.004 And its pillars from twilight flash forth to day, p3b_210.005 And its high, pale tombs, with their trophies old, p3b_210.006 Are bathed in a flood as of molten gold. p3b_210.007 Diese Strophe hat Freiligrath fünfmal geschrieben, bis er ihr die endgültige p3b_210.008 Gestalt verlieh. p3b_210.009 1. Erste Übersetzung. (Entwurf Freiligraths.) p3b_210.010 Durch den dämmernden Kreuzgang nimmst du den Pfad, p3b_210.011 Seine Pfeiler erglühn, wenn dein Schimmer naht; p3b_210.012 Und der bleiche Marmor ... p3b_210.013 Umwallt eine Glorie, wie brennend Gold. p3b_210.014 NB. Viele Worte sind hier noch gar nicht und manche sogar ungenau p3b_210.015 übersetzt. p3b_210.016 2. Veränderung des Entwurfs. p3b_210.017 (dämmernde Münster) Kirchendämmerung p3b_210.018 Durch (den dämmernden Kreuzgang) nimmst du den Pfad, p3b_210.019 Seine Pfeiler erglühn, wenn dein Schimmer naht, p3b_210.020 Und der bleiche Marmor .... p3b_210.021 Umwallt eine Glorie, wie brennend Gold. p3b_210.022 Freiligrath setzte zuerst für: „den dämmernden Kirchgang“ == dämmernde p3b_210.023 Münster. Aber diese Bezeichnung sagte ihm nicht ganz zu, und er verbesserte p3b_210.024 sie durch „Kirchendämmerung“. Jetzt gefiel ihm plötzlich auch der Reim nicht p3b_210.025 mehr; er strebte durch den Reim malerisch zu wirken. Dies übte Einfluß auf p3b_210.026 die weiteren Verse und es entstand folgender p3b_210.027 3. Neuer Entwurf Freiligraths. p3b_210.028 Durch die Dämmrung des Münsters kommst du geflammt; p3b_210.029 Seine Pfeiler erglühn und des Betstuhls Sammt; p3b_210.030 Und die alten Trophä'n .... p3b_210.031 Zuckt, wie brennendes Gold, einer Glorie Schein. p3b_210.032 Das kritische Auge des Übersetzers merkte bald das Mißliche der Auseinanderrückung p3b_210.033 zweier Momente einer 2. und 3. Form. Ferner hatte er p3b_210.034 sich den Gedanken des Originals: „hohe bleiche Grabmäler mit ihren alten p3b_210.035 Trophäen“ im 1. und 2. Entwurf mit „bleicher Marmor“, im 3. Entwurf p3b_210.036 mit „alten Trophäen“ skizzenhaft vorgemerkt; jetzt versuchte er eine dichterische p3b_210.037 Verschmelzung, so daß folgendes Bild entstand:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/236
Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/236>, abgerufen am 17.05.2024.