Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_185.001 p3b_185.004 p3b_185.012 p3b_185.018 p3b_185.029 p3b_185.033 p3b_185.001 p3b_185.004 p3b_185.012 p3b_185.018 p3b_185.029 p3b_185.033 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0211" n="185"/> <p><lb n="p3b_185.001"/><hi rendition="#g">Unsere ältesten Übersetzungen stammen aus dem griechischen</hi><lb n="p3b_185.002"/> (und lateinischen) <hi rendition="#g">Altertum;</hi> sie versuchten, den altklassischen Geist zum deutschen <lb n="p3b_185.003"/> Nationaleigentum zu machen.</p> <p><lb n="p3b_185.004"/><hi rendition="#g">Erst nachdem die Wirkungen des Griechentums erprobt waren, <lb n="p3b_185.005"/> begann man, auch aus den Litteraturschätzen anderer Völker zu <lb n="p3b_185.006"/> übersetzen.</hi> So wurden <hi rendition="#g">Shakespeare, Calderon, Ariost, Tasso</hi> &c. die <lb n="p3b_185.007"/> unsrigen; so sind uns (namentlich seit Gründung der morgenländischen Gesellschaft <lb n="p3b_185.008"/> in Kalkutta 1784) die <hi rendition="#g">Araber, Perser</hi> und <hi rendition="#g">Jnder</hi> näher geführt <lb n="p3b_185.009"/> worden; so übersetzt man nunmehr aus dem <hi rendition="#g">Französischen, Schwedischen, <lb n="p3b_185.010"/> Dänischen, Russischen, Serbischen, Ungarischen</hi> und allen halbwegs <lb n="p3b_185.011"/> bekannten Sprachen.</p> <p><lb n="p3b_185.012"/> Für einen orientierenden Überblick über die Übersetzungen aus der frühesten <lb n="p3b_185.013"/> Zeit bis in die Gegenwart ist zunächst zu bemerken, daß bei den ältesten Übersetzungsversuchen <lb n="p3b_185.014"/> zur Zeit der Minnesinger (wo man nur nach Arsen skandierte) <lb n="p3b_185.015"/> von poetischer Kunst füglich nicht die Rede sein konnte. Ebenso wenig war <lb n="p3b_185.016"/> dies zur Zeit der Meistersänger der Fall, wo alle Kunst auf Silbenzählung <lb n="p3b_185.017"/> abzielte.</p> <p><lb n="p3b_185.018"/> Erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts steigerten sich die Anforderungen <lb n="p3b_185.019"/> an die Übersetzungskunst, namentlich seit durch K. Gesner der Versuch gemacht <lb n="p3b_185.020"/> worden war, das <hi rendition="#g">heroische Versmaß des Hexameters ins Deutsche zu <lb n="p3b_185.021"/> übertragen.</hi> Opitz (im 17. Jahrhundert) hob bereits als unterscheidendes <lb n="p3b_185.022"/> Moment zwischen unserer und der antiken Sprache den Accent hervor; er <lb n="p3b_185.023"/> führte den <hi rendition="#g">Jambus</hi> und den <hi rendition="#g">Trochäus</hi> ein und begründete die Nachbildung <lb n="p3b_185.024"/> <hi rendition="#g">weiterer</hi> künstlerischer Maße aus der antiken Litteratur. Das importierte <lb n="p3b_185.025"/> Maß des Hexameters, den zunächst Opitz' Zeitgenosse <hi rendition="#g">August Büchner</hi> in <lb n="p3b_185.026"/> Wittenberg aufnahm (sodann die <hi rendition="#g">Pegnitzschäfer</hi> in Nürnberg), machte rasch <lb n="p3b_185.027"/> Fortschritte, so daß bereits 1691 Christian Weise (in „Curieuse Gedanken von <lb n="p3b_185.028"/> deutschen Versen“) gereimte Distichen schrieb, die lediglich aus Daktylen bestehen.</p> <p><lb n="p3b_185.029"/><hi rendition="#g">Gottsched</hi> meinte, wir hätten lange und kurze Silben und vermöchten <lb n="p3b_185.030"/> daher die antiken Maße nachzubilden. Er selbst bildete in der „kritischen Dichtkunst“ <lb n="p3b_185.031"/> reimlose Hexameter und gab verdienstvolle Proben von Distichen Anderer <lb n="p3b_185.032"/> (z. B. des Heräus).</p> <p><lb n="p3b_185.033"/> Am gewaltigsten wirkte <hi rendition="#g">Klopstock</hi> auf die Übersetzungskunst durch sein <lb n="p3b_185.034"/> Studium der antiken Maße und deren praktische Anwendung in der <hi rendition="#g">Messiade,</hi> <lb n="p3b_185.035"/> wodurch er die Möglichkeit bewies, dem deutschen Hexameter gleichfalls rhythmische <lb n="p3b_185.036"/> Beweglichkeit zu verleihen. Klopstocks heller Blick erkannte, daß wir bei <lb n="p3b_185.037"/> Übersetzung des antiken Maßes in unserer Sprache den Spondeus durch den <lb n="p3b_185.038"/> Trochäus ersetzen können; auch entging ihm nicht, daß der Hexameter eine <lb n="p3b_185.039"/> leichtere (fließendere) Periodisierung gestattet; er bekämpfte den Amphibrachys <lb n="p3b_185.040"/> (⏑ – ⏑). Sein die freiere Übersetzung begünstigender Vorgang hatte großen Einfluß <lb n="p3b_185.041"/> auf die Übersetzungskunst; die Entwickelung derselben vollzog sich in engem <lb n="p3b_185.042"/> Zusammenhang mit allen jenen Bestrebungen, welchen wir das Aufblühen unserer <lb n="p3b_185.043"/> Litteratur, wie unserer wissenschaftlichen und künstlerischen Bestrebungen verdanken.</p> <lb n="p3b_185.044"/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [185/0211]
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Unsere ältesten Übersetzungen stammen aus dem griechischen p3b_185.002
(und lateinischen) Altertum; sie versuchten, den altklassischen Geist zum deutschen p3b_185.003
Nationaleigentum zu machen.
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Erst nachdem die Wirkungen des Griechentums erprobt waren, p3b_185.005
begann man, auch aus den Litteraturschätzen anderer Völker zu p3b_185.006
übersetzen. So wurden Shakespeare, Calderon, Ariost, Tasso &c. die p3b_185.007
unsrigen; so sind uns (namentlich seit Gründung der morgenländischen Gesellschaft p3b_185.008
in Kalkutta 1784) die Araber, Perser und Jnder näher geführt p3b_185.009
worden; so übersetzt man nunmehr aus dem Französischen, Schwedischen, p3b_185.010
Dänischen, Russischen, Serbischen, Ungarischen und allen halbwegs p3b_185.011
bekannten Sprachen.
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Für einen orientierenden Überblick über die Übersetzungen aus der frühesten p3b_185.013
Zeit bis in die Gegenwart ist zunächst zu bemerken, daß bei den ältesten Übersetzungsversuchen p3b_185.014
zur Zeit der Minnesinger (wo man nur nach Arsen skandierte) p3b_185.015
von poetischer Kunst füglich nicht die Rede sein konnte. Ebenso wenig war p3b_185.016
dies zur Zeit der Meistersänger der Fall, wo alle Kunst auf Silbenzählung p3b_185.017
abzielte.
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Erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts steigerten sich die Anforderungen p3b_185.019
an die Übersetzungskunst, namentlich seit durch K. Gesner der Versuch gemacht p3b_185.020
worden war, das heroische Versmaß des Hexameters ins Deutsche zu p3b_185.021
übertragen. Opitz (im 17. Jahrhundert) hob bereits als unterscheidendes p3b_185.022
Moment zwischen unserer und der antiken Sprache den Accent hervor; er p3b_185.023
führte den Jambus und den Trochäus ein und begründete die Nachbildung p3b_185.024
weiterer künstlerischer Maße aus der antiken Litteratur. Das importierte p3b_185.025
Maß des Hexameters, den zunächst Opitz' Zeitgenosse August Büchner in p3b_185.026
Wittenberg aufnahm (sodann die Pegnitzschäfer in Nürnberg), machte rasch p3b_185.027
Fortschritte, so daß bereits 1691 Christian Weise (in „Curieuse Gedanken von p3b_185.028
deutschen Versen“) gereimte Distichen schrieb, die lediglich aus Daktylen bestehen.
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Gottsched meinte, wir hätten lange und kurze Silben und vermöchten p3b_185.030
daher die antiken Maße nachzubilden. Er selbst bildete in der „kritischen Dichtkunst“ p3b_185.031
reimlose Hexameter und gab verdienstvolle Proben von Distichen Anderer p3b_185.032
(z. B. des Heräus).
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Am gewaltigsten wirkte Klopstock auf die Übersetzungskunst durch sein p3b_185.034
Studium der antiken Maße und deren praktische Anwendung in der Messiade, p3b_185.035
wodurch er die Möglichkeit bewies, dem deutschen Hexameter gleichfalls rhythmische p3b_185.036
Beweglichkeit zu verleihen. Klopstocks heller Blick erkannte, daß wir bei p3b_185.037
Übersetzung des antiken Maßes in unserer Sprache den Spondeus durch den p3b_185.038
Trochäus ersetzen können; auch entging ihm nicht, daß der Hexameter eine p3b_185.039
leichtere (fließendere) Periodisierung gestattet; er bekämpfte den Amphibrachys p3b_185.040
(⏑ – ⏑). Sein die freiere Übersetzung begünstigender Vorgang hatte großen Einfluß p3b_185.041
auf die Übersetzungskunst; die Entwickelung derselben vollzog sich in engem p3b_185.042
Zusammenhang mit allen jenen Bestrebungen, welchen wir das Aufblühen unserer p3b_185.043
Litteratur, wie unserer wissenschaftlichen und künstlerischen Bestrebungen verdanken.
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