Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_135.001 p3b_135.007 p3b_135.009 p3b_135.014 p3b_135.018 § 52. Die Praxis der Versbehandlung. p3b_135.019 p3b_135.021 p3b_135.024 p3b_135.032 p3b_135.034 p3b_135.037 p3b_135.041 p3b_135.001 p3b_135.007 p3b_135.009 p3b_135.014 p3b_135.018 § 52. Die Praxis der Versbehandlung. p3b_135.019 p3b_135.021 p3b_135.024 p3b_135.032 p3b_135.034 p3b_135.037 p3b_135.041 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0161" n="135"/> <p><lb n="p3b_135.001"/> 17. Aber auch der gewandtere Lernende kann einen Augenblick verweilen, <lb n="p3b_135.002"/> um sich noch in den schwierigsten Formen zu versuchen: <hi rendition="#aq">a</hi>. in der Terzinenform <lb n="p3b_135.003"/> (§ 40), in der Sestinenform (<hi rendition="#aq">I</hi>, S. 547 dieser Poetik), in der Kanzone <lb n="p3b_135.004"/> (<hi rendition="#aq">I</hi>, S. 558 dieser Poetik), in orientalischen Formen (<hi rendition="#aq">a a a b c c c b d d d b <lb n="p3b_135.005"/> e e e b</hi> u. s. w.), in französischen <hi rendition="#aq">a a a b̗ b b b c̗ c c c d̗</hi>, wo jeder 4. Vers <lb n="p3b_135.006"/> kürzer ist.</p> <p><lb n="p3b_135.007"/> 18. Auch die Übungen in antiken Versen können vor Eintritt eigener <lb n="p3b_135.008"/> Produktion wiederholt und gesteigert werden.</p> <p><lb n="p3b_135.009"/> 19. Auf diese Weise bekommt der Anfänger die Technik der Sprache und <lb n="p3b_135.010"/> der Dichtkunst in die Hand; dazu wird ihm auch das <hi rendition="#g">Übersetzen</hi> aus <lb n="p3b_135.011"/> fremden Sprachen (wo er nur mit dem Formellen zu thun hat), wesentlich <lb n="p3b_135.012"/> nützen. Dies betonen wir hier ausdrücklichst, indem wir auf das 8. Hauptstück <lb n="p3b_135.013"/> verweisen.</p> <p><lb n="p3b_135.014"/> 20. Wenn der Lernende auf diese Art Gewandtheit und Leichtigkeit erlangt <lb n="p3b_135.015"/> hat, wird er mit Erfolg zu den leichteren, einheimischen Gedichtformen, <lb n="p3b_135.016"/> bei denen die Aufmerksamkeit nunmehr dem Jnhalt zuzuwenden ist, übergehen <lb n="p3b_135.017"/> können. Diese Formen sind im Grunde genommen ja auch nur Nachahmungen.</p> </div> <div n="2"> <lb n="p3b_135.018"/> <head> <hi rendition="#c">§ 52. Die Praxis der Versbehandlung.</hi> </head> <p><lb n="p3b_135.019"/> Unterschied der Versbehandlung in der Lyrik, Didaktik, Epik und <lb n="p3b_135.020"/> Dramatik.</p> <p><lb n="p3b_135.021"/> 1. Der nämliche Vers ist in der Lyrik strenger nach musikalischen Grundsätzen <lb n="p3b_135.022"/> zu behandeln, als in den andern Arten; er hat die allergrößte Freiheit <lb n="p3b_135.023"/> im Drama.</p> <p><lb n="p3b_135.024"/> 2. <hi rendition="#aq">Exempla docent</hi>! Wir finden in Goethe's Jphigenie, im Tasso, in <lb n="p3b_135.025"/> Die natürliche Tochter &c. kaum Einen dramatischen Vers, in Kleists Stücken <lb n="p3b_135.026"/> kaum Einen lyrischen, im Nathan fast nur einen Prosavers, bei Hebbel einen <lb n="p3b_135.027"/> häufig gepreßten dramatischen, bei Halm einen meist lyrisch überschwenglichen, <lb n="p3b_135.028"/> bei Grillparzer (außer in den Trochäenstücken) abwechselnd einen weich lyrischen <lb n="p3b_135.029"/> oder hart dramatischen, bei Schiller nicht selten einen lyrisch überschwenglichen, <lb n="p3b_135.030"/> meist aber schwungvoll dramatischen Quinar. Bei Rückert wie bei Uhland begegnen <lb n="p3b_135.031"/> wir einem undramatischen Quinarjambus u. s. w.</p> <p><lb n="p3b_135.032"/> 3. Es ist nicht das, was man Sprache nennt, es ist die Vers=, nicht <lb n="p3b_135.033"/> die Wortbehandlung, die das Charakteristische hierbei ausmacht.</p> <p><lb n="p3b_135.034"/> 4. Und fast möchte man den meisten neueren Dichtern den augenfälligen <lb n="p3b_135.035"/> Beweis liefern, daß sie das eigentliche Verhältnis ihres Verses zu dem versifizierten <lb n="p3b_135.036"/> Gedanken nicht kennen.</p> <p><lb n="p3b_135.037"/> 5. Wie oft erinnert Goethe's weicher Vers an den ruhigen Fluß der <lb n="p3b_135.038"/> epischen Rede! Wie oft Halms süßlicher an den Würzduft eines überfüllten <lb n="p3b_135.039"/> Blumengartens, an lyrisch stimmende Mondnacht oder Sonnenpracht! Wie <lb n="p3b_135.040"/> verschieden würden diese Dichter den gleichen Gedanken ausdrücken!</p> <p><lb n="p3b_135.041"/> 6. Der Anfänger möge sich behufs seiner gediegenen Durchbildung und </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [135/0161]
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17. Aber auch der gewandtere Lernende kann einen Augenblick verweilen, p3b_135.002
um sich noch in den schwierigsten Formen zu versuchen: a. in der Terzinenform p3b_135.003
(§ 40), in der Sestinenform (I, S. 547 dieser Poetik), in der Kanzone p3b_135.004
(I, S. 558 dieser Poetik), in orientalischen Formen (a a a b c c c b d d d b p3b_135.005
e e e b u. s. w.), in französischen a a a b̗ b b b c̗ c c c d̗, wo jeder 4. Vers p3b_135.006
kürzer ist.
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18. Auch die Übungen in antiken Versen können vor Eintritt eigener p3b_135.008
Produktion wiederholt und gesteigert werden.
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19. Auf diese Weise bekommt der Anfänger die Technik der Sprache und p3b_135.010
der Dichtkunst in die Hand; dazu wird ihm auch das Übersetzen aus p3b_135.011
fremden Sprachen (wo er nur mit dem Formellen zu thun hat), wesentlich p3b_135.012
nützen. Dies betonen wir hier ausdrücklichst, indem wir auf das 8. Hauptstück p3b_135.013
verweisen.
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20. Wenn der Lernende auf diese Art Gewandtheit und Leichtigkeit erlangt p3b_135.015
hat, wird er mit Erfolg zu den leichteren, einheimischen Gedichtformen, p3b_135.016
bei denen die Aufmerksamkeit nunmehr dem Jnhalt zuzuwenden ist, übergehen p3b_135.017
können. Diese Formen sind im Grunde genommen ja auch nur Nachahmungen.
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§ 52. Die Praxis der Versbehandlung. p3b_135.019
Unterschied der Versbehandlung in der Lyrik, Didaktik, Epik und p3b_135.020
Dramatik.
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1. Der nämliche Vers ist in der Lyrik strenger nach musikalischen Grundsätzen p3b_135.022
zu behandeln, als in den andern Arten; er hat die allergrößte Freiheit p3b_135.023
im Drama.
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2. Exempla docent! Wir finden in Goethe's Jphigenie, im Tasso, in p3b_135.025
Die natürliche Tochter &c. kaum Einen dramatischen Vers, in Kleists Stücken p3b_135.026
kaum Einen lyrischen, im Nathan fast nur einen Prosavers, bei Hebbel einen p3b_135.027
häufig gepreßten dramatischen, bei Halm einen meist lyrisch überschwenglichen, p3b_135.028
bei Grillparzer (außer in den Trochäenstücken) abwechselnd einen weich lyrischen p3b_135.029
oder hart dramatischen, bei Schiller nicht selten einen lyrisch überschwenglichen, p3b_135.030
meist aber schwungvoll dramatischen Quinar. Bei Rückert wie bei Uhland begegnen p3b_135.031
wir einem undramatischen Quinarjambus u. s. w.
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3. Es ist nicht das, was man Sprache nennt, es ist die Vers=, nicht p3b_135.033
die Wortbehandlung, die das Charakteristische hierbei ausmacht.
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4. Und fast möchte man den meisten neueren Dichtern den augenfälligen p3b_135.035
Beweis liefern, daß sie das eigentliche Verhältnis ihres Verses zu dem versifizierten p3b_135.036
Gedanken nicht kennen.
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5. Wie oft erinnert Goethe's weicher Vers an den ruhigen Fluß der p3b_135.038
epischen Rede! Wie oft Halms süßlicher an den Würzduft eines überfüllten p3b_135.039
Blumengartens, an lyrisch stimmende Mondnacht oder Sonnenpracht! Wie p3b_135.040
verschieden würden diese Dichter den gleichen Gedanken ausdrücken!
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6. Der Anfänger möge sich behufs seiner gediegenen Durchbildung und
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