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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.

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3. Tragisch wird die Stimmung im Trauerspiel durch seine Tendenz, sofern p2b_423.002
die Schrecknisse auf der Bühne dem Zuschauer "die Bitterkeit und Mutlosigkeit p2b_423.003
des Lebens, also die Nichtigkeit alles Strebens entgegenhalten" und zur Überzeugung p2b_423.004
bringen, daß das Leben ein schwerer, ernster Traum sei. Die Tendenz p2b_423.005
der Tragödie ist also Erzielung von Resignation, Entsagung, mutiges und p2b_423.006
gelassenes Betrachten des Todes, die Hervorrufung echter Wehmut, die neben p2b_423.007
dem Schmerz auch den Trost bietet: ähnlich der Lanze des Peleus, welche die p2b_423.008
Wunden schuf und wieder heilte. Wenn das Glück des Helden im 5. Akt p2b_423.009
scheitert, empfindet der Zuschauer eine gewisse Erhebung des Gemüts, ein p2b_423.010
Genügen unendlich höherer Art, als es der Anblick des noch so sehr beglückten p2b_423.011
Helden zu gewähren vermocht hätte. Man fühlt das Bedürfnis der Erlösung p2b_423.012
und stimmt Seneka bei, daß der Unglückliche der Glückliche sei. (Vgl. Maria p2b_423.013
Stuart, wenn sie auf dem Gang zur Richtstätte sagt: "Jetzt hab' ich nichts p2b_423.014
mehr auf der Erde"; oder den sterbenden Palmire in Voltaires Palmire: p2b_423.015
"Die Welt ist für Tyrannen, lebe du!" oder Shakespeares sterbenden Brutus: p2b_423.016
"Besänftige, Cäsar, dich: nicht halb so gern bracht' ich dich um, als mich u. s. w." p2b_423.017
Schopenhauer meint (II 316): "Wäre nicht das Erheben über alle Zwecke p2b_423.018
und Güter des Lebens, dieses Abwenden von ihm und seinen Lockungen und p2b_423.019
das hierin schon liegende Hinwenden nach einem anderartigen, wiewohl uns p2b_423.020
völlig unfaßbaren Dasein die Tendenz des Trauerspiels: wie wäre es denn p2b_423.021
überhaupt möglich, daß die Darstellung der schrecklichen Seite des Lebens im p2b_423.022
grellsten Lichte uns vor Augen gebracht, wohlthätig auf uns wirken und ein p2b_423.023
hoher Genuß für uns sein könnte? Zwar nicht eigentliches Quietiv des Willens, p2b_423.024
zwar nicht auf immer erlösend vom Dasein, sondern nur auf Augenblicke bildet p2b_423.025
diese Darstellung noch nicht einen Weg aus dem Leben, sondern bloß einen p2b_423.026
Trost in demselben, bis die dadurch gesteigerte Kraft, endlich des Spieles müde, p2b_423.027
den Ernst ergreift.

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Ähnlich sagt Otto Liebmann (Zur Analysis der Wirklichkeit. Straßburg p2b_423.029
1876 S. 560): "Das spezifisch Befriedigende der Tragödie liegt in der deutlicheren p2b_423.030
oder undeutlicheren Erregung des ernsten Bewußtseins: Mögen Schuld und p2b_423.031
Schicksal, Situationen und Charaktere, Zufall und Leidenschaften noch so störend, p2b_423.032
verwirrend, vernichtend in das menschliche Leben eingreifen, die höchsten und p2b_423.033
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unverdiente Leiden wieder gut macht, alle sittlichen Dissonanzen so oder so auflöst. p2b_423.038
Vertraue darauf!" (Vgl. des Näheren die mehrfach citierte Quellenschrift p2b_423.039
Aug. Siebenlists über Schopenhauers Philosophie der Tragödie S. 24-45.)

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Neben jener auf Entsagung und Resignation gerichteten Absicht kann die p2b_423.041
Tragödie noch eine spezielle Tendenz verfolgen. So liefert z. B. die romantische p2b_423.042
Jungfrau von Orleans den Nachweis, wie die fromme Schwärmerei eines p2b_423.043
reinen Gemüts Wunder wirken kann! Maria Stuart zeigt, daß die Nichtbeherrschung p2b_423.044
der Leidenschaft selbst auf dem Throne ins Unglück führt u. s. w.

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3. Tragisch wird die Stimmung im Trauerspiel durch seine Tendenz, sofern p2b_423.002
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Vertraue darauf!“ (Vgl. des Näheren die mehrfach citierte Quellenschrift p2b_423.039
Aug. Siebenlists über Schopenhauers Philosophie der Tragödie S. 24─45.)

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Neben jener auf Entsagung und Resignation gerichteten Absicht kann die p2b_423.041
Tragödie noch eine spezielle Tendenz verfolgen. So liefert z. B. die romantische p2b_423.042
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/445>, abgerufen am 23.11.2024.