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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.

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Jm allgemeinen muß man zugeben, daß der Roman, im Gegensatz zur p2b_390.002
Novelle, eine bestimmte Richtung auf die Sitte und das Historische nimmt, was p2b_390.003
bei der Novelle durchaus nicht nötig ist. Der Roman mit seinen vielen Personen p2b_390.004
repräsentiert die Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit und wird dadurch lokal, p2b_390.005
ja national - historisch. Jn diesem Sinne könnte man sagen, daß jeder p2b_390.006
Roman national, historisch sei, wenn nicht für die Mitwelt, so doch für die Zukunft. p2b_390.007
(Wilhelm Meister und Der Titan sind für uns bereits eben solche p2b_390.008
geschichtliche Denkmale geworden, wie der Simplicissimus.) Die Novelle stellt p2b_390.009
ihre Figur und deren Geschick von der Gesellschaft abgesondert dar und bezweckt p2b_390.010
nur allgemein menschliches Jnteresse, wobei allerdings zuzugeben ist, daß eine p2b_390.011
Vereinigung von Novellen dem Ganzen ein historisches Gepräge zu verleihen p2b_390.012
im Stande ist.

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3. Man bezeichnete ursprünglich jede eng begrenzte Erzählung oder Geschichte p2b_390.014
in Prosa als Novelle. So enthält z. B. die älteste, italienische Novellensammlung p2b_390.015
aus dem 13. Jahrhundert (die Cento novelle antiche) viele Novellen, die wir p2b_390.016
eben historische Anekdoten nennen würden. Erst durch den Decamerone des p2b_390.017
Boccaccio (+ 1375), der keine einzige seiner an die Sage oder Geschichte sich p2b_390.018
anlehnenden hundert Novellen erfunden hat, erhielt die italienische Novelle kunstmäßigere p2b_390.019
Form und Ausbildung. Durch ihn wurde sie eine interessante, p2b_390.020
lebhaftere Erzählung, wie eine solche den Anforderungen der Gebildeten p2b_390.021
entspricht.

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4. Goethe war der erste Dichter, der die Novelle in diesem Sinne auffaßte p2b_390.023
(in Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten, diesen kleinen humoristisch p2b_390.024
sprudelnden Novellen im geistreichen Konversationston). Er nennt als sein Vorbild p2b_390.025
den Decamerone, während der gelehrte Julian Schmidt meint, Diderots p2b_390.026
Jacques le fataliste habe größeren Einfluß auf ihn geübt.

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Jn neuester Zeit hat die Novelle die größte Verbreitung in Zeitschriften p2b_390.028
gefunden. Tieck war es, welcher der Novelle eine unserer Zeit entsprechende p2b_390.029
freiere Form verlieh, indem er sich ihrer bediente, um interessante, wichtige p2b_390.030
Fragen und Jdeen klarzulegen. Er gab ihr auf diese Weise das Raisonnement p2b_390.031
des philosophischen Romans,
wodurch sie natürlicherweise auch an p2b_390.032
Ausdehnung gewinnen mußte.

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Die gute Novelle, welche mit der flachen, banalen Feuilletonnovelle gewisser p2b_390.034
Vielschreiber nichts gemein hat, bietet nunmehr durch die Aussprüche ihrer p2b_390.035
Personen ein Bild der Zeit, und vermittelt auch die Resultate aus p2b_390.036
den Gebieten der Wissenschaft, der Moral und der Kunst
&c.

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Die Novelle in Versen pflegte besonders auch Paul Heyse. (Vgl. Ges. p2b_390.038
Novellen in Versen 1863. 1870 &c.)

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§ 146. Anforderungen an die Novelle, wie an den Novellisten.

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1. Die Novelle verlangt einen fesselnden Grundgedanken, rasche p2b_390.041
Handlung, anziehende Gestalten, leichte, geistreiche, quellsprudelnde p2b_390.042
Darstellung, versöhnenden Schluß.

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Jm allgemeinen muß man zugeben, daß der Roman, im Gegensatz zur p2b_390.002
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Die Novelle in Versen pflegte besonders auch Paul Heyse. (Vgl. Ges. p2b_390.038
Novellen in Versen 1863. 1870 &c.)

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1. Die Novelle verlangt einen fesselnden Grundgedanken, rasche p2b_390.041
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/412>, abgerufen am 23.11.2024.