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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.

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2. Daher muß sie die Prüfung eines geistreichen, gebildeten, p2b_391.002
erfahrenen Erzählers zu bestehen vermögen.

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1. Jm Gegensatz zum Roman mit seiner bewußten, klaren, künstlerischen p2b_391.004
Komposition, seiner passenden Einleitung, Charakteristik der Figuren, Verwickelung, p2b_391.005
Katastrophe u. s. w. verlangt die Novelle die allereinfachste Anlage und Ausführung. p2b_391.006
Jhr Reiz liegt in der leichten, flüchtigen Zeichnung, nicht in der p2b_391.007
Bezugnahme auf Grundsätze, auf Sitte und Zeit. Sie muß sich durch Geist p2b_391.008
und Neuheit ihres Grundgedankens auszeichnen, wie durch poetisch=künstlerische p2b_391.009
Abrundung, und infolge der geringeren Verwickelungen durch rasch fortschreitende p2b_391.010
Handlung. Jhre Gestalten müssen anziehend und bedeutend sein, die Verwickelung p2b_391.011
einfach, leicht, effektvoll und geistvoll, die Darstellung, wie der ganze Plan klar, p2b_391.012
natürlich. Die sog. Breite des Epos, Episoden und lange Schilderungen sind p2b_391.013
dem Begriff der Novelle durchaus zuwider. Ebenso ist das Wunderbare in der p2b_391.014
Novelle, wie jedes nebensächliche, dem Begriff widersprechende Moment nicht p2b_391.015
am Platze. Auch darf die Katastrophe nicht eine drückende, unbehagliche Wirkung p2b_391.016
auf's Gemüt üben. Nur auf diese Weise wird die Novelle die Stelle einer geistvollen, p2b_391.017
pikanten Unterhaltung im gesellschaftlichen Leben zu vertreten vermögen.

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2. Die Anforderungen an den Novellisten sind selbstredend keine geringen. p2b_391.019
Als in den Salons der Berliner Frauen, einer Bettina, einer Rahel u. a. p2b_391.020
die bedeutendsten Geister verkehrten, war die Blütezeit der deutschen Novelle. p2b_391.021
Berlin als Hauptort des Salons war auch das günstigste Terrain p2b_391.022
für die Novelle. Berlin ist auch heute noch die beste Schule für den Novellendichter, p2b_391.023
von dem man mehr als je die Fähigkeit einer leichten, angenehmen p2b_391.024
Unterhaltung, große Weltkenntnis, gründliches Wissen, Geist, Humor, Phantasie, p2b_391.025
besonders Fluß, Einfachheit und Klarheit der Erzählung fordern muß. Nur p2b_391.026
wer das menschliche Leben und Streben kennt und es mit universellem Sinn p2b_391.027
zu beurteilen versteht, wird seine Leser in die einzelnen Episoden desselben p2b_391.028
blicken lassen können. Er wird verstehen, oft mitten in unaufgeklärte Begebenheiten p2b_391.029
hinein zu versetzen, um zur rechten Zeit Aufklärung über Veranlassung p2b_391.030
und Beginn der Begebenheit zu geben. Vor allem wird er neue Gedanken p2b_391.031
zu bieten vermögen, die auch den Gebildeten interessieren und ihm zu der Überzeugung p2b_391.032
verhelfen, daß er sich in guter Gesellschaft befinde.

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Nicht immer leistet der Novellendichter zugleich auch Bedeutendes auf dem p2b_391.034
Gebiete des Romans. So hat sich z. B. Tieck, einer der besten Novellisten, p2b_391.035
mehrfach im Roman versucht. Aber die besten seiner Romane (selbst der p2b_391.036
1840 erschienene Vittoria Accorombona nicht ausgenommen) machen lediglich p2b_391.037
den Eindruck weit ausgeführter Novellen.

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§ 147. Beispiele lesenswerter Novellen und charakteristische p2b_391.039
Stilproben.

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I. Als instruktive Beispiele, welche die verschiedenartige Behandlung p2b_391.041
der Novelle ersehen lassen, erwähnen wir:

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Katastrophe u. s. w. verlangt die Novelle die allereinfachste Anlage und Ausführung. p2b_391.006
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verhelfen, daß er sich in guter Gesellschaft befinde.

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Nicht immer leistet der Novellendichter zugleich auch Bedeutendes auf dem p2b_391.034
Gebiete des Romans. So hat sich z. B. Tieck, einer der besten Novellisten, p2b_391.035
mehrfach im Roman versucht. Aber die besten seiner Romane (selbst der p2b_391.036
1840 erschienene Vittoria Accorombona nicht ausgenommen) machen lediglich p2b_391.037
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/413>, abgerufen am 23.11.2024.