Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_251.001 p2b_251.006 p2b_251.017 a. Ernste Legende. p2b_251.019Elisabeths Rosen, von Bechstein. p2b_251.020Sie stieg herab wie ein Engelbild, p2b_251.021 Die heil'ge Elisabeth, fromm und mild, p2b_251.022 Die Gaben spendende, hohe Frau p2b_251.023 Vom Wartburg-Schloß auf die grüne Au. p2b_251.024 Sie trägt ein Körbchen, es ist verhüllt, p2b_251.025 Mit milden Gaben ist's vollgefüllt. p2b_251.026 Schon harren die Armen am Bergesfuß p2b_251.027 Auf der Herrin freundlichen Liebesgruß. p2b_251.028 So geht sie ruhig - doch Argwohn stahl p2b_251.029 Durch Verräters Mund sich zu dem Gemahl, p2b_251.030 Und plötzlich tritt Ludwig ihr zürnend nah p2b_251.031 Und fragt die Erschrock'ne: "Was trägst du da?" p2b_251.032 "Herr, Blumen!" bebt's von den Lippen ihr, p2b_251.033 "Jch will sie sehen! Zeige sie mir!" - p2b_251.034 Wie des Grafen Hand das Körbchen enthüllt, p2b_251.035 Mit duftenden Rosen ist's erfüllt. p2b_251.036 Da wird das zürnende Wort gelähmt, p2b_251.037 Vor der edlen Herrin steht er beschämt, p2b_251.038 Vergebung erfleht von ihr sein Blick, p2b_251.039 Vergebung lächelt sie sanft zurück. p2b_251.040
Er geht und es fliegt ihres Auges Strahl p2b_251.041 Fromm dankbar empor zu dem Himmelssaal. p2b_251.042 Dann hat sie zum Thal sich herabgewandt, p2b_251.043 Und die Armen gespeiset mit milder Hand. p2b_251.001 p2b_251.006 p2b_251.017 α. Ernste Legende. p2b_251.019Elisabeths Rosen, von Bechstein. p2b_251.020Sie stieg herab wie ein Engelbild, p2b_251.021 Die heil'ge Elisabeth, fromm und mild, p2b_251.022 Die Gaben spendende, hohe Frau p2b_251.023 Vom Wartburg-Schloß auf die grüne Au. p2b_251.024 Sie trägt ein Körbchen, es ist verhüllt, p2b_251.025 Mit milden Gaben ist's vollgefüllt. p2b_251.026 Schon harren die Armen am Bergesfuß p2b_251.027 Auf der Herrin freundlichen Liebesgruß. p2b_251.028 So geht sie ruhig ─ doch Argwohn stahl p2b_251.029 Durch Verräters Mund sich zu dem Gemahl, p2b_251.030 Und plötzlich tritt Ludwig ihr zürnend nah p2b_251.031 Und fragt die Erschrock'ne: „Was trägst du da?“ p2b_251.032 „Herr, Blumen!“ bebt's von den Lippen ihr, p2b_251.033 „Jch will sie sehen! Zeige sie mir!“ ─ p2b_251.034 Wie des Grafen Hand das Körbchen enthüllt, p2b_251.035 Mit duftenden Rosen ist's erfüllt. p2b_251.036 Da wird das zürnende Wort gelähmt, p2b_251.037 Vor der edlen Herrin steht er beschämt, p2b_251.038 Vergebung erfleht von ihr sein Blick, p2b_251.039 Vergebung lächelt sie sanft zurück. p2b_251.040
Er geht und es fliegt ihres Auges Strahl p2b_251.041 Fromm dankbar empor zu dem Himmelssaal. p2b_251.042 Dann hat sie zum Thal sich herabgewandt, p2b_251.043 Und die Armen gespeiset mit milder Hand. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0273" n="251"/><lb n="p2b_251.001"/> höchste Blüte und Blume menschlicher Ausbildung.“ Ferner: „Eine kleine <lb n="p2b_251.002"/> Legende wird mehr Psychologie, mehr Warnung, Rat und Trost enthalten, als <lb n="p2b_251.003"/> vielleicht ein ganzes System kalter Sittenlehren.“ Er stellt sich dadurch in <lb n="p2b_251.004"/> Widerspruch mit Vischer, welcher der Legende (dieser „Spezialität des Mittelalters“, <lb n="p2b_251.005"/> wie er sie nennt,) bleibenden poetischen Wert abspricht.</p> <p><lb n="p2b_251.006"/> Man teilt die Legenden in <hi rendition="#g">ernste und komische.</hi> Erstere stellen in <lb n="p2b_251.007"/> würdiger Weise eine wunderbare, ernste Begebenheit dar, letztere dagegen führen <lb n="p2b_251.008"/> entweder heitere humoristische Geschichten aus dem Leben eines Heiligen vor, <lb n="p2b_251.009"/> oder suchen das Abergläubische, Unhaltbare einer erzählten Handlung, den Mißbrauch <lb n="p2b_251.010"/> des Wunderglaubens zu Betrügereien nachzuweisen. Diese können zwar <lb n="p2b_251.011"/> schalkhaft, humoristisch heiter sein, nie aber dürfen sie den frommen Glauben <lb n="p2b_251.012"/> verhöhnen. Man nennt die komischen Legenden (wie auch die komischen poetischen <lb n="p2b_251.013"/> Erzählungen) wohl auch Schwänke. Hauptsächlich in den letzteren spielt nicht <lb n="p2b_251.014"/> selten der Teufel eine hervorragende Rolle. Er kann in jeder Erscheinung auftreten, <lb n="p2b_251.015"/> als betrogener, als dummer und als armer Teufel, wodurch er sein <lb n="p2b_251.016"/> Schreckliches, Furchtbares verliert und zu einer erheiternden, komischen Figur wird.</p> <p> <lb n="p2b_251.017"/> <hi rendition="#g">Beispiele der Legende.</hi> </p> <lb n="p2b_251.018"/> <div n="5"> <head> <hi rendition="#c"><foreign xml:lang="grc">α</foreign>. Ernste Legende.</hi> </head> <lb n="p2b_251.019"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Elisabeths Rosen, von Bechstein.</hi> </hi> </p> <lb n="p2b_251.020"/> <lg> <l>Sie stieg herab wie ein Engelbild,</l> <lb n="p2b_251.021"/> <l>Die heil'ge Elisabeth, fromm und mild,</l> <lb n="p2b_251.022"/> <l>Die Gaben spendende, hohe Frau</l> <lb n="p2b_251.023"/> <l>Vom Wartburg-Schloß auf die grüne Au. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_251.024"/> <l>Sie trägt ein Körbchen, es ist verhüllt,</l> <lb n="p2b_251.025"/> <l>Mit milden Gaben ist's vollgefüllt.</l> <lb n="p2b_251.026"/> <l>Schon harren die Armen am Bergesfuß</l> <lb n="p2b_251.027"/> <l>Auf der Herrin freundlichen Liebesgruß. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_251.028"/> <l>So geht sie ruhig ─ doch Argwohn stahl</l> <lb n="p2b_251.029"/> <l>Durch Verräters Mund sich zu dem Gemahl,</l> <lb n="p2b_251.030"/> <l>Und plötzlich tritt Ludwig ihr zürnend nah</l> <lb n="p2b_251.031"/> <l>Und fragt die Erschrock'ne: „Was trägst du da?“ </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_251.032"/> <l>„Herr, Blumen!“ bebt's von den Lippen ihr,</l> <lb n="p2b_251.033"/> <l>„Jch will sie sehen! Zeige sie mir!“ ─</l> <lb n="p2b_251.034"/> <l>Wie des Grafen Hand das Körbchen enthüllt,</l> <lb n="p2b_251.035"/> <l>Mit duftenden Rosen ist's erfüllt. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_251.036"/> <l>Da wird das zürnende Wort gelähmt,</l> <lb n="p2b_251.037"/> <l>Vor der edlen Herrin steht er beschämt,</l> <lb n="p2b_251.038"/> <l>Vergebung erfleht von ihr sein Blick,</l> <lb n="p2b_251.039"/> <l>Vergebung lächelt sie sanft zurück. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_251.040"/> <l>Er geht und es fliegt ihres Auges Strahl</l> <lb n="p2b_251.041"/> <l>Fromm dankbar empor zu dem Himmelssaal.</l> <lb n="p2b_251.042"/> <l>Dann hat sie zum Thal sich herabgewandt,</l> <lb n="p2b_251.043"/> <l>Und die Armen gespeiset mit milder Hand.</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [251/0273]
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höchste Blüte und Blume menschlicher Ausbildung.“ Ferner: „Eine kleine p2b_251.002
Legende wird mehr Psychologie, mehr Warnung, Rat und Trost enthalten, als p2b_251.003
vielleicht ein ganzes System kalter Sittenlehren.“ Er stellt sich dadurch in p2b_251.004
Widerspruch mit Vischer, welcher der Legende (dieser „Spezialität des Mittelalters“, p2b_251.005
wie er sie nennt,) bleibenden poetischen Wert abspricht.
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Man teilt die Legenden in ernste und komische. Erstere stellen in p2b_251.007
würdiger Weise eine wunderbare, ernste Begebenheit dar, letztere dagegen führen p2b_251.008
entweder heitere humoristische Geschichten aus dem Leben eines Heiligen vor, p2b_251.009
oder suchen das Abergläubische, Unhaltbare einer erzählten Handlung, den Mißbrauch p2b_251.010
des Wunderglaubens zu Betrügereien nachzuweisen. Diese können zwar p2b_251.011
schalkhaft, humoristisch heiter sein, nie aber dürfen sie den frommen Glauben p2b_251.012
verhöhnen. Man nennt die komischen Legenden (wie auch die komischen poetischen p2b_251.013
Erzählungen) wohl auch Schwänke. Hauptsächlich in den letzteren spielt nicht p2b_251.014
selten der Teufel eine hervorragende Rolle. Er kann in jeder Erscheinung auftreten, p2b_251.015
als betrogener, als dummer und als armer Teufel, wodurch er sein p2b_251.016
Schreckliches, Furchtbares verliert und zu einer erheiternden, komischen Figur wird.
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Beispiele der Legende.
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α. Ernste Legende. p2b_251.019
Elisabeths Rosen, von Bechstein.
p2b_251.020
Sie stieg herab wie ein Engelbild, p2b_251.021
Die heil'ge Elisabeth, fromm und mild, p2b_251.022
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p2b_251.024
Sie trägt ein Körbchen, es ist verhüllt, p2b_251.025
Mit milden Gaben ist's vollgefüllt. p2b_251.026
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p2b_251.028
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p2b_251.032
„Herr, Blumen!“ bebt's von den Lippen ihr, p2b_251.033
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Da wird das zürnende Wort gelähmt, p2b_251.037
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Vergebung erfleht von ihr sein Blick, p2b_251.039
Vergebung lächelt sie sanft zurück.
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Er geht und es fliegt ihres Auges Strahl p2b_251.041
Fromm dankbar empor zu dem Himmelssaal. p2b_251.042
Dann hat sie zum Thal sich herabgewandt, p2b_251.043
Und die Armen gespeiset mit milder Hand.
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