Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_221.001 I. Lyrisch-didaktisch. p2b_221.003Dem Liebesänger, von Rückert. p2b_221.004Wenn du willst in Menschenherzen p2b_221.005 Alle Saiten rühren an, p2b_221.006 Stimme du den Ton der Schmerzen, p2b_221.007 Nicht den Klang der Freuden an. p2b_221.008 Mancher ist wohl, der erfahren p2b_221.009 Hat auf Erden keine Lust, p2b_221.010 Keiner, der nicht still bewahren p2b_221.011 Wird ein Weh in seiner Brust. p2b_221.012 II. Episch-didaktisch. p2b_221.015Die gute Lehre des Bettlers, von Fr. Rückert. p2b_221.016Ein frommer Bettler stand an Krämerladenwand, p2b_221.017 p2b_221.034Hätt' einer Gabe not, doch streckte nicht die Hand. p2b_221.018 Der geiz'ge Krämer denkt, sein Schweigen sei ein Heischen; p2b_221.019 Jn seinem Kram gestört, begann er aufzukreischen. p2b_221.020 Er hatt' in manchem Sack zu wühlen und zu kramen, p2b_221.021 Und sprach zum Bettler barsch: Geh' hin in Gottes Namen! p2b_221.022 Der Bettler sprach: Jch geh' in Gottes Namen leicht, p2b_221.023 Da mir zum Hindernis kein schwerer Pack gereicht. p2b_221.024 Du aber, der du hast so manchen Sack zu zu tragen, p2b_221.025 Wie gehst du, wenn man wird des Aufbruchs Trommel schlagen? p2b_221.026 Von diesem Worte ward des Krämers Herz getroffen, p2b_221.027 Dem Bettler ging er nach, und ließ den Laden offen. p2b_221.028 Er nahm den Bettelstab und wanderte durch's Leben. p2b_221.029 So gute Lehren kann ein Bettler Krämern geben. p2b_221.030 Wohl jenem Weisen gleich, der, als vor Feindesdrohn p2b_221.031 Die Bürger, um Verlust der Habe klagend, flohn, p2b_221.032 Jm schwerbepackten Zug ging leicht an seinem Stabe, p2b_221.033 Und sagte, daß er all das Seine bei sich habe. III. Dramatisch-didaktisch. p2b_221.035Gegenstück zu Uhlands "Gespräch", von Fr. Rückert. p2b_221.036 "Jch bin des Alten treuer Knecht, p2b_221.037 Weil es ein Gutes ist." p2b_221.038 Das Gute bessern, ist ein Recht, p2b_221.039 Das nur ein Knecht vergißt. p2b_221.040 "Vom Guten hab' ich sich're Spur, p2b_221.041 Vom Bessern leider nicht." p2b_221.042 Du schließest deine Augen nur, p2b_221.043 Sonst zeigt' ich dir das Licht. p2b_221.044
"Jch schwör' auf keinen einz'len Mann, p2b_221.045 Denn einer bin auch ich." p2b_221.046 Wo dich das Jch nicht halten kann, p2b_221.047 Sprich, woran hältst du dich? p2b_221.001 I. Lyrisch-didaktisch. p2b_221.003Dem Liebesänger, von Rückert. p2b_221.004Wenn du willst in Menschenherzen p2b_221.005 Alle Saiten rühren an, p2b_221.006 Stimme du den Ton der Schmerzen, p2b_221.007 Nicht den Klang der Freuden an. p2b_221.008 Mancher ist wohl, der erfahren p2b_221.009 Hat auf Erden keine Lust, p2b_221.010 Keiner, der nicht still bewahren p2b_221.011 Wird ein Weh in seiner Brust. p2b_221.012 II. Episch-didaktisch. p2b_221.015Die gute Lehre des Bettlers, von Fr. Rückert. p2b_221.016Ein frommer Bettler stand an Krämerladenwand, p2b_221.017 p2b_221.034Hätt' einer Gabe not, doch streckte nicht die Hand. p2b_221.018 Der geiz'ge Krämer denkt, sein Schweigen sei ein Heischen; p2b_221.019 Jn seinem Kram gestört, begann er aufzukreischen. p2b_221.020 Er hatt' in manchem Sack zu wühlen und zu kramen, p2b_221.021 Und sprach zum Bettler barsch: Geh' hin in Gottes Namen! p2b_221.022 Der Bettler sprach: Jch geh' in Gottes Namen leicht, p2b_221.023 Da mir zum Hindernis kein schwerer Pack gereicht. p2b_221.024 Du aber, der du hast so manchen Sack zu zu tragen, p2b_221.025 Wie gehst du, wenn man wird des Aufbruchs Trommel schlagen? p2b_221.026 Von diesem Worte ward des Krämers Herz getroffen, p2b_221.027 Dem Bettler ging er nach, und ließ den Laden offen. p2b_221.028 Er nahm den Bettelstab und wanderte durch's Leben. p2b_221.029 So gute Lehren kann ein Bettler Krämern geben. p2b_221.030 Wohl jenem Weisen gleich, der, als vor Feindesdrohn p2b_221.031 Die Bürger, um Verlust der Habe klagend, flohn, p2b_221.032 Jm schwerbepackten Zug ging leicht an seinem Stabe, p2b_221.033 Und sagte, daß er all das Seine bei sich habe. III. Dramatisch-didaktisch. p2b_221.035Gegenstück zu Uhlands „Gespräch“, von Fr. Rückert. p2b_221.036 „Jch bin des Alten treuer Knecht, p2b_221.037 Weil es ein Gutes ist.“ p2b_221.038 Das Gute bessern, ist ein Recht, p2b_221.039 Das nur ein Knecht vergißt. p2b_221.040 „Vom Guten hab' ich sich're Spur, p2b_221.041 Vom Bessern leider nicht.“ p2b_221.042 Du schließest deine Augen nur, p2b_221.043 Sonst zeigt' ich dir das Licht. p2b_221.044
„Jch schwör' auf keinen einz'len Mann, p2b_221.045 Denn einer bin auch ich.“ p2b_221.046 Wo dich das Jch nicht halten kann, p2b_221.047 Sprich, woran hältst du dich? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0243" n="221"/> <p> <lb n="p2b_221.001"/> <hi rendition="#g">Beispiel des wirklichen Lehrgedichts.</hi> </p> <lb n="p2b_221.002"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">I</hi>. Lyrisch-didaktisch.</hi> </p> <lb n="p2b_221.003"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Dem Liebesänger, von Rückert.</hi> </hi> </p> <lb n="p2b_221.004"/> <lg> <l>Wenn du willst in Menschenherzen</l> <lb n="p2b_221.005"/> <l> Alle Saiten rühren an,</l> <lb n="p2b_221.006"/> <l>Stimme du den Ton der Schmerzen,</l> <lb n="p2b_221.007"/> <l> Nicht den Klang der Freuden an. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_221.008"/> <l>Mancher ist wohl, der erfahren</l> <lb n="p2b_221.009"/> <l> Hat auf Erden keine Lust,</l> <lb n="p2b_221.010"/> <l>Keiner, der nicht still bewahren</l> <lb n="p2b_221.011"/> <l> Wird ein Weh in seiner Brust.</l> </lg> <p><lb n="p2b_221.012"/> Als weiteres lyrisch=didaktisches Beispiel vgl. „Sei ein Mensch“, von <lb n="p2b_221.013"/> Leop. Schefer.</p> <lb n="p2b_221.014"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">II</hi>. Episch-didaktisch.</hi> </p> <lb n="p2b_221.015"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Die gute Lehre des Bettlers, von Fr. Rückert.</hi> </hi> </p> <lb n="p2b_221.016"/> <lg> <l>Ein frommer Bettler stand an Krämerladenwand,</l> <lb n="p2b_221.017"/> <l> Hätt' einer Gabe not, doch streckte nicht die Hand.</l> <lb n="p2b_221.018"/> <l>Der geiz'ge Krämer denkt, sein Schweigen sei ein Heischen;</l> <lb n="p2b_221.019"/> <l> Jn seinem Kram gestört, begann er aufzukreischen.</l> <lb n="p2b_221.020"/> <l>Er hatt' in manchem Sack zu wühlen und zu kramen,</l> <lb n="p2b_221.021"/> <l> Und sprach zum Bettler barsch: Geh' hin in Gottes Namen!</l> <lb n="p2b_221.022"/> <l>Der Bettler sprach: Jch geh' in Gottes Namen leicht,</l> <lb n="p2b_221.023"/> <l> Da mir zum Hindernis kein schwerer Pack gereicht.</l> <lb n="p2b_221.024"/> <l>Du aber, der du hast so manchen Sack zu zu tragen,</l> <lb n="p2b_221.025"/> <l> Wie gehst du, wenn man wird des Aufbruchs Trommel schlagen?</l> <lb n="p2b_221.026"/> <l>Von diesem Worte ward des Krämers Herz getroffen,</l> <lb n="p2b_221.027"/> <l> Dem Bettler ging er nach, und ließ den Laden offen.</l> <lb n="p2b_221.028"/> <l>Er nahm den Bettelstab und wanderte durch's Leben.</l> <lb n="p2b_221.029"/> <l> So gute Lehren kann ein Bettler Krämern geben.</l> <lb n="p2b_221.030"/> <l>Wohl jenem Weisen gleich, der, als vor Feindesdrohn</l> <lb n="p2b_221.031"/> <l> Die Bürger, um Verlust der Habe klagend, flohn,</l> <lb n="p2b_221.032"/> <l>Jm schwerbepackten Zug ging leicht an seinem Stabe,</l> <lb n="p2b_221.033"/> <l> Und sagte, daß er all das Seine bei sich habe.</l> </lg> <lb n="p2b_221.034"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">III</hi>. Dramatisch-didaktisch.</hi> </p> <lb n="p2b_221.035"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Gegenstück zu Uhlands</hi> „<hi rendition="#g">Gespräch</hi>“, <hi rendition="#g">von Fr. Rückert.</hi></hi> </p> <lb n="p2b_221.036"/> <lg> <l> „Jch bin des Alten treuer Knecht,</l> <lb n="p2b_221.037"/> <l>Weil es ein Gutes ist.“</l> <lb n="p2b_221.038"/> <l>Das Gute bessern, ist ein Recht,</l> <lb n="p2b_221.039"/> <l>Das nur ein Knecht vergißt. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_221.040"/> <l> „Vom Guten hab' ich sich're Spur,</l> <lb n="p2b_221.041"/> <l>Vom Bessern leider nicht.“</l> <lb n="p2b_221.042"/> <l>Du schließest deine Augen nur,</l> <lb n="p2b_221.043"/> <l>Sonst zeigt' ich dir das Licht. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_221.044"/> <l> „Jch schwör' auf keinen einz'len Mann,</l> <lb n="p2b_221.045"/> <l>Denn einer bin auch ich.“</l> <lb n="p2b_221.046"/> <l>Wo dich das Jch nicht halten kann,</l> <lb n="p2b_221.047"/> <l>Sprich, woran hältst du dich?</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [221/0243]
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Dem Liebesänger, von Rückert.
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Als weiteres lyrisch=didaktisches Beispiel vgl. „Sei ein Mensch“, von p2b_221.013
Leop. Schefer.
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II. Episch-didaktisch.
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Die gute Lehre des Bettlers, von Fr. Rückert.
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Ein frommer Bettler stand an Krämerladenwand, p2b_221.017
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Von diesem Worte ward des Krämers Herz getroffen, p2b_221.027
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III. Dramatisch-didaktisch.
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Gegenstück zu Uhlands „Gespräch“, von Fr. Rückert.
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Das nur ein Knecht vergißt.
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„Vom Guten hab' ich sich're Spur, p2b_221.041
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„Jch schwör' auf keinen einz'len Mann, p2b_221.045
Denn einer bin auch ich.“ p2b_221.046
Wo dich das Jch nicht halten kann, p2b_221.047
Sprich, woran hältst du dich?
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/243>, abgerufen am 23.07.2024. |