Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_222.001 p2b_222.030 "Jch halt' es mit dem schlichten Sinn, p2b_222.002 Der aus dem Volke spricht." p2b_222.003 Schlicht sinn'ges Sprechen ist Gewinn, p2b_222.004 Verworr'nes Schreien nicht. p2b_222.005 "Jch lobe mir den stillen Geist, p2b_222.006 Der mählich wirkt und schafft." p2b_222.007 Doch fordert jedes Werk zumeist p2b_222.008 Auch Schöpferarmes Kraft. p2b_222.009 "Was nicht von innen keimt hervor, p2b_222.010 Jst in der Wurzel schwach." p2b_222.011 Doch einmal muß man sä'n zuvor, p2b_222.012 Was wurzeln soll hernach. p2b_222.013 "Du meinst es löblich, doch du hast p2b_222.014 Für unser Volk kein Herz." p2b_222.015 Für es trag' ich samt and'rer Last p2b_222.016 Auch dieser Kränkung Schmerz. p2b_222.017 Litteratur des wirklichen Lehrgedichts. p2b_222.021 p2b_222.023 § 99. Großes Lehrgedicht. p2b_222.031 p2b_222.036 p2b_222.001 p2b_222.030 „Jch halt' es mit dem schlichten Sinn, p2b_222.002 Der aus dem Volke spricht.“ p2b_222.003 Schlicht sinn'ges Sprechen ist Gewinn, p2b_222.004 Verworr'nes Schreien nicht. p2b_222.005 „Jch lobe mir den stillen Geist, p2b_222.006 Der mählich wirkt und schafft.“ p2b_222.007 Doch fordert jedes Werk zumeist p2b_222.008 Auch Schöpferarmes Kraft. p2b_222.009 „Was nicht von innen keimt hervor, p2b_222.010 Jst in der Wurzel schwach.“ p2b_222.011 Doch einmal muß man sä'n zuvor, p2b_222.012 Was wurzeln soll hernach. p2b_222.013 „Du meinst es löblich, doch du hast p2b_222.014 Für unser Volk kein Herz.“ p2b_222.015 Für es trag' ich samt and'rer Last p2b_222.016 Auch dieser Kränkung Schmerz. p2b_222.017 Litteratur des wirklichen Lehrgedichts. p2b_222.021 p2b_222.023 § 99. 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Sallets Fragment aus einer Tragödie im antiken <lb n="p2b_222.018"/> Stil (Sallets Ges. Ged. S. 171), sowie die am Schluß des folgenden Paragraphen <lb n="p2b_222.019"/> (99) gegebenen Proben aus Rückerts Weisheit des Brahmanen.</p> <lb n="p2b_222.020"/> <p> <hi rendition="#c">Litteratur des wirklichen Lehrgedichts.</hi> </p> <p><lb n="p2b_222.021"/> Das wirkliche Lehrgedicht haben besonders <hi rendition="#g">Gellert, Herder, Tiedge, <lb n="p2b_222.022"/> Schefer, Sallet, Rückert</hi> &c. gepflegt.</p> <p><lb n="p2b_222.023"/> Die <hi rendition="#g">Weisheit des Brahmanen</hi> von <hi rendition="#g">Rückert</hi> ist eine Sammlung <lb n="p2b_222.024"/> kleiner wirklicher Lehrgedichte, die durch gleiche Empfindung verbunden als <lb n="p2b_222.025"/> großes Lehrgedicht aufgefaßt werden und im nächsten Paragraph (99, ebenso <lb n="p2b_222.026"/> wie Sallets Laienevangelium und Schefers Laienbrevier) noch einmal erwähnt <lb n="p2b_222.027"/> werden müssen. Die einzelnen Gedichte sind als wirkliche Lehrgedichte zu <lb n="p2b_222.028"/> rubrizieren, während die Vereinigung dieser sämtlichen Dichtungen je als großes <lb n="p2b_222.029"/> Lehrgedicht gelten kann.</p> </div> <lb n="p2b_222.030"/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 99. Großes Lehrgedicht.</hi> </head> <p><lb n="p2b_222.031"/> Giebt ein Dichtwerk nicht nur eine einzelne gute Lehre, sondern eine <lb n="p2b_222.032"/> ganze Anzahl von Gedanken aus einem Gebiet oder auch aus verschiedenen <lb n="p2b_222.033"/> Gebieten, so daß eine große didaktische Dichtung aus kleinen Einheiten <lb n="p2b_222.034"/> sich ausbreitet, wodurch schließlich das Thema erschöpfend behandelt <lb n="p2b_222.035"/> wird, so nennen wir dies ein <hi rendition="#g">großes Lehrgedicht</hi>.</p> <p><lb n="p2b_222.036"/> Das große Lehrgedicht macht in seiner Ausdehnung und in seinem Verlauf <lb n="p2b_222.037"/> die allermannigfaltigsten Verhältnisse (z. B. Gott, Sittlichkeit, Freiheit, Tugend, <lb n="p2b_222.038"/> Unsterblichkeit und Glückseligkeit) zum Gegenstande seiner Betrachtung, welche es <lb n="p2b_222.039"/> vom Standpunkte einer höheren Weltanschauung beurteilt. Je mehr dabei der <lb n="p2b_222.040"/> reflektierende Verstand sich mit Phantasie und Gefühl vereinigt, desto vorzüglicher <lb n="p2b_222.041"/> wird das große Lehrgedicht sein. Gefühl und Phantasie werden in ihm übrigens <lb n="p2b_222.042"/> durch die Verstandesthätigkeit in Bewegung gesetzt. (Vgl. S. 18. 2. d. Bds.)</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [222/0244]
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„Jch halt' es mit dem schlichten Sinn, p2b_222.002
Der aus dem Volke spricht.“ p2b_222.003
Schlicht sinn'ges Sprechen ist Gewinn, p2b_222.004
Verworr'nes Schreien nicht.
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„Jch lobe mir den stillen Geist, p2b_222.006
Der mählich wirkt und schafft.“ p2b_222.007
Doch fordert jedes Werk zumeist p2b_222.008
Auch Schöpferarmes Kraft.
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„Was nicht von innen keimt hervor, p2b_222.010
Jst in der Wurzel schwach.“ p2b_222.011
Doch einmal muß man sä'n zuvor, p2b_222.012
Was wurzeln soll hernach.
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„Du meinst es löblich, doch du hast p2b_222.014
Für unser Volk kein Herz.“ p2b_222.015
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Auch dieser Kränkung Schmerz.
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Weitere Beispiele vgl. Sallets Fragment aus einer Tragödie im antiken p2b_222.018
Stil (Sallets Ges. Ged. S. 171), sowie die am Schluß des folgenden Paragraphen p2b_222.019
(99) gegebenen Proben aus Rückerts Weisheit des Brahmanen.
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Litteratur des wirklichen Lehrgedichts.
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Das wirkliche Lehrgedicht haben besonders Gellert, Herder, Tiedge, p2b_222.022
Schefer, Sallet, Rückert &c. gepflegt.
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Die Weisheit des Brahmanen von Rückert ist eine Sammlung p2b_222.024
kleiner wirklicher Lehrgedichte, die durch gleiche Empfindung verbunden als p2b_222.025
großes Lehrgedicht aufgefaßt werden und im nächsten Paragraph (99, ebenso p2b_222.026
wie Sallets Laienevangelium und Schefers Laienbrevier) noch einmal erwähnt p2b_222.027
werden müssen. Die einzelnen Gedichte sind als wirkliche Lehrgedichte zu p2b_222.028
rubrizieren, während die Vereinigung dieser sämtlichen Dichtungen je als großes p2b_222.029
Lehrgedicht gelten kann.
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Giebt ein Dichtwerk nicht nur eine einzelne gute Lehre, sondern eine p2b_222.032
ganze Anzahl von Gedanken aus einem Gebiet oder auch aus verschiedenen p2b_222.033
Gebieten, so daß eine große didaktische Dichtung aus kleinen Einheiten p2b_222.034
sich ausbreitet, wodurch schließlich das Thema erschöpfend behandelt p2b_222.035
wird, so nennen wir dies ein großes Lehrgedicht.
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Das große Lehrgedicht macht in seiner Ausdehnung und in seinem Verlauf p2b_222.037
die allermannigfaltigsten Verhältnisse (z. B. Gott, Sittlichkeit, Freiheit, Tugend, p2b_222.038
Unsterblichkeit und Glückseligkeit) zum Gegenstande seiner Betrachtung, welche es p2b_222.039
vom Standpunkte einer höheren Weltanschauung beurteilt. Je mehr dabei der p2b_222.040
reflektierende Verstand sich mit Phantasie und Gefühl vereinigt, desto vorzüglicher p2b_222.041
wird das große Lehrgedicht sein. Gefühl und Phantasie werden in ihm übrigens p2b_222.042
durch die Verstandesthätigkeit in Bewegung gesetzt. (Vgl. S. 18. 2. d. Bds.)
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