Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_216.001 p2b_216.007 a. Choröbus der Kassandra, von Platen. p2b_216.009Nicht von Munde zu Mund und nicht von Auge zu Auge p2b_216.010 Darf die Liebe den Drang ihrer Gefühle gesteh'n: p2b_216.011 Strenge verschließest du dich in heilige, keusche Gemächer, p2b_216.012 Giebst zerstörendem Schmerz, sinnender Trauer dich hin, p2b_216.013 Wechselst allein mit dem pythischen Gotte verlorene Worte, p2b_216.014 Der undankbar dafür Jammer und Sorge verheißt. p2b_216.015 Zürne, Kassandra, mir nicht, und nicht dem verwegenen Griffel, p2b_216.016 Der mir Blicke des Augs, Töne der Lippen ersetzt. p2b_216.017 Siehe, mein Land verließ ich, die blühenden Freunde, den Vater, p2b_216.018 Der, von Jahren gebeugt, kindlicher Stütze bedarf. p2b_216.019 Dich zu gewinnen mir, zog ich hierher: mit bebenden Händen p2b_216.020 Gab mir den Segen der Greis, als ich die Schwelle verließ: p2b_216.021 Lange, so sprach er, und könnt' ich der mahnenden Worte vergessen? p2b_216.022 Lange berühmt und geliebt blüht mein erhaben Geschlecht. p2b_216.023 Viele bewohnten bereits, die nun du verlässest, die Wohnung, p2b_216.024 Selbst Unsterbliche schon lebten und gasteten hier. p2b_216.025 Also erschien auch einst mit Hermes Phöbus Apollon, p2b_216.026 Und prophetischen Geists sagte der Deliergott: p2b_216.027 Ewig besteh' dies Haus, wenn nie ein Gebieter des Hauses p2b_216.028 Jm unrechtlichen Krieg waffnet die zürnende Brust. p2b_216.029 Nie begegnete dies, noch soll dies jemals begegnen, p2b_216.030 Und so hofft' ich zu sehn Enkel auf Enkel dereinst. p2b_216.031 Aber ziehe nun hin zu Phrygiens Königin, Troja, p2b_216.032 Eine von Priams Stamm wähle zur Gattin dir aus. p2b_216.033 Denn ihn haben die Götter begabt mit Knaben und Jungfraun, p2b_216.034 Während sie dich mir geschenkt, einziger Sprosse des Stamms. p2b_216.035
Also sagte der Greis, und legte die bräutlichen Gaben p2b_216.036 Selbst im Wagen zurecht, der mich nach Troja geführt. p2b_216.037 Damals wohnte noch Helena nicht im Phrygerpalaste, p2b_216.038 Duftiger Rauch umschlang friedlich noch jeden Altar. p2b_216.039 Und ich sah dich im Priestergewande, du schmücktest das Opfer p2b_216.040 Blumiger Äste Gewind zierte das wallende Haar: p2b_216.041 Kypria schienst du zu sein, mit großen schmachtenden Augen, p2b_216.042 Aber der Thräne Gewicht hing an der Wimper bereits: p2b_216.043 Flieh, Unseliger flieh! So riefst du, wehe dem Epheu, p2b_216.044 Der mit Liebe sich schlingt um den entwurzelten Baum! p2b_216.045 Doch ich blieb; da kam mit dem Raube der Held Alexandros, p2b_216.046 Aber die Fremdlingin wich dir an Reiz und Gestalt. p2b_216.047 Bald erfüllten das Meer die schwärzlichen Schiffe von Hellas, p2b_216.048 Und vor den Thoren der Stadt rief es zum wilden Gefecht. p2b_216.049 Doch umsonst nur sandte der Vater mir Boten um Boten, p2b_216.050 Ach, wo Liebe gebeut, fruchtet ein ander Gebot? p2b_216.001 p2b_216.007 α. Choröbus der Kassandra, von Platen. p2b_216.009Nicht von Munde zu Mund und nicht von Auge zu Auge p2b_216.010 Darf die Liebe den Drang ihrer Gefühle gesteh'n: p2b_216.011 Strenge verschließest du dich in heilige, keusche Gemächer, p2b_216.012 Giebst zerstörendem Schmerz, sinnender Trauer dich hin, p2b_216.013 Wechselst allein mit dem pythischen Gotte verlorene Worte, p2b_216.014 Der undankbar dafür Jammer und Sorge verheißt. p2b_216.015 Zürne, Kassandra, mir nicht, und nicht dem verwegenen Griffel, p2b_216.016 Der mir Blicke des Augs, Töne der Lippen ersetzt. p2b_216.017 Siehe, mein Land verließ ich, die blühenden Freunde, den Vater, p2b_216.018 Der, von Jahren gebeugt, kindlicher Stütze bedarf. p2b_216.019 Dich zu gewinnen mir, zog ich hierher: mit bebenden Händen p2b_216.020 Gab mir den Segen der Greis, als ich die Schwelle verließ: p2b_216.021 Lange, so sprach er, und könnt' ich der mahnenden Worte vergessen? p2b_216.022 Lange berühmt und geliebt blüht mein erhaben Geschlecht. p2b_216.023 Viele bewohnten bereits, die nun du verlässest, die Wohnung, p2b_216.024 Selbst Unsterbliche schon lebten und gasteten hier. p2b_216.025 Also erschien auch einst mit Hermes Phöbus Apollon, p2b_216.026 Und prophetischen Geists sagte der Deliergott: p2b_216.027 Ewig besteh' dies Haus, wenn nie ein Gebieter des Hauses p2b_216.028 Jm unrechtlichen Krieg waffnet die zürnende Brust. p2b_216.029 Nie begegnete dies, noch soll dies jemals begegnen, p2b_216.030 Und so hofft' ich zu sehn Enkel auf Enkel dereinst. p2b_216.031 Aber ziehe nun hin zu Phrygiens Königin, Troja, p2b_216.032 Eine von Priams Stamm wähle zur Gattin dir aus. p2b_216.033 Denn ihn haben die Götter begabt mit Knaben und Jungfraun, p2b_216.034 Während sie dich mir geschenkt, einziger Sprosse des Stamms. p2b_216.035
Also sagte der Greis, und legte die bräutlichen Gaben p2b_216.036 Selbst im Wagen zurecht, der mich nach Troja geführt. p2b_216.037 Damals wohnte noch Helena nicht im Phrygerpalaste, p2b_216.038 Duftiger Rauch umschlang friedlich noch jeden Altar. p2b_216.039 Und ich sah dich im Priestergewande, du schmücktest das Opfer p2b_216.040 Blumiger Äste Gewind zierte das wallende Haar: p2b_216.041 Kypria schienst du zu sein, mit großen schmachtenden Augen, p2b_216.042 Aber der Thräne Gewicht hing an der Wimper bereits: p2b_216.043 Flieh, Unseliger flieh! 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Doch ließ man die Heroide auch von einer noch lebend gedachten, berühmten p2b_216.003
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Abälard, welche Bürger und Tiedge deutsch übersetzten, bei uns verdiente p2b_216.006
Berühmtheit.
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Beispiele der Heroide.
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Ach, wo Liebe gebeut, fruchtet ein ander Gebot?
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/238>, abgerufen am 23.07.2024. |