Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_202.001 Aus dem Staube wirst du noch p2b_202.002 Hundertmal dich selbst erneu'n. - p2b_202.003 "Ja, es werden nach mir blüh'n p2b_202.004 Andre, die mir ähnlich sind; p2b_202.005 Ewig ist das ganze Grün, p2b_202.006 Nur das Einzle welkt geschwind. p2b_202.007 Aber, sind sie, was ich war, p2b_202.008 Bin ich selber es nicht mehr; p2b_202.009 Jetzt nur bin ich ganz und gar, p2b_202.010 Nicht zuvor und nicht nachher. p2b_202.011 "Wenn einst sie der Sonne Blick p2b_202.012 Wärmt, der jetzt noch mich durchflammt, p2b_202.013 Lindert das nicht mein Geschick, p2b_202.014 Das mich nun zur Nacht verdammt. p2b_202.015 Sonne, ja du äugelst schon p2b_202.016 Jhnen in die Fernen zu; p2b_202.017 Warum noch mit frost'gem Hohn p2b_202.018 Mir aus Wolken lächelst du? p2b_202.019 "Weh' mir, daß ich dir vertraut, p2b_202.020 Als mich wach geküßt dein Strahl; p2b_202.021 Daß in's Aug' ich dir geschaut, p2b_202.022 Bis es mir das Leben stahl! p2b_202.023 Dieses Lebens armen Rest p2b_202.024 Deinem Mitleid zu entzieh'n, p2b_202.025 Schließen will ich krankhaft fest p2b_202.026 Mich in mich, und dir entflieh'n. p2b_202.027 "Doch du schmelzest meines Grimms p2b_202.028 Starres Eis in Thränen auf; p2b_202.029 Nimm mein fliehend Leben, nimm's, p2b_202.030 Ewige, zu dir hinauf! p2b_202.031 Ja du sonnest noch den Gram p2b_202.032 Aus der Seele mir zuletzt; p2b_202.033 Alles, was von dir mir kam, p2b_202.034 Sterbend dank' ich dir es jetzt: p2b_202.035 "Aller Lüfte Morgenzug, p2b_202.036 Dem ich sommerlang gebebt, p2b_202.037 Aller Schmetterlinge Flug, p2b_202.038 Die um mich im Tanz geschwebt; p2b_202.039 Augen, die mein Glanz erfrischt, p2b_202.040 Herzen, die mein Duft erfreut; p2b_202.041 Wie aus Duft und Glanz gemischt p2b_202.042 Du mich schufst, dir dank' ich's heut. p2b_202.043
"Eine Zierde deiner Welt, p2b_202.044 Wenn auch eine kleine nur, p2b_202.045 Ließest du mich blüh'n im Feld, p2b_202.046 Wie die Stern' auf höh'rer Flur. p2b_202.047 Einen Odem hauch' ich noch, p2b_202.048 Und er soll kein Seufzer sein; p2b_202.049 Einen Blick zum Himmel hoch, p2b_202.050 Und zur schönen Welt hinein. p2b_202.001 Aus dem Staube wirst du noch p2b_202.002 Hundertmal dich selbst erneu'n. ─ p2b_202.003 „Ja, es werden nach mir blüh'n p2b_202.004 Andre, die mir ähnlich sind; p2b_202.005 Ewig ist das ganze Grün, p2b_202.006 Nur das Einzle welkt geschwind. p2b_202.007 Aber, sind sie, was ich war, p2b_202.008 Bin ich selber es nicht mehr; p2b_202.009 Jetzt nur bin ich ganz und gar, p2b_202.010 Nicht zuvor und nicht nachher. p2b_202.011 „Wenn einst sie der Sonne Blick p2b_202.012 Wärmt, der jetzt noch mich durchflammt, p2b_202.013 Lindert das nicht mein Geschick, p2b_202.014 Das mich nun zur Nacht verdammt. p2b_202.015 Sonne, ja du äugelst schon p2b_202.016 Jhnen in die Fernen zu; p2b_202.017 Warum noch mit frost'gem Hohn p2b_202.018 Mir aus Wolken lächelst du? p2b_202.019 „Weh' mir, daß ich dir vertraut, p2b_202.020 Als mich wach geküßt dein Strahl; p2b_202.021 Daß in's Aug' ich dir geschaut, p2b_202.022 Bis es mir das Leben stahl! p2b_202.023 Dieses Lebens armen Rest p2b_202.024 Deinem Mitleid zu entzieh'n, p2b_202.025 Schließen will ich krankhaft fest p2b_202.026 Mich in mich, und dir entflieh'n. p2b_202.027 „Doch du schmelzest meines Grimms p2b_202.028 Starres Eis in Thränen auf; p2b_202.029 Nimm mein fliehend Leben, nimm's, p2b_202.030 Ewige, zu dir hinauf! p2b_202.031 Ja du sonnest noch den Gram p2b_202.032 Aus der Seele mir zuletzt; p2b_202.033 Alles, was von dir mir kam, p2b_202.034 Sterbend dank' ich dir es jetzt: p2b_202.035 „Aller Lüfte Morgenzug, p2b_202.036 Dem ich sommerlang gebebt, p2b_202.037 Aller Schmetterlinge Flug, p2b_202.038 Die um mich im Tanz geschwebt; p2b_202.039 Augen, die mein Glanz erfrischt, p2b_202.040 Herzen, die mein Duft erfreut; p2b_202.041 Wie aus Duft und Glanz gemischt p2b_202.042 Du mich schufst, dir dank' ich's heut. p2b_202.043
„Eine Zierde deiner Welt, p2b_202.044 Wenn auch eine kleine nur, p2b_202.045 Ließest du mich blüh'n im Feld, p2b_202.046 Wie die Stern' auf höh'rer Flur. p2b_202.047 Einen Odem hauch' ich noch, p2b_202.048 Und er soll kein Seufzer sein; p2b_202.049 Einen Blick zum Himmel hoch, p2b_202.050 Und zur schönen Welt hinein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0224" n="202"/> <lb n="p2b_202.001"/> <lg> <l>Aus dem Staube wirst du noch</l> <lb n="p2b_202.002"/> <l>Hundertmal dich selbst erneu'n. ─ </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_202.003"/> <l> „Ja, es werden nach mir blüh'n</l> <lb n="p2b_202.004"/> <l>Andre, die mir ähnlich sind;</l> <lb n="p2b_202.005"/> <l>Ewig ist das ganze Grün,</l> <lb n="p2b_202.006"/> <l>Nur das Einzle welkt geschwind.</l> <lb n="p2b_202.007"/> <l>Aber, sind sie, was ich war,</l> <lb n="p2b_202.008"/> <l>Bin ich selber es nicht mehr;</l> <lb n="p2b_202.009"/> <l>Jetzt nur bin ich ganz und gar,</l> <lb n="p2b_202.010"/> <l>Nicht zuvor und nicht nachher. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_202.011"/> <l> „Wenn einst sie der Sonne Blick</l> <lb n="p2b_202.012"/> <l>Wärmt, der jetzt noch mich durchflammt,</l> <lb n="p2b_202.013"/> <l>Lindert das nicht mein Geschick,</l> <lb n="p2b_202.014"/> <l>Das mich nun zur Nacht verdammt.</l> <lb n="p2b_202.015"/> <l>Sonne, ja du äugelst schon</l> <lb n="p2b_202.016"/> <l>Jhnen in die Fernen zu;</l> <lb n="p2b_202.017"/> <l>Warum noch mit frost'gem Hohn</l> <lb n="p2b_202.018"/> <l>Mir aus Wolken lächelst du? </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_202.019"/> <l> „Weh' mir, daß ich dir vertraut,</l> <lb n="p2b_202.020"/> <l>Als mich wach geküßt dein Strahl;</l> <lb n="p2b_202.021"/> <l>Daß in's Aug' ich dir geschaut,</l> <lb n="p2b_202.022"/> <l>Bis es mir das Leben stahl!</l> <lb n="p2b_202.023"/> <l>Dieses Lebens armen Rest</l> <lb n="p2b_202.024"/> <l>Deinem Mitleid zu entzieh'n,</l> <lb n="p2b_202.025"/> <l>Schließen will ich krankhaft fest</l> <lb n="p2b_202.026"/> <l>Mich in mich, und dir entflieh'n. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_202.027"/> <l> „Doch du schmelzest meines Grimms</l> <lb n="p2b_202.028"/> <l>Starres Eis in Thränen auf;</l> <lb n="p2b_202.029"/> <l>Nimm mein fliehend Leben, nimm's,</l> <lb n="p2b_202.030"/> <l>Ewige, zu dir hinauf!</l> <lb n="p2b_202.031"/> <l>Ja du sonnest noch den Gram</l> <lb n="p2b_202.032"/> <l>Aus der Seele mir zuletzt;</l> <lb n="p2b_202.033"/> <l>Alles, was von dir mir kam,</l> <lb n="p2b_202.034"/> <l>Sterbend dank' ich dir es jetzt: </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_202.035"/> <l> „Aller Lüfte Morgenzug,</l> <lb n="p2b_202.036"/> <l>Dem ich sommerlang gebebt,</l> <lb n="p2b_202.037"/> <l>Aller Schmetterlinge Flug,</l> <lb n="p2b_202.038"/> <l>Die um mich im Tanz geschwebt;</l> <lb n="p2b_202.039"/> <l>Augen, die mein Glanz erfrischt,</l> <lb n="p2b_202.040"/> <l>Herzen, die mein Duft erfreut;</l> <lb n="p2b_202.041"/> <l>Wie aus Duft und Glanz gemischt</l> <lb n="p2b_202.042"/> <l>Du mich schufst, dir dank' ich's heut. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_202.043"/> <l> „Eine Zierde deiner Welt,</l> <lb n="p2b_202.044"/> <l>Wenn auch eine kleine nur,</l> <lb n="p2b_202.045"/> <l>Ließest du mich blüh'n im Feld,</l> <lb n="p2b_202.046"/> <l>Wie die Stern' auf höh'rer Flur.</l> <lb n="p2b_202.047"/> <l>Einen Odem hauch' ich noch,</l> <lb n="p2b_202.048"/> <l>Und er soll kein Seufzer sein;</l> <lb n="p2b_202.049"/> <l>Einen Blick zum Himmel hoch,</l> <lb n="p2b_202.050"/> <l>Und zur schönen Welt hinein.</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [202/0224]
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Nimm mein fliehend Leben, nimm's, p2b_202.030
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Alles, was von dir mir kam, p2b_202.034
Sterbend dank' ich dir es jetzt:
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Dem ich sommerlang gebebt, p2b_202.037
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Herzen, die mein Duft erfreut; p2b_202.041
Wie aus Duft und Glanz gemischt p2b_202.042
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Und er soll kein Seufzer sein; p2b_202.049
Einen Blick zum Himmel hoch, p2b_202.050
Und zur schönen Welt hinein.
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/224>, abgerufen am 23.07.2024. |