Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_203.001 p2b_203.009 "Ew'ges Flammenherz der Welt, p2b_203.002 Laß verglimmen mich an dir! p2b_203.003 Himmel, spann' dein blaues Zelt, p2b_203.004 Mein vergrüntes sinket hier. p2b_203.005 Heil, o Frühling, deinem Schein! p2b_203.006 Morgenluft, Heil deinem Weh'n! p2b_203.007 Ohne Kummer schlaf' ich ein, p2b_203.008 Ohne Hoffnung aufzusteh'n. § 90. Kulturhistorisches Gedicht. p2b_203.029p2b_203.010 p2b_203.015 p2b_203.025 § 91. Sinngedicht oder Epigramm. p2b_203.030 p2b_203.036 p2b_203.038 p2b_203.040 p2b_203.001 p2b_203.009 „Ew'ges Flammenherz der Welt, p2b_203.002 Laß verglimmen mich an dir! p2b_203.003 Himmel, spann' dein blaues Zelt, p2b_203.004 Mein vergrüntes sinket hier. p2b_203.005 Heil, o Frühling, deinem Schein! p2b_203.006 Morgenluft, Heil deinem Weh'n! p2b_203.007 Ohne Kummer schlaf' ich ein, p2b_203.008 Ohne Hoffnung aufzusteh'n. § 90. Kulturhistorisches Gedicht. p2b_203.029p2b_203.010 p2b_203.015 p2b_203.025 § 91. Sinngedicht oder Epigramm. p2b_203.030 p2b_203.036 p2b_203.038 p2b_203.040 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0225" n="203"/> <lb n="p2b_203.001"/> <lg> <l> „Ew'ges Flammenherz der Welt,</l> <lb n="p2b_203.002"/> <l>Laß verglimmen mich an dir!</l> <lb n="p2b_203.003"/> <l>Himmel, spann' dein blaues Zelt,</l> <lb n="p2b_203.004"/> <l>Mein vergrüntes sinket hier.</l> <lb n="p2b_203.005"/> <l>Heil, o Frühling, deinem Schein!</l> <lb n="p2b_203.006"/> <l>Morgenluft, Heil deinem Weh'n!</l> <lb n="p2b_203.007"/> <l>Ohne Kummer schlaf' ich ein,</l> <lb n="p2b_203.008"/> <l>Ohne Hoffnung aufzusteh'n.</l> </lg> </div> <lb n="p2b_203.009"/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 90. Kulturhistorisches Gedicht.</hi> </head> <p><lb n="p2b_203.010"/> Ein Gedicht, welches die Schicksale der Menschen und deren Entwickelungsgang <lb n="p2b_203.011"/> poetisch auffaßt und darstellt, so daß die wichtigsten <lb n="p2b_203.012"/> Momente auf Ausbildung des menschlichen Geistes und der gesellschaftlichen <lb n="p2b_203.013"/> Verhältnisse entweder einzeln oder im Zusammenhang <lb n="p2b_203.014"/> berechnet sind, kann als kulturhistorisches Gedicht bezeichnet werden.</p> <p><lb n="p2b_203.015"/> Schiller ist der Vater dieser didaktischen Dichtungsform. Zu nennen sind <lb n="p2b_203.016"/> von ihm <hi rendition="#g">Die Künstler</hi> (ein Gedicht, das den Wert des Schönen versinnlicht), <lb n="p2b_203.017"/> <hi rendition="#g">Der Spaziergang</hi> (welcher lehrt, daß der Überbildung am besten durch die <lb n="p2b_203.018"/> Natur entgegen zu wirken sei), <hi rendition="#g">Das eleusische Fest</hi> (welches die Segnungen <lb n="p2b_203.019"/> des Ackerbaues preist, und die im <hi rendition="#g">Spaziergang</hi> nur angedeutete Kulturentwickelung <lb n="p2b_203.020"/> in mythologischen Bildern weiter ausführt); namentlich aber <hi rendition="#g">Das <lb n="p2b_203.021"/> Lied von der Glocke</hi> (welches das menschliche Leben in seinen wichtigsten <lb n="p2b_203.022"/> Momenten darstellt, wobei es auch alle menschlichen Empfindungen lehrend <lb n="p2b_203.023"/> berührt und damit viel Subjektives, viel echt Lyrisches verbindet). Bei Rückert <lb n="p2b_203.024"/> finden wir das kulturhistorische Gedicht: Der Bau der Welt u. a.</p> <p><lb n="p2b_203.025"/> Als Beispiel des kulturhistorischen Gedichts möge Schillers Lied von der <lb n="p2b_203.026"/> Glocke aufgestellt sein, dessen Form den Gegenstand eines Paragraphen (Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>. <lb n="p2b_203.027"/> S. 515) bildet. (Auf den Abdruck dieser umfangreichen Dichtung können <lb n="p2b_203.028"/> wir um so lieber verzichten, als sich dieselbe zweifellos in Aller Händen befindet.)</p> </div> <lb n="p2b_203.029"/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 91. Sinngedicht oder Epigramm.</hi> </head> <p><lb n="p2b_203.030"/> 1. Ein humoristischer Einfall oder Gedanke, eine Ansicht oder ein <lb n="p2b_203.031"/> Urteil über ein Ereignis oder eine Person, möglichst kurz und gedrängt <lb n="p2b_203.032"/> in poetischer, schöner Form ausgedrückt, oder mit andern Worten: <lb n="p2b_203.033"/> ein kurzes, treffendes, hauptsächlich witziges Gedicht, das die Bestimmung <lb n="p2b_203.034"/> hat, ein allgemein bekanntes Objekt zu loben oder zu tadeln, <lb n="p2b_203.035"/> oder eine Anschauung auszusprechen, heißt Sinngedicht oder Epigramm.</p> <p><lb n="p2b_203.036"/> Die letzten Worte desselben enthalten die sogenannte Pointe oder <lb n="p2b_203.037"/> den Treffpunkt.</p> <p><lb n="p2b_203.038"/> 2. Besondere Arten sind das Empfindungsepigramm und das <lb n="p2b_203.039"/> didaktische Epigramm.</p> <p><lb n="p2b_203.040"/> 3. Jn den Ausgangspunkten ist das Epigramm mit der Elegie <lb n="p2b_203.041"/> verwandt.</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [203/0225]
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„Ew'ges Flammenherz der Welt, p2b_203.002
Laß verglimmen mich an dir! p2b_203.003
Himmel, spann' dein blaues Zelt, p2b_203.004
Mein vergrüntes sinket hier. p2b_203.005
Heil, o Frühling, deinem Schein! p2b_203.006
Morgenluft, Heil deinem Weh'n! p2b_203.007
Ohne Kummer schlaf' ich ein, p2b_203.008
Ohne Hoffnung aufzusteh'n.
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§ 90. Kulturhistorisches Gedicht. p2b_203.010
Ein Gedicht, welches die Schicksale der Menschen und deren Entwickelungsgang p2b_203.011
poetisch auffaßt und darstellt, so daß die wichtigsten p2b_203.012
Momente auf Ausbildung des menschlichen Geistes und der gesellschaftlichen p2b_203.013
Verhältnisse entweder einzeln oder im Zusammenhang p2b_203.014
berechnet sind, kann als kulturhistorisches Gedicht bezeichnet werden.
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Schiller ist der Vater dieser didaktischen Dichtungsform. Zu nennen sind p2b_203.016
von ihm Die Künstler (ein Gedicht, das den Wert des Schönen versinnlicht), p2b_203.017
Der Spaziergang (welcher lehrt, daß der Überbildung am besten durch die p2b_203.018
Natur entgegen zu wirken sei), Das eleusische Fest (welches die Segnungen p2b_203.019
des Ackerbaues preist, und die im Spaziergang nur angedeutete Kulturentwickelung p2b_203.020
in mythologischen Bildern weiter ausführt); namentlich aber Das p2b_203.021
Lied von der Glocke (welches das menschliche Leben in seinen wichtigsten p2b_203.022
Momenten darstellt, wobei es auch alle menschlichen Empfindungen lehrend p2b_203.023
berührt und damit viel Subjektives, viel echt Lyrisches verbindet). Bei Rückert p2b_203.024
finden wir das kulturhistorische Gedicht: Der Bau der Welt u. a.
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Als Beispiel des kulturhistorischen Gedichts möge Schillers Lied von der p2b_203.026
Glocke aufgestellt sein, dessen Form den Gegenstand eines Paragraphen (Bd. I. p2b_203.027
S. 515) bildet. (Auf den Abdruck dieser umfangreichen Dichtung können p2b_203.028
wir um so lieber verzichten, als sich dieselbe zweifellos in Aller Händen befindet.)
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§ 91. Sinngedicht oder Epigramm. p2b_203.030
1. Ein humoristischer Einfall oder Gedanke, eine Ansicht oder ein p2b_203.031
Urteil über ein Ereignis oder eine Person, möglichst kurz und gedrängt p2b_203.032
in poetischer, schöner Form ausgedrückt, oder mit andern Worten: p2b_203.033
ein kurzes, treffendes, hauptsächlich witziges Gedicht, das die Bestimmung p2b_203.034
hat, ein allgemein bekanntes Objekt zu loben oder zu tadeln, p2b_203.035
oder eine Anschauung auszusprechen, heißt Sinngedicht oder Epigramm.
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Die letzten Worte desselben enthalten die sogenannte Pointe oder p2b_203.037
den Treffpunkt.
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2. Besondere Arten sind das Empfindungsepigramm und das p2b_203.039
didaktische Epigramm.
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3. Jn den Ausgangspunkten ist das Epigramm mit der Elegie p2b_203.041
verwandt.
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