Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_173.001
Denn sie verwahrten das Wort des Lebens, p2b_173.002 Welches sie scheidend vom Herrn empfingen. p2b_173.003 Wo auf der Erde die beiden zogen, p2b_173.004 Saß Anahid und begann zu singen. p2b_173.005 Sich vom Gesange die Engel ließen p2b_173.006 Fangen in irdischer Liebe Schlingen; p2b_173.007 Und um der Liebe Gewährung wollten p2b_173.008 Mit Anahid sie, der schönen, ringen. p2b_173.009 Doch Anahidis, die schön' und kluge, p2b_173.010 Wollte von ihnen sich eins bedingen: p2b_173.011 Daß sie ihr sagten das Wort, durch welches p2b_173.012 Man sich zum Himmel vermag zu schwingen. p2b_173.013 Wie sie sprachen das Wort, entsanken p2b_173.014 Jhnen die tragenden Himmelsschwingen. p2b_173.015 Doch Anahid mit dem Wort des Lebens p2b_173.016 Schwang sich, zum Himmel empor zu dringen; p2b_173.017 Und die gefallenen Engel hören p2b_173.018 Jhren Gesang aus den Sternen klingen. p2b_173.019 Die Nektartropfen, von Goethe. p2b_173.024Als Minerva jenen Liebling, p2b_173.025 Den Prometheus, zu begünst'gen, p2b_173.026 Eine volle Nektarschale p2b_173.027 Von dem Himmel niederbrachte, p2b_173.028 Seine Menschen zu beglücken, p2b_173.029 Und den Trieb zu holden Künsten p2b_173.030 Jhrem Busen einzuflößen; p2b_173.031 Eilte sie mit schnellen Füßen, p2b_173.032 Daß sie Jupiter nicht sähe: p2b_173.033 Und die goldne Schale schwankte, p2b_173.034 Und es fielen wenig Tropfen p2b_173.035 Auf den grünen Boden nieder. p2b_173.036 Emsig waren drauf die Bienen p2b_173.037 Hinterher, und saugten fleißig; p2b_173.038 Kam der Schmetterling geschäftig, p2b_173.039 Auch ein Tröpfchen zu erhaschen; p2b_173.040 Selbst die ungestalte Spinne p2b_173.041 Kroch herbei und sog gewaltig. p2b_173.042 Glücklich haben sie gekostet, p2b_173.043 Sie und andre zarte Tierchen! p2b_173.044 Denn sie teilen mit den Menschen p2b_173.045 Nun das schönste Glück, die Kunst. p2b_173.046 p2b_173.001
Denn sie verwahrten das Wort des Lebens, p2b_173.002 Welches sie scheidend vom Herrn empfingen. p2b_173.003 Wo auf der Erde die beiden zogen, p2b_173.004 Saß Anahid und begann zu singen. p2b_173.005 Sich vom Gesange die Engel ließen p2b_173.006 Fangen in irdischer Liebe Schlingen; p2b_173.007 Und um der Liebe Gewährung wollten p2b_173.008 Mit Anahid sie, der schönen, ringen. p2b_173.009 Doch Anahidis, die schön' und kluge, p2b_173.010 Wollte von ihnen sich eins bedingen: p2b_173.011 Daß sie ihr sagten das Wort, durch welches p2b_173.012 Man sich zum Himmel vermag zu schwingen. p2b_173.013 Wie sie sprachen das Wort, entsanken p2b_173.014 Jhnen die tragenden Himmelsschwingen. p2b_173.015 Doch Anahid mit dem Wort des Lebens p2b_173.016 Schwang sich, zum Himmel empor zu dringen; p2b_173.017 Und die gefallenen Engel hören p2b_173.018 Jhren Gesang aus den Sternen klingen. p2b_173.019 Die Nektartropfen, von Goethe. p2b_173.024Als Minerva jenen Liebling, p2b_173.025 Den Prometheus, zu begünst'gen, p2b_173.026 Eine volle Nektarschale p2b_173.027 Von dem Himmel niederbrachte, p2b_173.028 Seine Menschen zu beglücken, p2b_173.029 Und den Trieb zu holden Künsten p2b_173.030 Jhrem Busen einzuflößen; p2b_173.031 Eilte sie mit schnellen Füßen, p2b_173.032 Daß sie Jupiter nicht sähe: p2b_173.033 Und die goldne Schale schwankte, p2b_173.034 Und es fielen wenig Tropfen p2b_173.035 Auf den grünen Boden nieder. p2b_173.036 Emsig waren drauf die Bienen p2b_173.037 Hinterher, und saugten fleißig; p2b_173.038 Kam der Schmetterling geschäftig, p2b_173.039 Auch ein Tröpfchen zu erhaschen; p2b_173.040 Selbst die ungestalte Spinne p2b_173.041 Kroch herbei und sog gewaltig. p2b_173.042 Glücklich haben sie gekostet, p2b_173.043 Sie und andre zarte Tierchen! p2b_173.044 Denn sie teilen mit den Menschen p2b_173.045 Nun das schönste Glück, die Kunst. p2b_173.046 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0195" n="173"/> <lb n="p2b_173.001"/> <lg> <l>Denn sie verwahrten das Wort des Lebens,</l> <lb n="p2b_173.002"/> <l> Welches sie scheidend vom Herrn empfingen.</l> <lb n="p2b_173.003"/> <l>Wo auf der Erde die beiden zogen,</l> <lb n="p2b_173.004"/> <l> Saß Anahid und begann zu singen.</l> <lb n="p2b_173.005"/> <l>Sich vom Gesange die Engel ließen</l> <lb n="p2b_173.006"/> <l> Fangen in irdischer Liebe Schlingen;</l> <lb n="p2b_173.007"/> <l>Und um der Liebe Gewährung wollten</l> <lb n="p2b_173.008"/> <l> Mit Anahid sie, der schönen, ringen.</l> <lb n="p2b_173.009"/> <l>Doch Anahidis, die schön' und kluge,</l> <lb n="p2b_173.010"/> <l> Wollte von ihnen sich eins bedingen:</l> <lb n="p2b_173.011"/> <l>Daß sie ihr sagten das Wort, durch welches</l> <lb n="p2b_173.012"/> <l> Man sich zum Himmel vermag zu schwingen.</l> <lb n="p2b_173.013"/> <l>Wie sie sprachen das Wort, entsanken</l> <lb n="p2b_173.014"/> <l> Jhnen die tragenden Himmelsschwingen.</l> <lb n="p2b_173.015"/> <l>Doch Anahid mit dem Wort des Lebens</l> <lb n="p2b_173.016"/> <l> Schwang sich, zum Himmel empor zu dringen;</l> <lb n="p2b_173.017"/> <l>Und die gefallenen Engel hören</l> <lb n="p2b_173.018"/> <l> Jhren Gesang aus den Sternen klingen.</l> </lg> <p><lb n="p2b_173.019"/> (<hi rendition="#g">Sinn:</hi> Sprecht nicht Geheimnisse denen gegenüber aus, die niedriger <lb n="p2b_173.020"/> stehen, als ihr; sonst fallt ihr, während sich jene über euch erheben.) (Vgl. <lb n="p2b_173.021"/> noch von Rückert die Paramythie „Wischnu auf der Schlange“, deren Sinn <lb n="p2b_173.022"/> ist: Nichts ist ganz unabhängig von Gott, ohne Geist wächst kein Stoff.)</p> <lb n="p2b_173.023"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Die Nektartropfen, von Goethe.</hi> </hi> </p> <lb n="p2b_173.024"/> <lg> <l>Als Minerva jenen Liebling,</l> <lb n="p2b_173.025"/> <l>Den Prometheus, zu begünst'gen,</l> <lb n="p2b_173.026"/> <l>Eine volle Nektarschale</l> <lb n="p2b_173.027"/> <l>Von dem Himmel niederbrachte,</l> <lb n="p2b_173.028"/> <l>Seine Menschen zu beglücken,</l> <lb n="p2b_173.029"/> <l>Und den Trieb zu holden Künsten</l> <lb n="p2b_173.030"/> <l>Jhrem Busen einzuflößen;</l> <lb n="p2b_173.031"/> <l>Eilte sie mit schnellen Füßen,</l> <lb n="p2b_173.032"/> <l>Daß sie Jupiter nicht sähe:</l> <lb n="p2b_173.033"/> <l>Und die goldne Schale schwankte,</l> <lb n="p2b_173.034"/> <l>Und es fielen wenig Tropfen</l> <lb n="p2b_173.035"/> <l>Auf den grünen Boden nieder. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_173.036"/> <l>Emsig waren drauf die Bienen</l> <lb n="p2b_173.037"/> <l>Hinterher, und saugten fleißig;</l> <lb n="p2b_173.038"/> <l>Kam der Schmetterling geschäftig,</l> <lb n="p2b_173.039"/> <l>Auch ein Tröpfchen zu erhaschen;</l> <lb n="p2b_173.040"/> <l>Selbst die ungestalte Spinne</l> <lb n="p2b_173.041"/> <l>Kroch herbei und sog gewaltig. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_173.042"/> <l>Glücklich haben sie gekostet,</l> <lb n="p2b_173.043"/> <l>Sie und andre zarte Tierchen!</l> <lb n="p2b_173.044"/> <l>Denn sie teilen mit den Menschen</l> <lb n="p2b_173.045"/> <l>Nun das schönste Glück, die <hi rendition="#g">Kunst.</hi></l> </lg> <p><lb n="p2b_173.046"/> Zur Litteratur der Paramythie sind neben Herder (das Kind der Sorge), <lb n="p2b_173.047"/> Rückert und Goethe zu nennen: Krummacher, Agnes Franz, Richter, Schiller, <lb n="p2b_173.048"/> Daumer, Al. Kaufmann u. a.</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [173/0195]
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Jhren Gesang aus den Sternen klingen.
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(Sinn: Sprecht nicht Geheimnisse denen gegenüber aus, die niedriger p2b_173.020
stehen, als ihr; sonst fallt ihr, während sich jene über euch erheben.) (Vgl. p2b_173.021
noch von Rückert die Paramythie „Wischnu auf der Schlange“, deren Sinn p2b_173.022
ist: Nichts ist ganz unabhängig von Gott, ohne Geist wächst kein Stoff.)
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Die Nektartropfen, von Goethe.
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Als Minerva jenen Liebling, p2b_173.025
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Zur Litteratur der Paramythie sind neben Herder (das Kind der Sorge), p2b_173.047
Rückert und Goethe zu nennen: Krummacher, Agnes Franz, Richter, Schiller, p2b_173.048
Daumer, Al. Kaufmann u. a.
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