Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_145.001 § 74. Dithyrambus. p2b_145.002 p2b_145.007 p2b_145.011 p2b_145.029 Am ersten Maimorgen, von M. Claudius. p2b_145.031 Heute will ich fröhlich fröhlich sein, p2b_145.032 Keine Weis' und keine Sitte hören; p2b_145.033 Will mich wälzen, und vor Freude schrein, p2b_145.034 Und der König soll mir das nicht wehren. p2b_145.035 Denn er kommt mit seiner Freuden Schar p2b_145.036 Heute aus der Morgenröte Hallen, p2b_145.037 Einen Blumenkranz um Brust und Haar p2b_145.038 Und auf seiner Schulter Nachtigallen. p2b_145.039
Und sein Antlitz ist ihm rot und weiß, p2b_145.040 Und er träuft von Tau und Duft und Segen - p2b_145.041 Ha, mein Thyrsus sei ein Knospenreis, p2b_145.042 Und so tauml' ich meinem Freund entgegen. p2b_145.001 § 74. Dithyrambus. p2b_145.002 p2b_145.007 p2b_145.011 p2b_145.029 Am ersten Maimorgen, von M. Claudius. p2b_145.031 Heute will ich fröhlich fröhlich sein, p2b_145.032 Keine Weis' und keine Sitte hören; p2b_145.033 Will mich wälzen, und vor Freude schrein, p2b_145.034 Und der König soll mir das nicht wehren. p2b_145.035 Denn er kommt mit seiner Freuden Schar p2b_145.036 Heute aus der Morgenröte Hallen, p2b_145.037 Einen Blumenkranz um Brust und Haar p2b_145.038 Und auf seiner Schulter Nachtigallen. p2b_145.039
Und sein Antlitz ist ihm rot und weiß, p2b_145.040 Und er träuft von Tau und Duft und Segen ─ p2b_145.041 Ha, mein Thyrsus sei ein Knospenreis, p2b_145.042 Und so tauml' ich meinem Freund entgegen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0167" n="145"/> <lb n="p2b_145.001"/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 74. Dithyrambus.</hi> </head> <p><lb n="p2b_145.002"/> Wie das gewöhnliche Lied in der Ode und das geistliche Lied in <lb n="p2b_145.003"/> der Hymne eine höhere Form besitzen, so das gesellige Lied in der <lb n="p2b_145.004"/> Dithyrambe (vom griechischen <foreign xml:lang="grc">διθύραμβος</foreign> == Beiname des Bacchos). <lb n="p2b_145.005"/> Jeder Erguß auflodernder Gefühle voll stürmisch=trunkener Begeisterung <lb n="p2b_145.006"/> heißt Dithyrambus.</p> <p><lb n="p2b_145.007"/> Das gesellige Lied heißt Dithyrambe, wenn Empfindung und Ausdruck <lb n="p2b_145.008"/> (in bezug auf gesellige Freude, Wein und Liebe &c.) höheren <lb n="p2b_145.009"/> Schwung, eine gleichsam trunken=schwärmerische, poetische Erregung <lb n="p2b_145.010"/> annehmen.</p> <p><lb n="p2b_145.011"/> Die Dithyrambe atmet stürmische Begeisterung, überströmendes Wonnegefühl <lb n="p2b_145.012"/> und liebt auch in der Form eine an Ungebundenheit grenzende Freiheit. <lb n="p2b_145.013"/> Zuweilen wird statt Wein der Gott des Weines Bacchus (oder Dionysos, dem <lb n="p2b_145.014"/> überhaupt die ersten Dithyramben galten und von dem ─ dem zweimal <lb n="p2b_145.015"/> gebornen ─ sie ihren Namen haben) besungen, so daß die Dithyrambe eigentlich <lb n="p2b_145.016"/> eine dem Bacchus gewidmete Hymne wäre. Die Dithyrambe ist noch feuriger, <lb n="p2b_145.017"/> als die Hymne, wie wiederum diese mehr Schwung hat als die Ode. Jm <lb n="p2b_145.018"/> Gegensatz zur Hymne ist es eben die irdische Wonne, welche in der Dithyrambe <lb n="p2b_145.019"/> den Dichter begeistert, ja fast trunken macht, obwohl ihr Stoff nicht ausschließlich <lb n="p2b_145.020"/> das Zechen, Trinken und irdischen Genuß zu preisen braucht. Die bekannteste <lb n="p2b_145.021"/> Dithyrambe ist Schillers „Lied an die Freude“ (Freude, schöner Götterfunken <lb n="p2b_145.022"/> &c.), sowie J. H. Voß' Dithyrambus (Wenn des Kapweins Glut im <lb n="p2b_145.023"/> Krystall mir flammt). Außer einigen Liedern, welche den Übergang vom Lied <lb n="p2b_145.024"/> zum Dithyrambus bilden, sind bei Rückert eigentliche Dithyramben in den <lb n="p2b_145.025"/> östlichen Rosen zu finden. Dithyrambisch ist z. B. sein „Lebensgnüge“. Dithyrambisch, <lb n="p2b_145.026"/> jedoch mit mehr odenmäßigem Jnhalt, sind ferner von ihm: Zum <lb n="p2b_145.027"/> Empfang der rückkehrenden Preußen, Adler und Lerche &c. Dithyramben liefert <lb n="p2b_145.028"/> Schmidt-Cabanis in „Wechselnde Lichter“, z. B. Ein lustig Totentänzlein S. 106 &c.</p> <p> <lb n="p2b_145.029"/> <hi rendition="#g">Beispiele der Dithyrambe.</hi> </p> <lb n="p2b_145.030"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Am ersten Maimorgen, von</hi> M. <hi rendition="#g">Claudius.</hi></hi> </p> <lb n="p2b_145.031"/> <lg> <l> Heute will ich fröhlich fröhlich sein,</l> <lb n="p2b_145.032"/> <l>Keine Weis' und keine Sitte hören;</l> <lb n="p2b_145.033"/> <l>Will mich wälzen, und vor Freude schrein,</l> <lb n="p2b_145.034"/> <l>Und der König soll mir das nicht wehren. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_145.035"/> <l> Denn er kommt mit seiner Freuden Schar</l> <lb n="p2b_145.036"/> <l>Heute aus der Morgenröte Hallen,</l> <lb n="p2b_145.037"/> <l>Einen Blumenkranz um Brust und Haar</l> <lb n="p2b_145.038"/> <l>Und auf seiner Schulter Nachtigallen. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_145.039"/> <l> Und sein Antlitz ist ihm rot und weiß,</l> <lb n="p2b_145.040"/> <l>Und er träuft von Tau und Duft und Segen ─</l> <lb n="p2b_145.041"/> <l>Ha, mein Thyrsus sei ein Knospenreis,</l> <lb n="p2b_145.042"/> <l>Und so tauml' ich meinem Freund entgegen.</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [145/0167]
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§ 74. Dithyrambus. p2b_145.002
Wie das gewöhnliche Lied in der Ode und das geistliche Lied in p2b_145.003
der Hymne eine höhere Form besitzen, so das gesellige Lied in der p2b_145.004
Dithyrambe (vom griechischen διθύραμβος == Beiname des Bacchos). p2b_145.005
Jeder Erguß auflodernder Gefühle voll stürmisch=trunkener Begeisterung p2b_145.006
heißt Dithyrambus.
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Das gesellige Lied heißt Dithyrambe, wenn Empfindung und Ausdruck p2b_145.008
(in bezug auf gesellige Freude, Wein und Liebe &c.) höheren p2b_145.009
Schwung, eine gleichsam trunken=schwärmerische, poetische Erregung p2b_145.010
annehmen.
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Die Dithyrambe atmet stürmische Begeisterung, überströmendes Wonnegefühl p2b_145.012
und liebt auch in der Form eine an Ungebundenheit grenzende Freiheit. p2b_145.013
Zuweilen wird statt Wein der Gott des Weines Bacchus (oder Dionysos, dem p2b_145.014
überhaupt die ersten Dithyramben galten und von dem ─ dem zweimal p2b_145.015
gebornen ─ sie ihren Namen haben) besungen, so daß die Dithyrambe eigentlich p2b_145.016
eine dem Bacchus gewidmete Hymne wäre. Die Dithyrambe ist noch feuriger, p2b_145.017
als die Hymne, wie wiederum diese mehr Schwung hat als die Ode. Jm p2b_145.018
Gegensatz zur Hymne ist es eben die irdische Wonne, welche in der Dithyrambe p2b_145.019
den Dichter begeistert, ja fast trunken macht, obwohl ihr Stoff nicht ausschließlich p2b_145.020
das Zechen, Trinken und irdischen Genuß zu preisen braucht. Die bekannteste p2b_145.021
Dithyrambe ist Schillers „Lied an die Freude“ (Freude, schöner Götterfunken p2b_145.022
&c.), sowie J. H. Voß' Dithyrambus (Wenn des Kapweins Glut im p2b_145.023
Krystall mir flammt). Außer einigen Liedern, welche den Übergang vom Lied p2b_145.024
zum Dithyrambus bilden, sind bei Rückert eigentliche Dithyramben in den p2b_145.025
östlichen Rosen zu finden. Dithyrambisch ist z. B. sein „Lebensgnüge“. Dithyrambisch, p2b_145.026
jedoch mit mehr odenmäßigem Jnhalt, sind ferner von ihm: Zum p2b_145.027
Empfang der rückkehrenden Preußen, Adler und Lerche &c. Dithyramben liefert p2b_145.028
Schmidt-Cabanis in „Wechselnde Lichter“, z. B. Ein lustig Totentänzlein S. 106 &c.
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Beispiele der Dithyrambe.
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Am ersten Maimorgen, von M. Claudius.
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Heute will ich fröhlich fröhlich sein, p2b_145.032
Keine Weis' und keine Sitte hören; p2b_145.033
Will mich wälzen, und vor Freude schrein, p2b_145.034
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Und so tauml' ich meinem Freund entgegen.
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