Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_120.001 p2b_120.008 a. Die Schiffersfrau von Herm. Lingg. p2b_120.010 Wir sahn dem Schiff am Ufer nach, p2b_120.011 Bis Wind die Segel fingen, p2b_120.012 Bis über die See das Dunkel brach, p2b_120.013 Und die Augen übergingen, p2b_120.014 Dann kehrten wir heim, allein und zerstreut, p2b_120.015 Wir Frauen und Töchter der Schifferleut'. p2b_120.016 Seitdem ist's nun im zweiten Jahr, p2b_120.017 Daß Dich die Wogen treiben, p2b_120.018 Du irrst durch ferne Todesgefahr, p2b_120.019 Und ich muß Witwe bleiben. p2b_120.020 Jch schaukle zu Haus in der Wiege Dein Kind, p2b_120.021 Und Dich, Dich schaukelt der wilde Wind. p2b_120.022 Oft fallen mir alle die Namen bei p2b_120.023 Von Männern, die untergegangen, p2b_120.024 Von denen wir oft am Abend zu zwei p2b_120.025 Die traurigen Lieder sangen. p2b_120.026 Vergessene Menschen in fremder Tracht p2b_120.027 Besuchen mich oft im Traume der Nacht. p2b_120.028 Sie schütteln ihr lang' durchnäßtes Haar, p2b_120.029 Und grüßen, wie fremde Boten, p2b_120.030 Sie reichen einen Ring mir dar p2b_120.031 Und Grüße von dem Toten, p2b_120.032 Von Dir, von Dir - Jch erwach' und wein' p2b_120.033 Und schlafe die Nacht nicht wieder ein. p2b_120.034 p2b_120.040Es lechzt vielleicht Dein heißer Mund, p2b_120.035 Und ich kann Dich nicht laben, p2b_120.036 Du liegst vielleicht im Meeresgrund p2b_120.037 Sarglos und unbegraben! p2b_120.038 Ach, daß ich selbst den Trost verlier', p2b_120.039 Jm Frieden einst zu ruhn bei Dir. b. Das Bächlein, von Rückert. p2b_120.041 Das Bächlein zieht von dannen, p2b_120.042
Läßt grün den Rand zurück, p2b_120.043 Wie Freuden, die verrannen. p2b_120.044 Doch fühl' ich noch das Glück. p2b_120.001 p2b_120.008 a. Die Schiffersfrau von Herm. Lingg. p2b_120.010 Wir sahn dem Schiff am Ufer nach, p2b_120.011 Bis Wind die Segel fingen, p2b_120.012 Bis über die See das Dunkel brach, p2b_120.013 Und die Augen übergingen, p2b_120.014 Dann kehrten wir heim, allein und zerstreut, p2b_120.015 Wir Frauen und Töchter der Schifferleut'. p2b_120.016 Seitdem ist's nun im zweiten Jahr, p2b_120.017 Daß Dich die Wogen treiben, p2b_120.018 Du irrst durch ferne Todesgefahr, p2b_120.019 Und ich muß Witwe bleiben. p2b_120.020 Jch schaukle zu Haus in der Wiege Dein Kind, p2b_120.021 Und Dich, Dich schaukelt der wilde Wind. p2b_120.022 Oft fallen mir alle die Namen bei p2b_120.023 Von Männern, die untergegangen, p2b_120.024 Von denen wir oft am Abend zu zwei p2b_120.025 Die traurigen Lieder sangen. p2b_120.026 Vergessene Menschen in fremder Tracht p2b_120.027 Besuchen mich oft im Traume der Nacht. p2b_120.028 Sie schütteln ihr lang' durchnäßtes Haar, p2b_120.029 Und grüßen, wie fremde Boten, p2b_120.030 Sie reichen einen Ring mir dar p2b_120.031 Und Grüße von dem Toten, p2b_120.032 Von Dir, von Dir ─ Jch erwach' und wein' p2b_120.033 Und schlafe die Nacht nicht wieder ein. p2b_120.034 p2b_120.040Es lechzt vielleicht Dein heißer Mund, p2b_120.035 Und ich kann Dich nicht laben, p2b_120.036 Du liegst vielleicht im Meeresgrund p2b_120.037 Sarglos und unbegraben! p2b_120.038 Ach, daß ich selbst den Trost verlier', p2b_120.039 Jm Frieden einst zu ruhn bei Dir. b. Das Bächlein, von Rückert. p2b_120.041 Das Bächlein zieht von dannen, p2b_120.042
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Beispiele des elegischen Liedes.
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a. Die Schiffersfrau von Herm. Lingg.
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Doch fühl' ich noch das Glück.
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