Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_668.001 p1b_668.009 Kennt Alt wohl und Jung, und Groß und Klein p1b_668.011 Die Mär' von den durstigen Teufeln, p1b_668.012 Die einstmals lüstern nach gutem Wein p1b_668.013 Unter Kork und Draht nun verzweifeln: p1b_668.014 Vom Champagnerwein die lustige Mär', p1b_668.015 Der ein infernalischer Strafwein wär', p1b_668.016 Nur ein höllisches Thränen-Träufeln.(Schmidt-Cabanis.) p1b_668.017 p1b_668.024Meine Liebste wollt' im Zimmer p1b_668.018 Hyacinthen ziehn, p1b_668.019 Daß dir was von Frühlingsschimmer, p1b_668.020 Winter, sei verliehn; p1b_668.021 Und in meinen Schachteln liegen stille Gruppen p1b_668.022 Puppen, p1b_668.023 Denen sollen Schmetterling' entfliehn. (Rückert, Zimmerfrühling.) p1b_668.025 p1b_668.026 p1b_668.030 Nun sollt ihr mich nicht unterkriegen, p1b_668.032 Jch schweb' empor, p1b_668.033 Jch hätt' euch können unterliegen p1b_668.034 Noch kurz zuvor, p1b_668.035 Als trübe gleich dem Himmelsbogen p1b_668.036 Von winterlichem Wolkenflor p1b_668.037 War mein Gemüt umzogen. (Rückert.) p1b_668.038 p1b_668.039 p1b_668.001 p1b_668.009 Kennt Alt wohl und Jung, und Groß und Klein p1b_668.011 Die Mär' von den durstigen Teufeln, p1b_668.012 Die einstmals lüstern nach gutem Wein p1b_668.013 Unter Kork und Draht nun verzweifeln: p1b_668.014 Vom Champagnerwein die lustige Mär', p1b_668.015 Der ein infernalischer Strafwein wär', p1b_668.016 Nur ein höllisches Thränen-Träufeln.(Schmidt-Cabanis.) p1b_668.017 p1b_668.024Meine Liebste wollt' im Zimmer p1b_668.018 Hyacinthen ziehn, p1b_668.019 Daß dir was von Frühlingsschimmer, p1b_668.020 Winter, sei verliehn; p1b_668.021 Und in meinen Schachteln liegen stille Gruppen p1b_668.022 Puppen, p1b_668.023 Denen sollen Schmetterling' entfliehn. (Rückert, Zimmerfrühling.) p1b_668.025 p1b_668.026 p1b_668.030 Nun sollt ihr mich nicht unterkriegen, p1b_668.032 Jch schweb' empor, p1b_668.033 Jch hätt' euch können unterliegen p1b_668.034 Noch kurz zuvor, p1b_668.035 Als trübe gleich dem Himmelsbogen p1b_668.036 Von winterlichem Wolkenflor p1b_668.037 War mein Gemüt umzogen. (Rückert.) p1b_668.038 p1b_668.039 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0702" n="668"/><lb n="p1b_668.001"/> (Frühlingslied), Jul. Hammer (Jm Abgrund), A. W. Schlegel (Arion), <lb n="p1b_668.002"/> Fr. v. Schlegel (Gelübde und Freiheitslied), L. Dreves (Nachtlied), Lampadius <lb n="p1b_668.003"/> (Schwarzauges Gut' Nacht), Geibel (Betrogen), Ritter (Frühlingslied: „Regst <lb n="p1b_668.004"/> du, o Lenz! die jungen Glieder“ &c.). <hi rendition="#g">Brinkmeier</hi> hat das Zornlied des <lb n="p1b_668.005"/> Troubadours Peire Cardinal, und <hi rendition="#g">Rückert</hi> 2 Lieder im Schi-King (S. 133 <lb n="p1b_668.006"/> und 143) in dieser Strophe übersetzt. Schmidt-Cabanis weitgesungenes humoristisches <lb n="p1b_668.007"/> „Neues Märlein vom Champagnerwein“ hat diese Form weiten Kreisen <lb n="p1b_668.008"/> vermittelt, weshalb wir sie durch den Namen dieses Humoristen auszeichnen.</p> <p> <lb n="p1b_668.009"/> <hi rendition="#g">Beispiel:</hi> </p> <lb n="p1b_668.010"/> <lg> <l>Kennt Alt wohl und Jung, und Groß und Klein</l> <lb n="p1b_668.011"/> <l>Die Mär' von den durstigen Teufeln,</l> <lb n="p1b_668.012"/> <l>Die einstmals lüstern nach gutem Wein</l> <lb n="p1b_668.013"/> <l>Unter Kork und Draht nun verzweifeln:</l> <lb n="p1b_668.014"/> <l>Vom Champagnerwein die lustige Mär',</l> <lb n="p1b_668.015"/> <l>Der ein infernalischer Strafwein wär',</l> <lb n="p1b_668.016"/> <l>Nur ein höllisches Thränen-Träufeln.<hi rendition="#right">(Schmidt-Cabanis.)</hi> </l> </lg> <lg> <lb n="p1b_668.017"/> <l>Meine Liebste wollt' im Zimmer</l> <lb n="p1b_668.018"/> <l>Hyacinthen ziehn,</l> <lb n="p1b_668.019"/> <l>Daß dir was von Frühlingsschimmer,</l> <lb n="p1b_668.020"/> <l>Winter, sei verliehn;</l> <lb n="p1b_668.021"/> <l>Und in meinen Schachteln liegen stille Gruppen</l> <lb n="p1b_668.022"/> <l>Puppen,</l> <lb n="p1b_668.023"/> <l>Denen sollen Schmetterling' entfliehn.</l> </lg> <lb n="p1b_668.024"/> <p> <hi rendition="#right">(Rückert, Zimmerfrühling.)</hi> </p> <p><lb n="p1b_668.025"/> 2. <hi rendition="#aq">a b a b c b c</hi>.</p> <p><lb n="p1b_668.026"/> Es ist dies eine seltene Form, welcher wir nur in einem alten dreiteiligen <lb n="p1b_668.027"/> Kirchenlied (vgl. Wackernagels deutsches Kirchenlied S. 839), sowie bei Geibel <lb n="p1b_668.028"/> (Zwei Psalmen, und Der Troubadour Nr. 7), endlich bei Rückert (Neuer Mut, <lb n="p1b_668.029"/> Großes aus Kleinem, und im Schi-King S. 133) begegnen.</p> <p> <lb n="p1b_668.030"/> <hi rendition="#g">Beispiel:</hi> </p> <lb n="p1b_668.031"/> <lg> <l>Nun sollt ihr mich nicht unterkriegen,</l> <lb n="p1b_668.032"/> <l>Jch schweb' empor,</l> <lb n="p1b_668.033"/> <l>Jch hätt' euch können unterliegen</l> <lb n="p1b_668.034"/> <l>Noch kurz zuvor,</l> <lb n="p1b_668.035"/> <l>Als trübe gleich dem Himmelsbogen</l> <lb n="p1b_668.036"/> <l>Von winterlichem Wolkenflor</l> <lb n="p1b_668.037"/> <l>War mein Gemüt umzogen.</l> </lg> <p> <hi rendition="#right">(Rückert.)</hi> </p> </div> <div n="4"> <p><lb n="p1b_668.038"/> 3. <hi rendition="#aq">a b a b c c d</hi>. (<hi rendition="#g">Kirchenliedstrophe</hi>.)</p> <p><lb n="p1b_668.039"/> Diese in mehr als 500 lutherischen Kirchenliedern angewandte Strophenform <lb n="p1b_668.040"/> verleiht dem durch Luther angeregten, auch im Kirchenlied zum Ausdruck <lb n="p1b_668.041"/> gelangten Vorwärtsdrängenden, nach=Licht-Ringenden einen überwältigenden <lb n="p1b_668.042"/> Ausdruck, weshalb sie den Namen Kirchenliedstrophe verdienen dürfte. Der <lb n="p1b_668.043"/> Name Goethes Sängerstrophe würde ebenso bezeichnend sein, da Goethe in <lb n="p1b_668.044"/> ihr seinen weitgekannten Sänger dichtete; doch scheint mir der Name Kirchenliedstrophe <lb n="p1b_668.045"/> im Hinblick auf ihr außerordentlich häufiges Vorkommen im Kirchenlied <lb n="p1b_668.046"/> größere materielle Berechtigung zu haben.</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [668/0702]
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(Frühlingslied), Jul. Hammer (Jm Abgrund), A. W. Schlegel (Arion), p1b_668.002
Fr. v. Schlegel (Gelübde und Freiheitslied), L. Dreves (Nachtlied), Lampadius p1b_668.003
(Schwarzauges Gut' Nacht), Geibel (Betrogen), Ritter (Frühlingslied: „Regst p1b_668.004
du, o Lenz! die jungen Glieder“ &c.). Brinkmeier hat das Zornlied des p1b_668.005
Troubadours Peire Cardinal, und Rückert 2 Lieder im Schi-King (S. 133 p1b_668.006
und 143) in dieser Strophe übersetzt. Schmidt-Cabanis weitgesungenes humoristisches p1b_668.007
„Neues Märlein vom Champagnerwein“ hat diese Form weiten Kreisen p1b_668.008
vermittelt, weshalb wir sie durch den Namen dieses Humoristen auszeichnen.
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Beispiel:
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Kennt Alt wohl und Jung, und Groß und Klein p1b_668.011
Die Mär' von den durstigen Teufeln, p1b_668.012
Die einstmals lüstern nach gutem Wein p1b_668.013
Unter Kork und Draht nun verzweifeln: p1b_668.014
Vom Champagnerwein die lustige Mär', p1b_668.015
Der ein infernalischer Strafwein wär', p1b_668.016
Nur ein höllisches Thränen-Träufeln.(Schmidt-Cabanis.)
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Meine Liebste wollt' im Zimmer p1b_668.018
Hyacinthen ziehn, p1b_668.019
Daß dir was von Frühlingsschimmer, p1b_668.020
Winter, sei verliehn; p1b_668.021
Und in meinen Schachteln liegen stille Gruppen p1b_668.022
Puppen, p1b_668.023
Denen sollen Schmetterling' entfliehn.
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(Rückert, Zimmerfrühling.)
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2. a b a b c b c.
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Es ist dies eine seltene Form, welcher wir nur in einem alten dreiteiligen p1b_668.027
Kirchenlied (vgl. Wackernagels deutsches Kirchenlied S. 839), sowie bei Geibel p1b_668.028
(Zwei Psalmen, und Der Troubadour Nr. 7), endlich bei Rückert (Neuer Mut, p1b_668.029
Großes aus Kleinem, und im Schi-King S. 133) begegnen.
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Beispiel:
p1b_668.031
Nun sollt ihr mich nicht unterkriegen, p1b_668.032
Jch schweb' empor, p1b_668.033
Jch hätt' euch können unterliegen p1b_668.034
Noch kurz zuvor, p1b_668.035
Als trübe gleich dem Himmelsbogen p1b_668.036
Von winterlichem Wolkenflor p1b_668.037
War mein Gemüt umzogen.
(Rückert.)
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3. a b a b c c d. (Kirchenliedstrophe.)
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Diese in mehr als 500 lutherischen Kirchenliedern angewandte Strophenform p1b_668.040
verleiht dem durch Luther angeregten, auch im Kirchenlied zum Ausdruck p1b_668.041
gelangten Vorwärtsdrängenden, nach=Licht-Ringenden einen überwältigenden p1b_668.042
Ausdruck, weshalb sie den Namen Kirchenliedstrophe verdienen dürfte. Der p1b_668.043
Name Goethes Sängerstrophe würde ebenso bezeichnend sein, da Goethe in p1b_668.044
ihr seinen weitgekannten Sänger dichtete; doch scheint mir der Name Kirchenliedstrophe p1b_668.045
im Hinblick auf ihr außerordentlich häufiges Vorkommen im Kirchenlied p1b_668.046
größere materielle Berechtigung zu haben.
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