Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_639.001 Wie kommt's, daß du so traurig bist, p1b_639.004 Da alles froh erscheint? p1b_639.005 Man sieht dir's an den Augen an, p1b_639.006 Gewiß du hast geweint. p1b_639.007 Schlummer, deine sel'ge Macht p1b_639.009 p1b_639.012Hatt' ich lang verkannt, p1b_639.010 Dich genoß ich jede Nacht, p1b_639.011 Nie von Dank entbrannt. Oder: Du scheu'st, mit mir allein zu sein, p1b_639.013 Du bist so schroff: p1b_639.014 Giebt nicht der Liebe Lust und Pein p1b_639.015 Zum Reden Stoff? p1b_639.016 Ja gehe du mir nicht zu nah, p1b_639.025 Es möchte sonst als Flamme ja p1b_639.026 Mein Ach dein Kleid ergreifen p1b_639.027 Mit seinen bunten Schleifen &c. p1b_639.028 Wüstenkönig ist der Löwe; will er sein Gebiet durchfliegen, p1b_639.030 Wandelt er nach der Lagune, in dem hohen Schilf zu liegen. p1b_639.031 Wo Gazellen und Giraffen trinken, kauert er im Rohre; p1b_639.032 Zitternd über dem Gewalt'gen rauscht das Laub der Sykomore. p1b_639.033 Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder, p1b_639.036 Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder. p1b_639.037 Und den Fluß hinauf, hinunter, zieh'n die Schatten tapfrer Goten, p1b_639.038 Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Toten &c. p1b_639.039 p1b_639.001 Wie kommt's, daß du so traurig bist, p1b_639.004 Da alles froh erscheint? p1b_639.005 Man sieht dir's an den Augen an, p1b_639.006 Gewiß du hast geweint. p1b_639.007 Schlummer, deine sel'ge Macht p1b_639.009 p1b_639.012Hatt' ich lang verkannt, p1b_639.010 Dich genoß ich jede Nacht, p1b_639.011 Nie von Dank entbrannt. Oder: Du scheu'st, mit mir allein zu sein, p1b_639.013 Du bist so schroff: p1b_639.014 Giebt nicht der Liebe Lust und Pein p1b_639.015 Zum Reden Stoff? p1b_639.016 Ja gehe du mir nicht zu nah, p1b_639.025 Es möchte sonst als Flamme ja p1b_639.026 Mein Ach dein Kleid ergreifen p1b_639.027 Mit seinen bunten Schleifen &c. p1b_639.028 Wüstenkönig ist der Löwe; will er sein Gebiet durchfliegen, p1b_639.030 Wandelt er nach der Lagune, in dem hohen Schilf zu liegen. p1b_639.031 Wo Gazellen und Giraffen trinken, kauert er im Rohre; p1b_639.032 Zitternd über dem Gewalt'gen rauscht das Laub der Sykomore. p1b_639.033 Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder, p1b_639.036 Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder. p1b_639.037 Und den Fluß hinauf, hinunter, zieh'n die Schatten tapfrer Goten, p1b_639.038 Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Toten &c. p1b_639.039 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0673" n="639"/> <p><lb n="p1b_639.001"/><hi rendition="#g">Goethe</hi> hat bei vierzeiligen Strophen <hi rendition="#g">Eines</hi> Reimgeschlechts in der <lb n="p1b_639.002"/> Regel die Länge der Verszeilen gewechselt, z. B.: (Dilettantenschema: <hi rendition="#aq">a b c b</hi>.)</p> <lb n="p1b_639.003"/> <lg> <l>Wie kommt's, daß du so traurig bist,</l> <lb n="p1b_639.004"/> <l>Da alles froh erscheint?</l> <lb n="p1b_639.005"/> <l>Man sieht dir's an den Augen an,</l> <lb n="p1b_639.006"/> <l>Gewiß du hast geweint.</l> </lg> <p><lb n="p1b_639.007"/><hi rendition="#g">Ähnlich Platen:</hi> (Dilettantenschema: <hi rendition="#aq">a b a b</hi>.)</p> <lb n="p1b_639.008"/> <lg> <l>Schlummer, deine sel'ge Macht</l> <lb n="p1b_639.009"/> <l>Hatt' ich lang verkannt,</l> <lb n="p1b_639.010"/> <l>Dich genoß ich jede Nacht,</l> <lb n="p1b_639.011"/> <l>Nie von Dank entbrannt. </l> </lg> <lb n="p1b_639.012"/> <p rendition="#left">Oder:</p> <lg> <l>Du scheu'st, mit mir allein zu sein,</l> <lb n="p1b_639.013"/> <l>Du bist so schroff:</l> <lb n="p1b_639.014"/> <l>Giebt nicht der Liebe Lust und Pein</l> <lb n="p1b_639.015"/> <l>Zum Reden Stoff?</l> </lg> <p><lb n="p1b_639.016"/> Die dilettierenden Dichter vierzeiliger Strophen namentlich mit gepaarten <lb n="p1b_639.017"/> Reimen vergaßen, daß ihre Strophen bei gleichlangen Zeilen, gleichem Rhythmus <lb n="p1b_639.018"/> und gleichem Reimgeschlecht ohne Weiteres in zweizeilige Strophen auseinanderfallen. <lb n="p1b_639.019"/> Um dies zu vermeiden hat der Dichter der Nibelungenstrophen <lb n="p1b_639.020"/> den Strophenabschluß durch Verlängerung einer Zeile um einen Takt markiert. <lb n="p1b_639.021"/> (§ 190 und 191.) Jeder Dichter vierzeiliger Strophen sollte bei gepaarten <lb n="p1b_639.022"/> Reimen mindestens mit dem Reimgeschlechte wechseln, wie es Rückert in folgendem <lb n="p1b_639.023"/> Beispiel zeigt (männlich <hi rendition="#aq">a a</hi>, weiblich <hi rendition="#aq">b · b</hi>):</p> <lb n="p1b_639.024"/> <lg> <l>Ja gehe du mir nicht zu nah,</l> <lb n="p1b_639.025"/> <l>Es möchte sonst als Flamme ja</l> <lb n="p1b_639.026"/> <l>Mein Ach dein Kleid ergreifen</l> <lb n="p1b_639.027"/> <l>Mit seinen bunten Schleifen &c.</l> </lg> <p><lb n="p1b_639.028"/> Vierzeilige Strophen, wie diese von <hi rendition="#g">Freiligrath:</hi></p> <lb n="p1b_639.029"/> <lg> <l>Wüstenkönig ist der Löwe; will er sein Gebiet durchfliegen,</l> <lb n="p1b_639.030"/> <l>Wandelt er nach der Lagune, in dem hohen Schilf zu liegen.</l> <lb n="p1b_639.031"/> <l>Wo Gazellen und Giraffen trinken, kauert er im Rohre;</l> <lb n="p1b_639.032"/> <l>Zitternd über dem Gewalt'gen rauscht das Laub der Sykomore.</l> </lg> <p><lb n="p1b_639.033"/> zerfallen ohne Weiteres in zwei zweizeilige. (Vgl. § 153 S. 508.) Platen <lb n="p1b_639.034"/> hat solche Gedichte nur in zweizeiligen Strophen geschrieben, z. B.:</p> <lb n="p1b_639.035"/> <lg> <l>Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder,</l> <lb n="p1b_639.036"/> <l>Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder. </l> </lg> <lg> <lb n="p1b_639.037"/> <l>Und den Fluß hinauf, hinunter, zieh'n die Schatten tapfrer Goten,</l> <lb n="p1b_639.038"/> <l>Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Toten &c.</l> </lg> <p><lb n="p1b_639.039"/> Die Umstellung der Reime wie die Einfügung nicht reimender Zeilen <lb n="p1b_639.040"/> ermöglichen 15 Reimschemata, von denen unsere Dichter die nachstehenden verwertet <lb n="p1b_639.041"/> haben:</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [639/0673]
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Goethe hat bei vierzeiligen Strophen Eines Reimgeschlechts in der p1b_639.002
Regel die Länge der Verszeilen gewechselt, z. B.: (Dilettantenschema: a b c b.)
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Wie kommt's, daß du so traurig bist, p1b_639.004
Da alles froh erscheint? p1b_639.005
Man sieht dir's an den Augen an, p1b_639.006
Gewiß du hast geweint.
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Ähnlich Platen: (Dilettantenschema: a b a b.)
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Schlummer, deine sel'ge Macht p1b_639.009
Hatt' ich lang verkannt, p1b_639.010
Dich genoß ich jede Nacht, p1b_639.011
Nie von Dank entbrannt.
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Oder:
Du scheu'st, mit mir allein zu sein, p1b_639.013
Du bist so schroff: p1b_639.014
Giebt nicht der Liebe Lust und Pein p1b_639.015
Zum Reden Stoff?
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Die dilettierenden Dichter vierzeiliger Strophen namentlich mit gepaarten p1b_639.017
Reimen vergaßen, daß ihre Strophen bei gleichlangen Zeilen, gleichem Rhythmus p1b_639.018
und gleichem Reimgeschlecht ohne Weiteres in zweizeilige Strophen auseinanderfallen. p1b_639.019
Um dies zu vermeiden hat der Dichter der Nibelungenstrophen p1b_639.020
den Strophenabschluß durch Verlängerung einer Zeile um einen Takt markiert. p1b_639.021
(§ 190 und 191.) Jeder Dichter vierzeiliger Strophen sollte bei gepaarten p1b_639.022
Reimen mindestens mit dem Reimgeschlechte wechseln, wie es Rückert in folgendem p1b_639.023
Beispiel zeigt (männlich a a, weiblich b · b):
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Ja gehe du mir nicht zu nah, p1b_639.025
Es möchte sonst als Flamme ja p1b_639.026
Mein Ach dein Kleid ergreifen p1b_639.027
Mit seinen bunten Schleifen &c.
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Vierzeilige Strophen, wie diese von Freiligrath:
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Wüstenkönig ist der Löwe; will er sein Gebiet durchfliegen, p1b_639.030
Wandelt er nach der Lagune, in dem hohen Schilf zu liegen. p1b_639.031
Wo Gazellen und Giraffen trinken, kauert er im Rohre; p1b_639.032
Zitternd über dem Gewalt'gen rauscht das Laub der Sykomore.
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zerfallen ohne Weiteres in zwei zweizeilige. (Vgl. § 153 S. 508.) Platen p1b_639.034
hat solche Gedichte nur in zweizeiligen Strophen geschrieben, z. B.:
p1b_639.035
Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder, p1b_639.036
Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder.
p1b_639.037
Und den Fluß hinauf, hinunter, zieh'n die Schatten tapfrer Goten, p1b_639.038
Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Toten &c.
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Die Umstellung der Reime wie die Einfügung nicht reimender Zeilen p1b_639.040
ermöglichen 15 Reimschemata, von denen unsere Dichter die nachstehenden verwertet p1b_639.041
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