Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_584.001 Wie es geschrieben steht, so ist dein Wiehern: Ha! p1b_584.002 Ausschlagend, das Gebiß verachtend, stehst du da; p1b_584.003 Mit deinem losen Stirnhaar buhlet p1b_584.004 Der Wind; dein Auge blitzt, und deine Flanke schäumt: - p1b_584.005 Das ist der Renner nicht, den Boileau gezäumt, p1b_584.006 Und mit Franzosenwitz geschulet! p1b_584.007 Der trabt bedächtig durch die Bahn am Leitzaum nur; p1b_584.008 Ein Heerstraßgraben ist die leidige Cäsur p1b_584.009 Für diesen feinen saubern Alten. p1b_584.010 Er weiß, daß eitler Mut ihm weder ziemt noch frommt: p1b_584.011 So schnäufelt er, und hebt die Hüflein, springt, und kommt p1b_584.012 An's andre Ufer wohlbehalten. p1b_584.013 Doch dir, mein flammend Tier, ist sie ein Felsenriß p1b_584.014 Des Sinai; - zerbrecht, Springriemen und Gebiß! - p1b_584.015 Du jagst hinan, da klafft die Ritze! p1b_584.016 Ein Wiehern und ein Sprung! dein Hufhaar blutet, du p1b_584.017 Schwebst ob der Kluft; dem Fels entlockt dein Eisenschuh p1b_584.018 Des Echos Donner und des Kiesels Blitze! p1b_584.019 p1b_584.025Und wieder nun hinab, wühl' auf den heißen Sand! p1b_584.020 Vorwärts! laß tummeln dich von meiner sichern Hand, p1b_584.021 Jch bringe wieder dich zu Ehren. p1b_584.022 Nicht achte du den Schweiß! - sieh, wenn es dämmert, lenk' p1b_584.023 Jch langsam seitwärts dich, und streichle dich und tränk' p1b_584.024 Dich lässig in den großen Meeren. (Freiligraths "Alexandriner".) p1b_584.026b. Freiligraths zweite Alexandrinerstrophe. p1b_584.027Tragt mich vor's Zelt hinaus samt meiner Ottomane! p1b_584.028 p1b_584.033Jch will ihn selber sehn! - Heut kam die Karawane p1b_584.029 Aus Afrika, sagt ihr, und mit ihr das Gerücht? p1b_584.030 Tragt mich vor's Zelt hinaus! wie an den Wasserbächen p1b_584.031 Sich die Gazelle letzt, will ich an seinem Sprechen p1b_584.032 Mich letzen, wenn er Wahrheit spricht." (Freiligrath, Scheik am Sinai.) p1b_584.034 E. Orientalische Formen. p1b_584.035 § 183. Persische Vierzeile (Rubaj, Rubajat). p1b_584.036 p1b_584.001 Wie es geschrieben steht, so ist dein Wiehern: Ha! p1b_584.002 Ausschlagend, das Gebiß verachtend, stehst du da; p1b_584.003 Mit deinem losen Stirnhaar buhlet p1b_584.004 Der Wind; dein Auge blitzt, und deine Flanke schäumt: ─ p1b_584.005 Das ist der Renner nicht, den Boileau gezäumt, p1b_584.006 Und mit Franzosenwitz geschulet! p1b_584.007 Der trabt bedächtig durch die Bahn am Leitzaum nur; p1b_584.008 Ein Heerstraßgraben ist die leidige Cäsur p1b_584.009 Für diesen feinen saubern Alten. p1b_584.010 Er weiß, daß eitler Mut ihm weder ziemt noch frommt: p1b_584.011 So schnäufelt er, und hebt die Hüflein, springt, und kommt p1b_584.012 An's andre Ufer wohlbehalten. p1b_584.013 Doch dir, mein flammend Tier, ist sie ein Felsenriß p1b_584.014 Des Sinai; ─ zerbrecht, Springriemen und Gebiß! ─ p1b_584.015 Du jagst hinan, da klafft die Ritze! p1b_584.016 Ein Wiehern und ein Sprung! dein Hufhaar blutet, du p1b_584.017 Schwebst ob der Kluft; dem Fels entlockt dein Eisenschuh p1b_584.018 Des Echos Donner und des Kiesels Blitze! p1b_584.019 p1b_584.025Und wieder nun hinab, wühl' auf den heißen Sand! p1b_584.020 Vorwärts! laß tummeln dich von meiner sichern Hand, p1b_584.021 Jch bringe wieder dich zu Ehren. p1b_584.022 Nicht achte du den Schweiß! ─ sieh, wenn es dämmert, lenk' p1b_584.023 Jch langsam seitwärts dich, und streichle dich und tränk' p1b_584.024 Dich lässig in den großen Meeren. (Freiligraths „Alexandriner“.) p1b_584.026b. Freiligraths zweite Alexandrinerstrophe. p1b_584.027Tragt mich vor's Zelt hinaus samt meiner Ottomane! p1b_584.028 p1b_584.033Jch will ihn selber sehn! ─ Heut kam die Karawane p1b_584.029 Aus Afrika, sagt ihr, und mit ihr das Gerücht? p1b_584.030 Tragt mich vor's Zelt hinaus! wie an den Wasserbächen p1b_584.031 Sich die Gazelle letzt, will ich an seinem Sprechen p1b_584.032 Mich letzen, wenn er Wahrheit spricht.“ (Freiligrath, Scheik am Sinai.) p1b_584.034 E. Orientalische Formen. p1b_584.035 § 183. 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Wie es geschrieben steht, so ist dein Wiehern: Ha! p1b_584.002
Ausschlagend, das Gebiß verachtend, stehst du da; p1b_584.003
Mit deinem losen Stirnhaar buhlet p1b_584.004
Der Wind; dein Auge blitzt, und deine Flanke schäumt: ─ p1b_584.005
Das ist der Renner nicht, den Boileau gezäumt, p1b_584.006
Und mit Franzosenwitz geschulet!
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Der trabt bedächtig durch die Bahn am Leitzaum nur; p1b_584.008
Ein Heerstraßgraben ist die leidige Cäsur p1b_584.009
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So schnäufelt er, und hebt die Hüflein, springt, und kommt p1b_584.012
An's andre Ufer wohlbehalten.
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Doch dir, mein flammend Tier, ist sie ein Felsenriß p1b_584.014
Des Sinai; ─ zerbrecht, Springriemen und Gebiß! ─ p1b_584.015
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Des Echos Donner und des Kiesels Blitze!
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Und wieder nun hinab, wühl' auf den heißen Sand! p1b_584.020
Vorwärts! laß tummeln dich von meiner sichern Hand, p1b_584.021
Jch bringe wieder dich zu Ehren. p1b_584.022
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Jch langsam seitwärts dich, und streichle dich und tränk' p1b_584.024
Dich lässig in den großen Meeren.
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(Freiligraths „Alexandriner“.)
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b. Freiligraths zweite Alexandrinerstrophe.
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Tragt mich vor's Zelt hinaus samt meiner Ottomane! p1b_584.028
Jch will ihn selber sehn! ─ Heut kam die Karawane p1b_584.029
Aus Afrika, sagt ihr, und mit ihr das Gerücht? p1b_584.030
Tragt mich vor's Zelt hinaus! wie an den Wasserbächen p1b_584.031
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Mich letzen, wenn er Wahrheit spricht.“
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(Freiligrath, Scheik am Sinai.)
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§ 183. Persische Vierzeile (Rubaj, Rubajat). p1b_584.036
Während das Reimschema der gewöhnlichen Vierzeile a b b a p1b_584.037
oder a b a b oder a a b b ist, so ist es bei der persischen Vierzeile p1b_584.038
stets a a b a. Diese unterscheidet sich somit von unserer Vierzeile p1b_584.039
dadurch, daß immer die erste, zweite und vierte Zeile den gleichen Reim p1b_584.040
haben, während die dritte reimlos ist. Der Anfang eines jeden Ghasels p1b_584.041
(vgl. § 184) ─ (also das Ghasel in seinen 4 ersten Zeilen) ─ entspricht p1b_584.042
einer persischen Vierzeile. Diese liebt ─ wie das Ghasel ─ p1b_584.043
den reichen Reim.
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