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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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1. Erklärung des Begriffs Metapher.

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Die Metapher (metaphora == translatio == Übertragung) ist eine p1b_157.003
abgekürzte, vereinfachte Vergleichung, von der sie sich dadurch unterscheidet, p1b_157.004
daß ein Begriff nicht bloß mit einem andern verglichen, sondern p1b_157.005
geradezu nach einem andern benannt und so durch ihn vertreten wird; p1b_157.006
so zwar, daß die Vergleichung anstatt des Verglichenen, oder das Objekt p1b_157.007
der Vergleichung sogleich an Stelle des Vergleichsgegenstandes gesetzt p1b_157.008
wird.

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Da die Metapher eine verkürzte Vergleichung ist, so braucht man zu ihr p1b_157.010
nur "ist gleichsam" oder "ist wie" zu setzen, und man hat die Metapher p1b_157.011
zur Vergleichung umgewandelt. [Annotation]

Sage ich z. B. "Das Meerroß des Eroberers p1b_157.012
stürmt heran", so ist das eine Metapher. Sage ich jedoch: "Das Schiff des p1b_157.013
Eroberers stürmt wie ein Meerroß heran", so ist dies Vergleichung. [Annotation] Oder: p1b_157.014
"Eurer Mutter Brust ist Eisen worden" ist Metapher; [Annotation] "Eurer Mutter Brust p1b_157.015
ist hart wie Eisen worden" ist Vergleichung. [Annotation] Oder: "Der goldne Baum des p1b_157.016
Lebens" (Goethe) ist Metapher; [Annotation] "Das Leben ist wie der goldne Baum" oder p1b_157.017
"Das Leben gleicht einem goldenen Baum" ist Vergleichung. [Annotation] Oder: "Die p1b_157.018
Milch der frommen Denkungsart" (Schiller) ist Metapher; [Annotation] "Die fromme p1b_157.019
Denkungsart gleicht der Milch" ist Vergleichung. [Annotation] Anstatt: "Er schlich in's p1b_157.020
Haus wie ein Fuchs" heißt es in der Metapher: "Der Fuchs schlich in's p1b_157.021
Haus". [Annotation] Eine Vergleichung ist es, wenn ich sage: "Er ist beständig wie ein p1b_157.022
Diamant"; eine Metapher: "Er ist an beständiger Treue ein Diamant". [Annotation] p1b_157.023
Bei vielen Metaphern ist der durch sie metaphorisch bezeichnete Begriff zugleich p1b_157.024
mit seinem eigentlichen Ausdruck bezeichnet. Bei andern ist das nicht der Fall: p1b_157.025
Der Begriff, den sie meinen, muß erraten werden.

[Annotation]

p1b_157.026
Zumpt (latein. Grammatik) nennt die Metapher ein zusammengezogenes p1b_157.027
Gleichnis; [Annotation]

Wackernagel eine abgekürzte Vergleichung; [Annotation] Gottschall eine konzentrierte p1b_157.028
Vergleichung; [Annotation] Vischer die Herbeiziehung einer Erscheinung aus einer andern p1b_157.029
Sphäre; [Annotation] Max Müller die Übertragung des Namens eines Gegenstands auf p1b_157.030
andre Gegenstände. [Annotation]

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Die Metapher ist die Blume des dichterischen Ausdrucks, indem p1b_157.032
sie den eigentlichen Ausdruck eines Begriffs mit einem bildlichen, lieblicheren oder p1b_157.033
kräftigeren vertauscht und sich mehr an die Phantasie als an den "trockenen" p1b_157.034
Verstand wendet.

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Wo das Geistige nur dem Verstande zugänglich ist, da bringt es die p1b_157.036
Metapher auch der Anschauung nahe. Jhr Geschäft ist das des Vertauschens; p1b_157.037
ihr Zweck, der dichterischen Sprache Leben, Anmut, Kürze, Energie, p1b_157.038
Schmuck, Neuheit, Klarheit zu verleihen und die Empfindung, den Affekt und p1b_157.039
die Leidenschaft zu verstärken.

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Die richtige Metapher muß auf den ersten Blick denjenigen Gegenstand p1b_157.041
nahe führen, als dessen Stellvertreterin sie steht.

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Wenn jede Dichtung als ein Bild im Großen anzusehen ist, so ist die p1b_157.043
Metapher ein Miniaturbildchen. [Annotation]

Am reichsten an Metaphern sind die orientalischen p1b_157.044
Dichter, weshalb Rückerts östliche Rosen und seine Ghasele im üppigsten

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1. Erklärung des Begriffs Metapher.

p1b_157.002
Die Metapher (μεταφορά == translatio == Übertragung) ist eine p1b_157.003
abgekürzte, vereinfachte Vergleichung, von der sie sich dadurch unterscheidet, p1b_157.004
daß ein Begriff nicht bloß mit einem andern verglichen, sondern p1b_157.005
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der Vergleichung sogleich an Stelle des Vergleichsgegenstandes gesetzt p1b_157.008
wird.

p1b_157.009
Da die Metapher eine verkürzte Vergleichung ist, so braucht man zu ihr p1b_157.010
nur „ist gleichsam“ oder „ist wie“ zu setzen, und man hat die Metapher p1b_157.011
zur Vergleichung umgewandelt. [Annotation]

Sage ich z. B. „Das Meerroß des Eroberers p1b_157.012
stürmt heran“, so ist das eine Metapher. Sage ich jedoch: „Das Schiff des p1b_157.013
Eroberers stürmt wie ein Meerroß heran“, so ist dies Vergleichung. [Annotation] Oder: p1b_157.014
„Eurer Mutter Brust ist Eisen worden“ ist Metapher; [Annotation] „Eurer Mutter Brust p1b_157.015
ist hart wie Eisen worden“ ist Vergleichung. [Annotation] Oder: „Der goldne Baum des p1b_157.016
Lebens“ (Goethe) ist Metapher; [Annotation] „Das Leben ist wie der goldne Baum“ oder p1b_157.017
„Das Leben gleicht einem goldenen Baum“ ist Vergleichung. [Annotation] Oder: „Die p1b_157.018
Milch der frommen Denkungsart“ (Schiller) ist Metapher; [Annotation] „Die fromme p1b_157.019
Denkungsart gleicht der Milch“ ist Vergleichung. [Annotation] Anstatt: „Er schlich in's p1b_157.020
Haus wie ein Fuchs“ heißt es in der Metapher: „Der Fuchs schlich in's p1b_157.021
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Bei vielen Metaphern ist der durch sie metaphorisch bezeichnete Begriff zugleich p1b_157.024
mit seinem eigentlichen Ausdruck bezeichnet. Bei andern ist das nicht der Fall: p1b_157.025
Der Begriff, den sie meinen, muß erraten werden.

[Annotation]

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Zumpt (latein. Grammatik) nennt die Metapher ein zusammengezogenes p1b_157.027
Gleichnis; [Annotation]

Wackernagel eine abgekürzte Vergleichung; [Annotation] Gottschall eine konzentrierte p1b_157.028
Vergleichung; [Annotation] Vischer die Herbeiziehung einer Erscheinung aus einer andern p1b_157.029
Sphäre; [Annotation] Max Müller die Übertragung des Namens eines Gegenstands auf p1b_157.030
andre Gegenstände. [Annotation]

p1b_157.031

Die Metapher ist die Blume des dichterischen Ausdrucks, indem p1b_157.032
sie den eigentlichen Ausdruck eines Begriffs mit einem bildlichen, lieblicheren oder p1b_157.033
kräftigeren vertauscht und sich mehr an die Phantasie als an den „trockenen“ p1b_157.034
Verstand wendet.

p1b_157.035
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die Leidenschaft zu verstärken.

p1b_157.040
Die richtige Metapher muß auf den ersten Blick denjenigen Gegenstand p1b_157.041
nahe führen, als dessen Stellvertreterin sie steht.

p1b_157.042
Wenn jede Dichtung als ein Bild im Großen anzusehen ist, so ist die p1b_157.043
Metapher ein Miniaturbildchen. [Annotation]

Am reichsten an Metaphern sind die orientalischen p1b_157.044
Dichter, weshalb Rückerts östliche Rosen und seine Ghasele im üppigsten

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[157/0191] p1b_157.001 1. Erklärung des Begriffs Metapher. p1b_157.002 Die Metapher (μεταφορά == translatio == Übertragung) ist eine p1b_157.003 abgekürzte, vereinfachte Vergleichung, von der sie sich dadurch unterscheidet, p1b_157.004 daß ein Begriff nicht bloß mit einem andern verglichen, sondern p1b_157.005 geradezu nach einem andern benannt und so durch ihn vertreten wird; p1b_157.006 so zwar, daß die Vergleichung anstatt des Verglichenen, oder das Objekt p1b_157.007 der Vergleichung sogleich an Stelle des Vergleichsgegenstandes gesetzt p1b_157.008 wird. p1b_157.009 Da die Metapher eine verkürzte Vergleichung ist, so braucht man zu ihr p1b_157.010 nur „ist gleichsam“ oder „ist wie“ zu setzen, und man hat die Metapher p1b_157.011 zur Vergleichung umgewandelt. impl. Quelle: Quintilian: Institutio Oratoris Sage ich z. B. „Das Meerroß des Eroberers p1b_157.012 stürmt heran“, so ist das eine Metapher. Sage ich jedoch: „Das Schiff des p1b_157.013 Eroberers stürmt wie ein Meerroß heran“, so ist dies Vergleichung. Oder: p1b_157.014 „Eurer Mutter Brust ist Eisen worden“ ist Metapher; Quellenannahme: Goethes Klaggesang von der edlen Frauen des Asan Aga „Eurer Mutter Brust p1b_157.015 ist hart wie Eisen worden“ ist Vergleichung. Oder: „Der goldne Baum des p1b_157.016 Lebens“ (Goethe) ist Metapher; Quelle: Johann Wolfgang von Goethe: Faust I. https://textgridrep.org/browse/-/browse/11g9q_0#tg1389.2.614 „Das Leben ist wie der goldne Baum“ oder p1b_157.017 „Das Leben gleicht einem goldenen Baum“ ist Vergleichung. Poetikentext exempl. zu obigem Bsp. Oder: „Die p1b_157.018 Milch der frommen Denkungsart“ (Schiller) ist Metapher; Quelle: Friedrich Schiller: Wilhelm Tell https://textgridrep.org/browse/-/browse/tz0c_0#tg1479.2.22 „Die fromme p1b_157.019 Denkungsart gleicht der Milch“ ist Vergleichung. Anstatt: „Er schlich in's p1b_157.020 Haus wie ein Fuchs“ heißt es in der Metapher: „Der Fuchs schlich in's p1b_157.021 Haus“. Eine Vergleichung ist es, wenn ich sage: „Er ist beständig wie ein p1b_157.022 Diamant“; eine Metapher: „Er ist an beständiger Treue ein Diamant“. p1b_157.023 Bei vielen Metaphern ist der durch sie metaphorisch bezeichnete Begriff zugleich p1b_157.024 mit seinem eigentlichen Ausdruck bezeichnet. Bei andern ist das nicht der Fall: p1b_157.025 Der Begriff, den sie meinen, muß erraten werden. p1b_157.026 Zumpt (latein. Grammatik) nennt die Metapher ein zusammengezogenes p1b_157.027 Gleichnis; Wackernagel eine abgekürzte Vergleichung; Quelle: Wilhelm Wackernagel: Poetik, Rhetorik und Stilistik http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV008355167/ft/bsb11159934?page=5 Gottschall eine konzentrierte p1b_157.028 Vergleichung; Quelle: Rudolph Gottschall: Poetik http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10573936_00001.html Vischer die Herbeiziehung einer Erscheinung aus einer andern p1b_157.029 Sphäre; Quelle: Friedrich Theodor Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/vischer_aesthetik01_1846?p=7 Max Müller die Übertragung des Namens eines Gegenstands auf p1b_157.030 andre Gegenstände. p1b_157.031 Die Metapher ist die Blume des dichterischen Ausdrucks, indem p1b_157.032 sie den eigentlichen Ausdruck eines Begriffs mit einem bildlichen, lieblicheren oder p1b_157.033 kräftigeren vertauscht und sich mehr an die Phantasie als an den „trockenen“ p1b_157.034 Verstand wendet. p1b_157.035 Wo das Geistige nur dem Verstande zugänglich ist, da bringt es die p1b_157.036 Metapher auch der Anschauung nahe. Jhr Geschäft ist das des Vertauschens; p1b_157.037 ihr Zweck, der dichterischen Sprache Leben, Anmut, Kürze, Energie, p1b_157.038 Schmuck, Neuheit, Klarheit zu verleihen und die Empfindung, den Affekt und p1b_157.039 die Leidenschaft zu verstärken. p1b_157.040 Die richtige Metapher muß auf den ersten Blick denjenigen Gegenstand p1b_157.041 nahe führen, als dessen Stellvertreterin sie steht. p1b_157.042 Wenn jede Dichtung als ein Bild im Großen anzusehen ist, so ist die p1b_157.043 Metapher ein Miniaturbildchen. Am reichsten an Metaphern sind die orientalischen p1b_157.044 Dichter, weshalb Rückerts östliche Rosen und seine Ghasele im üppigsten

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/191>, abgerufen am 23.11.2024.