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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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ja allein das subjektive Schönheitsideal abhängt. Durch diese Vereinigung erst p1b_145.002
wird das dichterische Kunstwerk - wie Horaz sich ausdrückt - ein simplex p1b_145.003
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und verdient wegen dieser Einfachheit und Einheit die Bezeichnung p1b_145.004
eines klassischen.

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Das auf's Geistige, Sittliche gerichtete Schöne, das am Kunstwerk entgegentritt, p1b_145.006
kann als edel bezeichnet werden, - das auf's Sinnliche gerichtete als p1b_145.007
anmutig. Die Schönheit der Rückertschen Hymnen ist eine edle, die seiner p1b_145.008
Balladen und Romanzen eine anmutige, denn erstere lehnen sich an die p1b_145.009
geistige Wirklichkeit an, letztere an die sinnliche.

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Ein überwiegendes Vortreten einzelner Kräfte bei Darstellung eines p1b_145.011
Kunstwerks ist ein Charakteristikum der modernen Kunst und bedingt verschiedene p1b_145.012
Schattierungen (Nüancen) und Benennungen. Bei Hervortreten der p1b_145.013
Phantasie ohne genügende Zurateziehung des Verstandes entsteht die phantastische p1b_145.014
Anschauung, wie sie z. B. vorzugsweise in den sog. romantischen Dichtungen p1b_145.015
des Mittelalters als Charakteristikum für jene Zeit hervortritt, und wie sie sich p1b_145.016
bei den Romantikern unseres Jahrhunderts (Tieck, Wackenroder, Fouque &c.) p1b_145.017
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Bei Zurücktreten der schaffenden Einbildungskraft und des Verstandes gegen p1b_145.019
das Gefühl ergiebt sich durch die noch übrig bleibende dritte Kraft die sentimentale p1b_145.020
und die gemütliche Poesie; sentimental z. B. bei Salis, Matthisson, p1b_145.021
gemütlich bei Rückert, Chamisso, Redwitz, Uhland, Geibel &c.

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Tritt der Verstand dominierend in den Vordergrund, so wird die Poesie p1b_145.023
zur Reflexionspoesie. Wir sehen dies bei Rückert in der Periode der westöstlichen p1b_145.024
Didaktik (z. B. in der Weisheit des Brahmanen), sowie in vielen p1b_145.025
Dichtungen bei Voß und Sallet, in einigen Gedichten bei Schiller, Gottschall, p1b_145.026
Wilh. Jordan, Gutzkow.

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Treten endlich die Kräfte - anstatt sich hier und da friedsam über einander p1b_145.028
zu erheben - mit einander in Widerstreit, z. B. die Einbildung mit p1b_145.029
dem Verstande, so gewahren wir zwar Wirklichkeit, aber eine unverständige p1b_145.030
Wirklichkeit, die wohl den Eindruck des Verständigen, Zweckmäßigen machen p1b_145.031
will, - aber nur den des Lächerlichen erreicht.

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Verdrängt die Einbildungskraft des Künstlers den Verstand, oder giebt sie p1b_145.033
diesem unfaßliche Anschauungen, so wirkt das Schöne im Kunstwerk erhaben. p1b_145.034
Jn einem Dome fühlt man die Unfähigkeit, die Gesetze des Baues so ohne p1b_145.035
Weiteres verstandesmäßig begreifen zu können; bei einem schwungreichen Hymnus p1b_145.036
mit seinen quellsprudelnden ewigen Bildern wird man vom Gefühl der Erdschwere p1b_145.037
erfaßt, da man ja gern in die Ätherfernen des Erhabenen folgen p1b_145.038
möchte.

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Gerät die Einbildungskraft des darstellenden Künstlers mit dem Gefühl p1b_145.040
in Widerspruch, so entsteht entweder die Wehmut oder die Laune, die weinende p1b_145.041
oder lachende Sentimentalität. Die Elegie gehört in's Gebiet der Wehmut; p1b_145.042
man bezeichnet die Wehmut als elegische Stimmung. Jn's Bereich der Laune p1b_145.043
zählt die Satire und die Komödie, welche die Thorheiten des menschlichen p1b_145.044
Lebens vorführen. Die Grenze der Laune wurde oft von Kotzebue, Wieland,

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Ein überwiegendes Vortreten einzelner Kräfte bei Darstellung eines p1b_145.011
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/179>, abgerufen am 24.11.2024.