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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Zweites Kapitel.
öffentlichen Rechts ganz im Allgemeinen recipirt, und auch auf
die althergebrachten Rechtsverhältnisse angewandt worden! Darin
läßt sich doch offenbar nur etwas Willkührliches, Gewaltthäti-
ges erkennen, zumal wenn man bedenkt, daß der Act der Re-
ception unter dem lebhaftesten Widerstande von Seiten des
Volkes gegen die Romanisten und ihre Lehre vor sich ging.
Wenn nun v. Savigny dennoch den Grund der Reception im
Gewohnheitsrechte sucht, und dieses gerade dadurch, daß jener
Widerstand besiegt worden, constatirt findet, so ist dagegen al-
lerdings, insofern es sich von dem äußeren Factum handelt,
nichts einzuwenden; aber seine innere Begründung hat dieses
dadurch noch nicht erhalten. Das scheint nun freilich mit dem,
was früher über die Bedeutung des Gewohnheitsrechts gesagt
ist, in Widerspruch zu stehen; denn es ist ja angenommen
worden, daß es, abgesehen von einzelnen Fällen, die hier nicht
in Betracht kommen, durchaus mit dem Volksrecht zusammen
fällt, und dadurch auch in jeder bestimmten Erscheinung ge-
rechtfertigt ist, so daß die Gewohnheit nicht als der Grund,
sondern nur als das Kennzeichen seiner Geltung erscheint.

Aber gerade hier, wo es sich um den Begriff des Ge-
wohnheitsrechts handelt, ist ein Punct, bei welchem diese Schrift
wieder wesentlich von der früheren historischen Rechtslehre ab-
weicht, ja von dem sie gewissermaaßen ihren eigentlichen Aus-
gang genommen hat. Dabei ist nämlich Folgendes in Be-
tracht zu nehmen.

Wenn ich früher der so eben gedachten Auffassung des
Gewohnheitsrechts beistimmte, so geschah es unter der aus-
drücklichen Beschränkung, daß es sich dabei von der Darle-
gung einer ganz normalen, ohne besondere äußere Störung
organisch sich entwickelnden Rechtsbildung handle. Eine solche

Zweites Kapitel.
oͤffentlichen Rechts ganz im Allgemeinen recipirt, und auch auf
die althergebrachten Rechtsverhaͤltniſſe angewandt worden! Darin
laͤßt ſich doch offenbar nur etwas Willkuͤhrliches, Gewaltthaͤti-
ges erkennen, zumal wenn man bedenkt, daß der Act der Re-
ception unter dem lebhafteſten Widerſtande von Seiten des
Volkes gegen die Romaniſten und ihre Lehre vor ſich ging.
Wenn nun v. Savigny dennoch den Grund der Reception im
Gewohnheitsrechte ſucht, und dieſes gerade dadurch, daß jener
Widerſtand beſiegt worden, conſtatirt findet, ſo iſt dagegen al-
lerdings, inſofern es ſich von dem aͤußeren Factum handelt,
nichts einzuwenden; aber ſeine innere Begruͤndung hat dieſes
dadurch noch nicht erhalten. Das ſcheint nun freilich mit dem,
was fruͤher uͤber die Bedeutung des Gewohnheitsrechts geſagt
iſt, in Widerſpruch zu ſtehen; denn es iſt ja angenommen
worden, daß es, abgeſehen von einzelnen Faͤllen, die hier nicht
in Betracht kommen, durchaus mit dem Volksrecht zuſammen
faͤllt, und dadurch auch in jeder beſtimmten Erſcheinung ge-
rechtfertigt iſt, ſo daß die Gewohnheit nicht als der Grund,
ſondern nur als das Kennzeichen ſeiner Geltung erſcheint.

Aber gerade hier, wo es ſich um den Begriff des Ge-
wohnheitsrechts handelt, iſt ein Punct, bei welchem dieſe Schrift
wieder weſentlich von der fruͤheren hiſtoriſchen Rechtslehre ab-
weicht, ja von dem ſie gewiſſermaaßen ihren eigentlichen Aus-
gang genommen hat. Dabei iſt naͤmlich Folgendes in Be-
tracht zu nehmen.

Wenn ich fruͤher der ſo eben gedachten Auffaſſung des
Gewohnheitsrechts beiſtimmte, ſo geſchah es unter der aus-
druͤcklichen Beſchraͤnkung, daß es ſich dabei von der Darle-
gung einer ganz normalen, ohne beſondere aͤußere Stoͤrung
organiſch ſich entwickelnden Rechtsbildung handle. Eine ſolche

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[76/0088] Zweites Kapitel. oͤffentlichen Rechts ganz im Allgemeinen recipirt, und auch auf die althergebrachten Rechtsverhaͤltniſſe angewandt worden! Darin laͤßt ſich doch offenbar nur etwas Willkuͤhrliches, Gewaltthaͤti- ges erkennen, zumal wenn man bedenkt, daß der Act der Re- ception unter dem lebhafteſten Widerſtande von Seiten des Volkes gegen die Romaniſten und ihre Lehre vor ſich ging. Wenn nun v. Savigny dennoch den Grund der Reception im Gewohnheitsrechte ſucht, und dieſes gerade dadurch, daß jener Widerſtand beſiegt worden, conſtatirt findet, ſo iſt dagegen al- lerdings, inſofern es ſich von dem aͤußeren Factum handelt, nichts einzuwenden; aber ſeine innere Begruͤndung hat dieſes dadurch noch nicht erhalten. Das ſcheint nun freilich mit dem, was fruͤher uͤber die Bedeutung des Gewohnheitsrechts geſagt iſt, in Widerſpruch zu ſtehen; denn es iſt ja angenommen worden, daß es, abgeſehen von einzelnen Faͤllen, die hier nicht in Betracht kommen, durchaus mit dem Volksrecht zuſammen faͤllt, und dadurch auch in jeder beſtimmten Erſcheinung ge- rechtfertigt iſt, ſo daß die Gewohnheit nicht als der Grund, ſondern nur als das Kennzeichen ſeiner Geltung erſcheint. Aber gerade hier, wo es ſich um den Begriff des Ge- wohnheitsrechts handelt, iſt ein Punct, bei welchem dieſe Schrift wieder weſentlich von der fruͤheren hiſtoriſchen Rechtslehre ab- weicht, ja von dem ſie gewiſſermaaßen ihren eigentlichen Aus- gang genommen hat. Dabei iſt naͤmlich Folgendes in Be- tracht zu nehmen. Wenn ich fruͤher der ſo eben gedachten Auffaſſung des Gewohnheitsrechts beiſtimmte, ſo geſchah es unter der aus- druͤcklichen Beſchraͤnkung, daß es ſich dabei von der Darle- gung einer ganz normalen, ohne beſondere aͤußere Stoͤrung organiſch ſich entwickelnden Rechtsbildung handle. Eine ſolche

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/88>, abgerufen am 24.11.2024.