Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Erstes Kapitel. freilich auch erlangt werden können, wenn man mit besonnenerMäßigung sich des fremden Rechts bedient hätte, um das ein- heimische darnach zu bilden und formell zu veredeln; die un- bedingte Reception des vollständigen Materials und die Unter- drückung und Verkrüppelung des eigenen Rechtslebens, welche nothwendig daraus folgten, bleiben immer ein Nationalunglück, welches der Patriot nur beklagen kann, wenn es auch aus der Verkettung der Verhältnisse wie mit Nothwendigkeit her- vorgegangen scheint. Doch bietet auch hier die tiefere Betrach- tung der geschichtlichen Entwicklung Trost und Beruhigung. Wie bedeutungsvoll auch ein historisches Factum auftritt, und wie nachhaltig seine Einwirkung auf die menschlichen Zustände erscheint, so bleibt es doch im Laufe der Zeiten nicht in der ursprünglichen Art gleichmäßig wirksam; sondern selbst einem höheren Gesetze dienstbar, wird es in den allgemeinen Entwick- lungsproceß hineingezogen, und dadurch bestimmt und verän- dert. Diese Betrachtung findet auch auf die Reception des römischen Rechts in Deutschland ihre Anwendung. Dieselbe ist nie eine abgeschlossene, zum Stillstand gekommene That- sache geworden; sie hat in den verschiedenen Perioden der mo- dernen deutschen Rechtsentwicklung eine verschiedene Bedeutung gehabt, und namentlich zum einheimischen Recht, welches nie vollständig durch sie ist überwältigt worden, eine schwankende Stellung eingenommen. Wenn es sich nun nachweisen ließe, daß in der Tiefe des nationalen Lebens noch immer eine selb- ständige, schöpferische Kraft thätig geblieben ist, und daß sie, wenn auch unter sehr wechselnden Formen und mit oft gerin- gem Erfolge, doch im Gegensatze zum fremden Rechte das na- tionale Element zu vertreten, ja in neuerer Zeit jenem einen beträchtlichen Theil des usurpirten Gebietes wieder zu entrei- Erſtes Kapitel. freilich auch erlangt werden koͤnnen, wenn man mit beſonnenerMaͤßigung ſich des fremden Rechts bedient haͤtte, um das ein- heimiſche darnach zu bilden und formell zu veredeln; die un- bedingte Reception des vollſtaͤndigen Materials und die Unter- druͤckung und Verkruͤppelung des eigenen Rechtslebens, welche nothwendig daraus folgten, bleiben immer ein Nationalungluͤck, welches der Patriot nur beklagen kann, wenn es auch aus der Verkettung der Verhaͤltniſſe wie mit Nothwendigkeit her- vorgegangen ſcheint. Doch bietet auch hier die tiefere Betrach- tung der geſchichtlichen Entwicklung Troſt und Beruhigung. Wie bedeutungsvoll auch ein hiſtoriſches Factum auftritt, und wie nachhaltig ſeine Einwirkung auf die menſchlichen Zuſtaͤnde erſcheint, ſo bleibt es doch im Laufe der Zeiten nicht in der urſpruͤnglichen Art gleichmaͤßig wirkſam; ſondern ſelbſt einem hoͤheren Geſetze dienſtbar, wird es in den allgemeinen Entwick- lungsproceß hineingezogen, und dadurch beſtimmt und veraͤn- dert. Dieſe Betrachtung findet auch auf die Reception des roͤmiſchen Rechts in Deutſchland ihre Anwendung. Dieſelbe iſt nie eine abgeſchloſſene, zum Stillſtand gekommene That- ſache geworden; ſie hat in den verſchiedenen Perioden der mo- dernen deutſchen Rechtsentwicklung eine verſchiedene Bedeutung gehabt, und namentlich zum einheimiſchen Recht, welches nie vollſtaͤndig durch ſie iſt uͤberwaͤltigt worden, eine ſchwankende Stellung eingenommen. Wenn es ſich nun nachweiſen ließe, daß in der Tiefe des nationalen Lebens noch immer eine ſelb- ſtaͤndige, ſchoͤpferiſche Kraft thaͤtig geblieben iſt, und daß ſie, wenn auch unter ſehr wechſelnden Formen und mit oft gerin- gem Erfolge, doch im Gegenſatze zum fremden Rechte das na- tionale Element zu vertreten, ja in neuerer Zeit jenem einen betraͤchtlichen Theil des uſurpirten Gebietes wieder zu entrei- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0054" n="42"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſtes Kapitel</hi>.</fw><lb/> freilich auch erlangt werden koͤnnen, wenn man mit beſonnener<lb/> Maͤßigung ſich des fremden Rechts bedient haͤtte, um das ein-<lb/> heimiſche darnach zu bilden und formell zu veredeln; die un-<lb/> bedingte Reception des vollſtaͤndigen Materials und die Unter-<lb/> druͤckung und Verkruͤppelung des eigenen Rechtslebens, welche<lb/> nothwendig daraus folgten, bleiben immer ein Nationalungluͤck,<lb/> welches der Patriot nur beklagen kann, wenn es auch aus<lb/> der Verkettung der Verhaͤltniſſe wie mit Nothwendigkeit her-<lb/> vorgegangen ſcheint. 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Erſtes Kapitel.
freilich auch erlangt werden koͤnnen, wenn man mit beſonnener
Maͤßigung ſich des fremden Rechts bedient haͤtte, um das ein-
heimiſche darnach zu bilden und formell zu veredeln; die un-
bedingte Reception des vollſtaͤndigen Materials und die Unter-
druͤckung und Verkruͤppelung des eigenen Rechtslebens, welche
nothwendig daraus folgten, bleiben immer ein Nationalungluͤck,
welches der Patriot nur beklagen kann, wenn es auch aus
der Verkettung der Verhaͤltniſſe wie mit Nothwendigkeit her-
vorgegangen ſcheint. Doch bietet auch hier die tiefere Betrach-
tung der geſchichtlichen Entwicklung Troſt und Beruhigung.
Wie bedeutungsvoll auch ein hiſtoriſches Factum auftritt, und
wie nachhaltig ſeine Einwirkung auf die menſchlichen Zuſtaͤnde
erſcheint, ſo bleibt es doch im Laufe der Zeiten nicht in der
urſpruͤnglichen Art gleichmaͤßig wirkſam; ſondern ſelbſt einem
hoͤheren Geſetze dienſtbar, wird es in den allgemeinen Entwick-
lungsproceß hineingezogen, und dadurch beſtimmt und veraͤn-
dert. Dieſe Betrachtung findet auch auf die Reception des
roͤmiſchen Rechts in Deutſchland ihre Anwendung. Dieſelbe
iſt nie eine abgeſchloſſene, zum Stillſtand gekommene That-
ſache geworden; ſie hat in den verſchiedenen Perioden der mo-
dernen deutſchen Rechtsentwicklung eine verſchiedene Bedeutung
gehabt, und namentlich zum einheimiſchen Recht, welches nie
vollſtaͤndig durch ſie iſt uͤberwaͤltigt worden, eine ſchwankende
Stellung eingenommen. Wenn es ſich nun nachweiſen ließe,
daß in der Tiefe des nationalen Lebens noch immer eine ſelb-
ſtaͤndige, ſchoͤpferiſche Kraft thaͤtig geblieben iſt, und daß ſie,
wenn auch unter ſehr wechſelnden Formen und mit oft gerin-
gem Erfolge, doch im Gegenſatze zum fremden Rechte das na-
tionale Element zu vertreten, ja in neuerer Zeit jenem einen
betraͤchtlichen Theil des uſurpirten Gebietes wieder zu entrei-
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