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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Historische Einleitung.
lebendig, ihm nun als eine fremde, unheimliche Macht gegen-
über trat, und daß die Rechtspflege aus den Händen der
Schöffen in die der studirten Juristen überging, welche bald
die ganze Noth des römisch-canonischen Processes mit seinem
heimlichen, schriftlichen Verfahren in die sonst offenen deutschen
Gerichtssäle brachten. Es begann jetzt die Entfremdung des
Volkes von seinen eigensten Angelegenheiten, jene Bevormun-
dung von oben her, welche später, als von den Landständen
und den Gemeinden die rechte Kraft und Tüchtigkeit gewichen
war, auch auf die Verwaltung ausgedehnt wurde, und das
frische Leben, welches die Nation noch aus dem Mittelalter in
die neue Zeit herüber gebracht hatte, vollends zerstörte.

Indessen würde es der historischen Unbefangenheit nicht
entsprechen, wenn man die Aufnahme des römischen Rechts in
Deutschland nur von der Schattenseite betrachten wollte. Es
ist nicht zu verkennen, daß bei der immer bestimmter hervor-
tretenden Auflösung der Reichsverfassung und dem stets über-
mächtiger sich gestaltenden Particularismus in dem römischen
Recht und der sich daran lehnenden juristischen Theorie ein
Mittelpunct für eine gemeinsame deutsche Rechtsbildung ge-
wonnen ward, welche dem üppig wuchernden Particularrecht
lange einen festen Damm entgegengesetzt hat. Auch trug das
römische Recht, eben weil seine absolute Geltung in Anspruch
genommen wurde, dazu bei, daß die schroffen Gegensätze des
Standerechts sich mehr ausglichen, und einer mehr einheitli-
chen Entwicklung des Rechts unterthan wurden. Endlich ist
im römischen Recht, trotz seiner byzantinischen Ueberarbeitung,
noch Vieles von der hohen Kraft und plastischen Vollendung
der Antike bewahrt worden, welches auf das germanische We-
sen einen heilsamen Einfluß ausgeübt hat. Dieses Alles hätte

Hiſtoriſche Einleitung.
lebendig, ihm nun als eine fremde, unheimliche Macht gegen-
uͤber trat, und daß die Rechtspflege aus den Haͤnden der
Schoͤffen in die der ſtudirten Juriſten uͤberging, welche bald
die ganze Noth des roͤmiſch-canoniſchen Proceſſes mit ſeinem
heimlichen, ſchriftlichen Verfahren in die ſonſt offenen deutſchen
Gerichtsſaͤle brachten. Es begann jetzt die Entfremdung des
Volkes von ſeinen eigenſten Angelegenheiten, jene Bevormun-
dung von oben her, welche ſpaͤter, als von den Landſtaͤnden
und den Gemeinden die rechte Kraft und Tuͤchtigkeit gewichen
war, auch auf die Verwaltung ausgedehnt wurde, und das
friſche Leben, welches die Nation noch aus dem Mittelalter in
die neue Zeit heruͤber gebracht hatte, vollends zerſtoͤrte.

Indeſſen wuͤrde es der hiſtoriſchen Unbefangenheit nicht
entſprechen, wenn man die Aufnahme des roͤmiſchen Rechts in
Deutſchland nur von der Schattenſeite betrachten wollte. Es
iſt nicht zu verkennen, daß bei der immer beſtimmter hervor-
tretenden Aufloͤſung der Reichsverfaſſung und dem ſtets uͤber-
maͤchtiger ſich geſtaltenden Particularismus in dem roͤmiſchen
Recht und der ſich daran lehnenden juriſtiſchen Theorie ein
Mittelpunct fuͤr eine gemeinſame deutſche Rechtsbildung ge-
wonnen ward, welche dem uͤppig wuchernden Particularrecht
lange einen feſten Damm entgegengeſetzt hat. Auch trug das
roͤmiſche Recht, eben weil ſeine abſolute Geltung in Anſpruch
genommen wurde, dazu bei, daß die ſchroffen Gegenſaͤtze des
Standerechts ſich mehr ausglichen, und einer mehr einheitli-
chen Entwicklung des Rechts unterthan wurden. Endlich iſt
im roͤmiſchen Recht, trotz ſeiner byzantiniſchen Ueberarbeitung,
noch Vieles von der hohen Kraft und plaſtiſchen Vollendung
der Antike bewahrt worden, welches auf das germaniſche We-
ſen einen heilſamen Einfluß ausgeuͤbt hat. Dieſes Alles haͤtte

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[41/0053] Hiſtoriſche Einleitung. lebendig, ihm nun als eine fremde, unheimliche Macht gegen- uͤber trat, und daß die Rechtspflege aus den Haͤnden der Schoͤffen in die der ſtudirten Juriſten uͤberging, welche bald die ganze Noth des roͤmiſch-canoniſchen Proceſſes mit ſeinem heimlichen, ſchriftlichen Verfahren in die ſonſt offenen deutſchen Gerichtsſaͤle brachten. Es begann jetzt die Entfremdung des Volkes von ſeinen eigenſten Angelegenheiten, jene Bevormun- dung von oben her, welche ſpaͤter, als von den Landſtaͤnden und den Gemeinden die rechte Kraft und Tuͤchtigkeit gewichen war, auch auf die Verwaltung ausgedehnt wurde, und das friſche Leben, welches die Nation noch aus dem Mittelalter in die neue Zeit heruͤber gebracht hatte, vollends zerſtoͤrte. Indeſſen wuͤrde es der hiſtoriſchen Unbefangenheit nicht entſprechen, wenn man die Aufnahme des roͤmiſchen Rechts in Deutſchland nur von der Schattenſeite betrachten wollte. Es iſt nicht zu verkennen, daß bei der immer beſtimmter hervor- tretenden Aufloͤſung der Reichsverfaſſung und dem ſtets uͤber- maͤchtiger ſich geſtaltenden Particularismus in dem roͤmiſchen Recht und der ſich daran lehnenden juriſtiſchen Theorie ein Mittelpunct fuͤr eine gemeinſame deutſche Rechtsbildung ge- wonnen ward, welche dem uͤppig wuchernden Particularrecht lange einen feſten Damm entgegengeſetzt hat. Auch trug das roͤmiſche Recht, eben weil ſeine abſolute Geltung in Anſpruch genommen wurde, dazu bei, daß die ſchroffen Gegenſaͤtze des Standerechts ſich mehr ausglichen, und einer mehr einheitli- chen Entwicklung des Rechts unterthan wurden. Endlich iſt im roͤmiſchen Recht, trotz ſeiner byzantiniſchen Ueberarbeitung, noch Vieles von der hohen Kraft und plaſtiſchen Vollendung der Antike bewahrt worden, welches auf das germaniſche We- ſen einen heilſamen Einfluß ausgeuͤbt hat. Dieſes Alles haͤtte

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/53>, abgerufen am 24.11.2024.