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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Erstes Kapitel.
Romanisten aus dem 15. und dem Anfange des 16. Jahr-
hunderts über die geringe Geltung des römischen Rechts in
den deutschen Gerichten und über die Bevorzugung einheimi-
scher Gewohnheiten, wenn diese nicht in voller Wirksamkeit
gewesen wären?

Es ist jedoch nicht in Abrede zu stellen, daß seit dem
14. Jahrhundert der Einfluß der Romanisten in Deutschland
anfing sich geltend zu machen, und daß dieselben im Laufe
des 16. Jahrhunderts zu einer fast unumschränkten Herrschaft
über das ganze Rechtswesen gelangten. Fassen wir die Ursa-
chen dieser allerdings einzigen Erscheinung etwas näher ins
Auge. Einmal kommt dabei die enge Verbindung zwischen
Deutschland und Italien, wo das römische Recht bald festen
Fuß faßte, in Betracht, -- eine Verbindung, welche nament-
lich unter den Luxemburgern wieder erneuert ward, und auf
die Ansichten der höheren Kreise in Deutschland einen großen
Einfluß ausübte. Man fing nun an, in einer der wunderli-
chen Ideenverwirrungen, woran das Mittelalter so reich ist, die
Justinianische Compilation als das Gesetzeswerk eines römi-
schen Kaisers und zwar eines Vorgängers im deutschen Reich
anzusehen, durch welche Auffassung freilich die unmittelbare
Geltung des römischen Rechts nicht allein, und nicht einmal
vorzugsweise herbeigeführt worden ist, welche aber doch in Ver-
bindung mit dem Einfluß der Kirche und bei der allgemeinen
Verbreitung von Rechtsbüchern, zu denen auch das Corpus
Juris gerechnet werden konnte, wesentlich darauf eingewirkt
hat, namentlich insofern Kaiser und Reich dabei betheiligt wa-
ren. Wir wissen ja aber auch schon, daß einzelne Lehren des
römischen Rechts bereits in weltlichen Sachen Anwendung ge-
funden hatten, was denn zur Folge hatte, daß für deren rich-

Erſtes Kapitel.
Romaniſten aus dem 15. und dem Anfange des 16. Jahr-
hunderts uͤber die geringe Geltung des roͤmiſchen Rechts in
den deutſchen Gerichten und uͤber die Bevorzugung einheimi-
ſcher Gewohnheiten, wenn dieſe nicht in voller Wirkſamkeit
geweſen waͤren?

Es iſt jedoch nicht in Abrede zu ſtellen, daß ſeit dem
14. Jahrhundert der Einfluß der Romaniſten in Deutſchland
anfing ſich geltend zu machen, und daß dieſelben im Laufe
des 16. Jahrhunderts zu einer faſt unumſchraͤnkten Herrſchaft
uͤber das ganze Rechtsweſen gelangten. Faſſen wir die Urſa-
chen dieſer allerdings einzigen Erſcheinung etwas naͤher ins
Auge. Einmal kommt dabei die enge Verbindung zwiſchen
Deutſchland und Italien, wo das roͤmiſche Recht bald feſten
Fuß faßte, in Betracht, — eine Verbindung, welche nament-
lich unter den Luxemburgern wieder erneuert ward, und auf
die Anſichten der hoͤheren Kreiſe in Deutſchland einen großen
Einfluß ausuͤbte. Man fing nun an, in einer der wunderli-
chen Ideenverwirrungen, woran das Mittelalter ſo reich iſt, die
Juſtinianiſche Compilation als das Geſetzeswerk eines roͤmi-
ſchen Kaiſers und zwar eines Vorgaͤngers im deutſchen Reich
anzuſehen, durch welche Auffaſſung freilich die unmittelbare
Geltung des roͤmiſchen Rechts nicht allein, und nicht einmal
vorzugsweiſe herbeigefuͤhrt worden iſt, welche aber doch in Ver-
bindung mit dem Einfluß der Kirche und bei der allgemeinen
Verbreitung von Rechtsbuͤchern, zu denen auch das Corpus
Juris gerechnet werden konnte, weſentlich darauf eingewirkt
hat, namentlich inſofern Kaiſer und Reich dabei betheiligt wa-
ren. Wir wiſſen ja aber auch ſchon, daß einzelne Lehren des
roͤmiſchen Rechts bereits in weltlichen Sachen Anwendung ge-
funden hatten, was denn zur Folge hatte, daß fuͤr deren rich-

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[34/0046] Erſtes Kapitel. Romaniſten aus dem 15. und dem Anfange des 16. Jahr- hunderts uͤber die geringe Geltung des roͤmiſchen Rechts in den deutſchen Gerichten und uͤber die Bevorzugung einheimi- ſcher Gewohnheiten, wenn dieſe nicht in voller Wirkſamkeit geweſen waͤren? Es iſt jedoch nicht in Abrede zu ſtellen, daß ſeit dem 14. Jahrhundert der Einfluß der Romaniſten in Deutſchland anfing ſich geltend zu machen, und daß dieſelben im Laufe des 16. Jahrhunderts zu einer faſt unumſchraͤnkten Herrſchaft uͤber das ganze Rechtsweſen gelangten. Faſſen wir die Urſa- chen dieſer allerdings einzigen Erſcheinung etwas naͤher ins Auge. Einmal kommt dabei die enge Verbindung zwiſchen Deutſchland und Italien, wo das roͤmiſche Recht bald feſten Fuß faßte, in Betracht, — eine Verbindung, welche nament- lich unter den Luxemburgern wieder erneuert ward, und auf die Anſichten der hoͤheren Kreiſe in Deutſchland einen großen Einfluß ausuͤbte. Man fing nun an, in einer der wunderli- chen Ideenverwirrungen, woran das Mittelalter ſo reich iſt, die Juſtinianiſche Compilation als das Geſetzeswerk eines roͤmi- ſchen Kaiſers und zwar eines Vorgaͤngers im deutſchen Reich anzuſehen, durch welche Auffaſſung freilich die unmittelbare Geltung des roͤmiſchen Rechts nicht allein, und nicht einmal vorzugsweiſe herbeigefuͤhrt worden iſt, welche aber doch in Ver- bindung mit dem Einfluß der Kirche und bei der allgemeinen Verbreitung von Rechtsbuͤchern, zu denen auch das Corpus Juris gerechnet werden konnte, weſentlich darauf eingewirkt hat, namentlich inſofern Kaiſer und Reich dabei betheiligt wa- ren. Wir wiſſen ja aber auch ſchon, daß einzelne Lehren des roͤmiſchen Rechts bereits in weltlichen Sachen Anwendung ge- funden hatten, was denn zur Folge hatte, daß fuͤr deren rich-

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/46>, abgerufen am 28.03.2024.