Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Umfang der Geltung des Juristenrechts.
solche hervorragende Stellung hat bis zur Mitte des 17. Jahr-
hunderts der sächsische Juristenstand in Deutschland eingenom-
men, indem derselbe nicht bloß an der Entwicklung des ge-
meinen Rechts den thätigsten Antheil nahm, sondern in dem so-
genannten jus commune saxonicum ein selbständiges Particu-
larrecht ausbildete, welches zum großen Theile reines Juristen-
recht war, und für die wissenschaftliche Behandlung des ge-
meinen Rechts ebenso einen wichtigen Anhalt darbot, als es
auf die Praxis desselben nachhaltig einwirkte. Zum particu-
lären Juristenrecht kann man ferner den Fall rechnen, wenn
ein früher nicht bekanntes Institut durch den Einfluß der Ju-
risten irgendwohin verpflanzt worden ist, wie es z. B. an
einigen Orten mit der Einkindschaft geschehen, oder wenn da-
durch eine bestehende Einrichtung auf eine eigenthümliche Weise
verändert worden, was namentlich bei der deutschrechtlichen
Auflassung, welche sich z. B. oft in eine bloße gerichtliche
Confirmation der voraufgehenden Contracte umsetzen lassen
mußte, bemerkt werden kann. Selbst ganz eigenthümliche In-
stitute und Rechtssätze finden sich in dem particulären Juristen-
rechte; ein Beispiel davon bieten die Adjudicate des mecklen-
burgischen Rechts. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts
bildete sich in demselben nämlich die Regel aus, daß ein Gläu-
biger für den Fall, daß die Fahrniß nicht ausreiche, Execution
in den Grundbesitz des Schuldners verlangen könne, und zwar
zunächst auf dem Wege der Immission, die aber unter ge-
wissen Voraussetzungen zur Adjudication führte, indem dem
Adjudicatar, ohne daß eine Subhastation vorher gegangen wäre,
das ganze Grundstück oder nach dem Betrage seiner Forderung
ein Theil desselben zugesprochen ward, wodurch denn alle äl-
teren Hypotheken erloschen. Dieß merkwürdige Institut, welches

Umfang der Geltung des Juriſtenrechts.
ſolche hervorragende Stellung hat bis zur Mitte des 17. Jahr-
hunderts der ſaͤchſiſche Juriſtenſtand in Deutſchland eingenom-
men, indem derſelbe nicht bloß an der Entwicklung des ge-
meinen Rechts den thaͤtigſten Antheil nahm, ſondern in dem ſo-
genannten jus commune saxonicum ein ſelbſtaͤndiges Particu-
larrecht ausbildete, welches zum großen Theile reines Juriſten-
recht war, und fuͤr die wiſſenſchaftliche Behandlung des ge-
meinen Rechts ebenſo einen wichtigen Anhalt darbot, als es
auf die Praxis deſſelben nachhaltig einwirkte. Zum particu-
laͤren Juriſtenrecht kann man ferner den Fall rechnen, wenn
ein fruͤher nicht bekanntes Inſtitut durch den Einfluß der Ju-
riſten irgendwohin verpflanzt worden iſt, wie es z. B. an
einigen Orten mit der Einkindſchaft geſchehen, oder wenn da-
durch eine beſtehende Einrichtung auf eine eigenthuͤmliche Weiſe
veraͤndert worden, was namentlich bei der deutſchrechtlichen
Auflaſſung, welche ſich z. B. oft in eine bloße gerichtliche
Confirmation der voraufgehenden Contracte umſetzen laſſen
mußte, bemerkt werden kann. Selbſt ganz eigenthuͤmliche In-
ſtitute und Rechtsſaͤtze finden ſich in dem particulaͤren Juriſten-
rechte; ein Beiſpiel davon bieten die Adjudicate des mecklen-
burgiſchen Rechts. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts
bildete ſich in demſelben naͤmlich die Regel aus, daß ein Glaͤu-
biger fuͤr den Fall, daß die Fahrniß nicht ausreiche, Execution
in den Grundbeſitz des Schuldners verlangen koͤnne, und zwar
zunaͤchſt auf dem Wege der Immiſſion, die aber unter ge-
wiſſen Vorausſetzungen zur Adjudication fuͤhrte, indem dem
Adjudicatar, ohne daß eine Subhaſtation vorher gegangen waͤre,
das ganze Grundſtuͤck oder nach dem Betrage ſeiner Forderung
ein Theil deſſelben zugeſprochen ward, wodurch denn alle aͤl-
teren Hypotheken erloſchen. Dieß merkwuͤrdige Inſtitut, welches

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0343" n="331"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Umfang der Geltung des Juri&#x017F;tenrechts</hi>.</fw><lb/>
&#x017F;olche hervorragende Stellung hat bis zur Mitte des 17. Jahr-<lb/>
hunderts der &#x017F;a&#x0364;ch&#x017F;i&#x017F;che Juri&#x017F;ten&#x017F;tand in Deut&#x017F;chland eingenom-<lb/>
men, indem der&#x017F;elbe nicht bloß an der Entwicklung des ge-<lb/>
meinen Rechts den tha&#x0364;tig&#x017F;ten Antheil nahm, &#x017F;ondern in dem &#x017F;o-<lb/>
genannten <hi rendition="#aq">jus commune saxonicum</hi> ein &#x017F;elb&#x017F;ta&#x0364;ndiges Particu-<lb/>
larrecht ausbildete, welches zum großen Theile reines Juri&#x017F;ten-<lb/>
recht war, und fu&#x0364;r die wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Behandlung des ge-<lb/>
meinen Rechts eben&#x017F;o einen wichtigen Anhalt darbot, als es<lb/>
auf die Praxis de&#x017F;&#x017F;elben nachhaltig einwirkte. Zum particu-<lb/>
la&#x0364;ren Juri&#x017F;tenrecht kann man ferner den Fall rechnen, wenn<lb/>
ein fru&#x0364;her nicht bekanntes In&#x017F;titut durch den Einfluß der Ju-<lb/>
ri&#x017F;ten irgendwohin verpflanzt worden i&#x017F;t, wie es z. B. an<lb/>
einigen Orten mit der Einkind&#x017F;chaft ge&#x017F;chehen, oder wenn da-<lb/>
durch eine be&#x017F;tehende Einrichtung auf eine eigenthu&#x0364;mliche Wei&#x017F;e<lb/>
vera&#x0364;ndert worden, was namentlich bei der deut&#x017F;chrechtlichen<lb/>
Aufla&#x017F;&#x017F;ung, welche &#x017F;ich z. B. oft in eine bloße gerichtliche<lb/>
Confirmation der voraufgehenden Contracte um&#x017F;etzen la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
mußte, bemerkt werden kann. Selb&#x017F;t ganz eigenthu&#x0364;mliche In-<lb/>
&#x017F;titute und Rechts&#x017F;a&#x0364;tze finden &#x017F;ich in dem particula&#x0364;ren Juri&#x017F;ten-<lb/>
rechte; ein Bei&#x017F;piel davon bieten die Adjudicate des mecklen-<lb/>
burgi&#x017F;chen Rechts. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts<lb/>
bildete &#x017F;ich in dem&#x017F;elben na&#x0364;mlich die Regel aus, daß ein Gla&#x0364;u-<lb/>
biger fu&#x0364;r den Fall, daß die Fahrniß nicht ausreiche, Execution<lb/>
in den Grundbe&#x017F;itz des Schuldners verlangen ko&#x0364;nne, und zwar<lb/>
zuna&#x0364;ch&#x017F;t auf dem Wege der Immi&#x017F;&#x017F;ion, die aber unter ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Voraus&#x017F;etzungen zur Adjudication fu&#x0364;hrte, indem dem<lb/>
Adjudicatar, ohne daß eine Subha&#x017F;tation vorher gegangen wa&#x0364;re,<lb/>
das ganze Grund&#x017F;tu&#x0364;ck oder nach dem Betrage &#x017F;einer Forderung<lb/>
ein Theil de&#x017F;&#x017F;elben zuge&#x017F;prochen ward, wodurch denn alle a&#x0364;l-<lb/>
teren Hypotheken erlo&#x017F;chen. Dieß merkwu&#x0364;rdige In&#x017F;titut, welches<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[331/0343] Umfang der Geltung des Juriſtenrechts. ſolche hervorragende Stellung hat bis zur Mitte des 17. Jahr- hunderts der ſaͤchſiſche Juriſtenſtand in Deutſchland eingenom- men, indem derſelbe nicht bloß an der Entwicklung des ge- meinen Rechts den thaͤtigſten Antheil nahm, ſondern in dem ſo- genannten jus commune saxonicum ein ſelbſtaͤndiges Particu- larrecht ausbildete, welches zum großen Theile reines Juriſten- recht war, und fuͤr die wiſſenſchaftliche Behandlung des ge- meinen Rechts ebenſo einen wichtigen Anhalt darbot, als es auf die Praxis deſſelben nachhaltig einwirkte. Zum particu- laͤren Juriſtenrecht kann man ferner den Fall rechnen, wenn ein fruͤher nicht bekanntes Inſtitut durch den Einfluß der Ju- riſten irgendwohin verpflanzt worden iſt, wie es z. B. an einigen Orten mit der Einkindſchaft geſchehen, oder wenn da- durch eine beſtehende Einrichtung auf eine eigenthuͤmliche Weiſe veraͤndert worden, was namentlich bei der deutſchrechtlichen Auflaſſung, welche ſich z. B. oft in eine bloße gerichtliche Confirmation der voraufgehenden Contracte umſetzen laſſen mußte, bemerkt werden kann. Selbſt ganz eigenthuͤmliche In- ſtitute und Rechtsſaͤtze finden ſich in dem particulaͤren Juriſten- rechte; ein Beiſpiel davon bieten die Adjudicate des mecklen- burgiſchen Rechts. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts bildete ſich in demſelben naͤmlich die Regel aus, daß ein Glaͤu- biger fuͤr den Fall, daß die Fahrniß nicht ausreiche, Execution in den Grundbeſitz des Schuldners verlangen koͤnne, und zwar zunaͤchſt auf dem Wege der Immiſſion, die aber unter ge- wiſſen Vorausſetzungen zur Adjudication fuͤhrte, indem dem Adjudicatar, ohne daß eine Subhaſtation vorher gegangen waͤre, das ganze Grundſtuͤck oder nach dem Betrage ſeiner Forderung ein Theil deſſelben zugeſprochen ward, wodurch denn alle aͤl- teren Hypotheken erloſchen. Dieß merkwuͤrdige Inſtitut, welches

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/343
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/343>, abgerufen am 17.05.2024.