Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Kapitel.
tonomisch abgeschlossene Stellung des regierenden Hauses, son-
dern auch die Vereinigung der einzelnen politisch berechtigten
Stände zur landständischen Corporation nöthig, um eine Ter-
ritorialeinheit zu begründen. Wo das Eine oder das Andere
fehlte, da blieb die Verbindung meistens eine sehr zufällige
und lose, und griff nicht tief in das particuläre Rechtsleben
ein, welches überhaupt noch vorzugsweise in den einzelnen Ge-
nossenschaften und Gemeinden concentrirt war.

Werfen wir nach dieser allgemeinen Betrachtung nun
einmal einen prüfenden Blick auf den Rechtszustand, welcher
am Schluß des Mittelalters in Deutschland begründet war.
Der alte Gegensatz von Freiheit und Unfreiheit hatte sich
verwischt; nur die einer Grundherrschaft frohnenden Bauern
galten noch für Hörige: in der landsässigen Ritterschaft, der
städtischen Bürgerschaft und dem voigteipflichtigen Landvolk
waren aus freien und unfreien Elementen gemischt neue Rechts-
bildungen erwachsen, welche wir als Stände bezeichnen. Denn
entsprechend den verschiedenen Kreisen des öffentlichen Lebens,
in denen sich jetzt die Nation, ohne von einem gemeinschaftli-
chen Princip beherrscht zu werden, bewegte, bildeten sich auch
für dieselben besondere Rechte und Vorrechte aus. Voran
das Standesrecht des hohen Adels, in verschiedenen Formen,
aber im Wesentlichen doch gleichartig durch die Familienau-
tonomie ausgeprägt; dann in eigenthümlicher Haltung das
Recht der landsässigen Ritterschaft, für welche, wie für die
reichsfreien Geschlechter, welche es nicht zur Reichsstandschaft
brachten, die autonomische Beliebung der einzelnen Familie
freilich keine volle Geltung hatte, welche aber in den Princi-
pien der alten Allodialsuccession, des Lehenrechts und in den
Statuten und Observanzen der neu entstandenen genossenschaft-

Erſtes Kapitel.
tonomiſch abgeſchloſſene Stellung des regierenden Hauſes, ſon-
dern auch die Vereinigung der einzelnen politiſch berechtigten
Staͤnde zur landſtaͤndiſchen Corporation noͤthig, um eine Ter-
ritorialeinheit zu begruͤnden. Wo das Eine oder das Andere
fehlte, da blieb die Verbindung meiſtens eine ſehr zufaͤllige
und loſe, und griff nicht tief in das particulaͤre Rechtsleben
ein, welches uͤberhaupt noch vorzugsweiſe in den einzelnen Ge-
noſſenſchaften und Gemeinden concentrirt war.

Werfen wir nach dieſer allgemeinen Betrachtung nun
einmal einen pruͤfenden Blick auf den Rechtszuſtand, welcher
am Schluß des Mittelalters in Deutſchland begruͤndet war.
Der alte Gegenſatz von Freiheit und Unfreiheit hatte ſich
verwiſcht; nur die einer Grundherrſchaft frohnenden Bauern
galten noch fuͤr Hoͤrige: in der landſaͤſſigen Ritterſchaft, der
ſtaͤdtiſchen Buͤrgerſchaft und dem voigteipflichtigen Landvolk
waren aus freien und unfreien Elementen gemiſcht neue Rechts-
bildungen erwachſen, welche wir als Staͤnde bezeichnen. Denn
entſprechend den verſchiedenen Kreiſen des oͤffentlichen Lebens,
in denen ſich jetzt die Nation, ohne von einem gemeinſchaftli-
chen Princip beherrſcht zu werden, bewegte, bildeten ſich auch
fuͤr dieſelben beſondere Rechte und Vorrechte aus. Voran
das Standesrecht des hohen Adels, in verſchiedenen Formen,
aber im Weſentlichen doch gleichartig durch die Familienau-
tonomie ausgepraͤgt; dann in eigenthuͤmlicher Haltung das
Recht der landſaͤſſigen Ritterſchaft, fuͤr welche, wie fuͤr die
reichsfreien Geſchlechter, welche es nicht zur Reichsſtandſchaft
brachten, die autonomiſche Beliebung der einzelnen Familie
freilich keine volle Geltung hatte, welche aber in den Princi-
pien der alten Allodialſucceſſion, des Lehenrechts und in den
Statuten und Obſervanzen der neu entſtandenen genoſſenſchaft-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0034" n="22"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;tes Kapitel</hi>.</fw><lb/>
tonomi&#x017F;ch abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Stellung des regierenden Hau&#x017F;es, &#x017F;on-<lb/>
dern auch die Vereinigung der einzelnen politi&#x017F;ch berechtigten<lb/>
Sta&#x0364;nde zur land&#x017F;ta&#x0364;ndi&#x017F;chen Corporation no&#x0364;thig, um eine Ter-<lb/>
ritorialeinheit zu begru&#x0364;nden. Wo das Eine oder das Andere<lb/>
fehlte, da blieb die Verbindung mei&#x017F;tens eine &#x017F;ehr zufa&#x0364;llige<lb/>
und lo&#x017F;e, und griff nicht tief in das particula&#x0364;re Rechtsleben<lb/>
ein, welches u&#x0364;berhaupt noch vorzugswei&#x017F;e in den einzelnen Ge-<lb/>
no&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und Gemeinden concentrirt war.</p><lb/>
          <p>Werfen wir nach die&#x017F;er allgemeinen Betrachtung nun<lb/>
einmal einen pru&#x0364;fenden Blick auf den Rechtszu&#x017F;tand, welcher<lb/>
am Schluß des Mittelalters in Deut&#x017F;chland begru&#x0364;ndet war.<lb/>
Der alte Gegen&#x017F;atz von Freiheit und Unfreiheit hatte &#x017F;ich<lb/>
verwi&#x017F;cht; nur die einer Grundherr&#x017F;chaft frohnenden Bauern<lb/>
galten noch fu&#x0364;r Ho&#x0364;rige: in der land&#x017F;a&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen Ritter&#x017F;chaft, der<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;dti&#x017F;chen Bu&#x0364;rger&#x017F;chaft und dem voigteipflichtigen Landvolk<lb/>
waren aus freien und unfreien Elementen gemi&#x017F;cht neue Rechts-<lb/>
bildungen erwach&#x017F;en, welche wir als Sta&#x0364;nde bezeichnen. Denn<lb/>
ent&#x017F;prechend den ver&#x017F;chiedenen Krei&#x017F;en des o&#x0364;ffentlichen Lebens,<lb/>
in denen &#x017F;ich jetzt die Nation, ohne von einem gemein&#x017F;chaftli-<lb/>
chen Princip beherr&#x017F;cht zu werden, bewegte, bildeten &#x017F;ich auch<lb/>
fu&#x0364;r die&#x017F;elben be&#x017F;ondere Rechte und Vorrechte aus. Voran<lb/>
das Standesrecht des hohen Adels, in ver&#x017F;chiedenen Formen,<lb/>
aber im We&#x017F;entlichen doch gleichartig durch die Familienau-<lb/>
tonomie ausgepra&#x0364;gt; dann in eigenthu&#x0364;mlicher Haltung das<lb/>
Recht der land&#x017F;a&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen Ritter&#x017F;chaft, fu&#x0364;r welche, wie fu&#x0364;r die<lb/>
reichsfreien Ge&#x017F;chlechter, welche es nicht zur Reichs&#x017F;tand&#x017F;chaft<lb/>
brachten, die autonomi&#x017F;che Beliebung der einzelnen Familie<lb/>
freilich keine volle Geltung hatte, welche aber in den Princi-<lb/>
pien der alten Allodial&#x017F;ucce&#x017F;&#x017F;ion, des Lehenrechts und in den<lb/>
Statuten und Ob&#x017F;ervanzen der neu ent&#x017F;tandenen geno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0034] Erſtes Kapitel. tonomiſch abgeſchloſſene Stellung des regierenden Hauſes, ſon- dern auch die Vereinigung der einzelnen politiſch berechtigten Staͤnde zur landſtaͤndiſchen Corporation noͤthig, um eine Ter- ritorialeinheit zu begruͤnden. Wo das Eine oder das Andere fehlte, da blieb die Verbindung meiſtens eine ſehr zufaͤllige und loſe, und griff nicht tief in das particulaͤre Rechtsleben ein, welches uͤberhaupt noch vorzugsweiſe in den einzelnen Ge- noſſenſchaften und Gemeinden concentrirt war. Werfen wir nach dieſer allgemeinen Betrachtung nun einmal einen pruͤfenden Blick auf den Rechtszuſtand, welcher am Schluß des Mittelalters in Deutſchland begruͤndet war. Der alte Gegenſatz von Freiheit und Unfreiheit hatte ſich verwiſcht; nur die einer Grundherrſchaft frohnenden Bauern galten noch fuͤr Hoͤrige: in der landſaͤſſigen Ritterſchaft, der ſtaͤdtiſchen Buͤrgerſchaft und dem voigteipflichtigen Landvolk waren aus freien und unfreien Elementen gemiſcht neue Rechts- bildungen erwachſen, welche wir als Staͤnde bezeichnen. Denn entſprechend den verſchiedenen Kreiſen des oͤffentlichen Lebens, in denen ſich jetzt die Nation, ohne von einem gemeinſchaftli- chen Princip beherrſcht zu werden, bewegte, bildeten ſich auch fuͤr dieſelben beſondere Rechte und Vorrechte aus. Voran das Standesrecht des hohen Adels, in verſchiedenen Formen, aber im Weſentlichen doch gleichartig durch die Familienau- tonomie ausgepraͤgt; dann in eigenthuͤmlicher Haltung das Recht der landſaͤſſigen Ritterſchaft, fuͤr welche, wie fuͤr die reichsfreien Geſchlechter, welche es nicht zur Reichsſtandſchaft brachten, die autonomiſche Beliebung der einzelnen Familie freilich keine volle Geltung hatte, welche aber in den Princi- pien der alten Allodialſucceſſion, des Lehenrechts und in den Statuten und Obſervanzen der neu entſtandenen genoſſenſchaft-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/34
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/34>, abgerufen am 09.10.2024.