Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Historische Einleitung. derts in voller Kraft bestanden, offenbar ein hinreichenderStoff vorhanden, um eine politische Regeneration Deutschlands im nationalen Interesse zu verwirklichen, zumal wenn auch die Reichsfürsten geneigt wurden, von ihrer Territorialgewalt et- was aufzuopfern, um dafür eine würdige Stellung in einem großen einheitlichen Staatsverbande einzutauschen. Und in der That findet sich, daß von den Reichsständen selbst, unter Lei- tung eines patriotischen Mannes, des Churfürsten Berthold von Mainz, ein solcher Versuch unternommen worden ist. Aber weder Friedrich III. noch Maximilian I. waren geneigt, sich an die Spitze dieser Bestrebungen zu stellen, welche doch auch zunächst nur bezweckten, ein aristokratisches Reichsregi- ment in kräftiger Haltung an die Stelle des schwachen Kai- serthums zu setzen, ohne dem Werk eine breite, volksthümliche Basis zu geben. So scheiterte dieser Plan, und nur die Auf- regung des reichsfreien Adels, der Mißmuth der Städte, die schrecklichen Bauernkriege zeigten, wie tief die Bewegung und das Bedürfniß einer politischen Reform in der Nation gewe- sen waren. Inzwischen kam die kirchliche Reformation zum Durchbruch, und zog fast alle Kräfte und alles Interesse an sich; aber auch sie ward nicht als ein gemeinsames, nationa- les Werk durchgeführt, und vollendete die innere Zerrüttung und Zersplitterung Deutschlands, welches nun bloß in seinen einzelnen Territorien die Form des modernen Staates auszu- bilden vermochte. Doch währte es auch hier lange, bis sich die verschiedenen Elemente der landesherrlichen Gewalt zu dem bestimmten staatsrechtlichen Begriff der Landeshoheit consoli- dirten. Denn die Rechte der einzelnen Districte und der nach Ständen geschiedenen Bevölkerung konnten in demselben Lande sehr von einander abweichen, und es war nicht bloß die au- Hiſtoriſche Einleitung. derts in voller Kraft beſtanden, offenbar ein hinreichenderStoff vorhanden, um eine politiſche Regeneration Deutſchlands im nationalen Intereſſe zu verwirklichen, zumal wenn auch die Reichsfuͤrſten geneigt wurden, von ihrer Territorialgewalt et- was aufzuopfern, um dafuͤr eine wuͤrdige Stellung in einem großen einheitlichen Staatsverbande einzutauſchen. Und in der That findet ſich, daß von den Reichsſtaͤnden ſelbſt, unter Lei- tung eines patriotiſchen Mannes, des Churfuͤrſten Berthold von Mainz, ein ſolcher Verſuch unternommen worden iſt. Aber weder Friedrich III. noch Maximilian I. waren geneigt, ſich an die Spitze dieſer Beſtrebungen zu ſtellen, welche doch auch zunaͤchſt nur bezweckten, ein ariſtokratiſches Reichsregi- ment in kraͤftiger Haltung an die Stelle des ſchwachen Kai- ſerthums zu ſetzen, ohne dem Werk eine breite, volksthuͤmliche Baſis zu geben. So ſcheiterte dieſer Plan, und nur die Auf- regung des reichsfreien Adels, der Mißmuth der Staͤdte, die ſchrecklichen Bauernkriege zeigten, wie tief die Bewegung und das Beduͤrfniß einer politiſchen Reform in der Nation gewe- ſen waren. Inzwiſchen kam die kirchliche Reformation zum Durchbruch, und zog faſt alle Kraͤfte und alles Intereſſe an ſich; aber auch ſie ward nicht als ein gemeinſames, nationa- les Werk durchgefuͤhrt, und vollendete die innere Zerruͤttung und Zerſplitterung Deutſchlands, welches nun bloß in ſeinen einzelnen Territorien die Form des modernen Staates auszu- bilden vermochte. Doch waͤhrte es auch hier lange, bis ſich die verſchiedenen Elemente der landesherrlichen Gewalt zu dem beſtimmten ſtaatsrechtlichen Begriff der Landeshoheit conſoli- dirten. Denn die Rechte der einzelnen Diſtricte und der nach Staͤnden geſchiedenen Bevoͤlkerung konnten in demſelben Lande ſehr von einander abweichen, und es war nicht bloß die au- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0033" n="21"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Hiſtoriſche Einleitung</hi>.</fw><lb/> derts in voller Kraft beſtanden, offenbar ein hinreichender<lb/> Stoff vorhanden, um eine politiſche Regeneration Deutſchlands<lb/> im nationalen Intereſſe zu verwirklichen, zumal wenn auch die<lb/> Reichsfuͤrſten geneigt wurden, von ihrer Territorialgewalt et-<lb/> was aufzuopfern, um dafuͤr eine wuͤrdige Stellung in einem<lb/> großen einheitlichen Staatsverbande einzutauſchen. 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Hiſtoriſche Einleitung.
derts in voller Kraft beſtanden, offenbar ein hinreichender
Stoff vorhanden, um eine politiſche Regeneration Deutſchlands
im nationalen Intereſſe zu verwirklichen, zumal wenn auch die
Reichsfuͤrſten geneigt wurden, von ihrer Territorialgewalt et-
was aufzuopfern, um dafuͤr eine wuͤrdige Stellung in einem
großen einheitlichen Staatsverbande einzutauſchen. Und in der
That findet ſich, daß von den Reichsſtaͤnden ſelbſt, unter Lei-
tung eines patriotiſchen Mannes, des Churfuͤrſten Berthold
von Mainz, ein ſolcher Verſuch unternommen worden iſt.
Aber weder Friedrich III. noch Maximilian I. waren geneigt,
ſich an die Spitze dieſer Beſtrebungen zu ſtellen, welche doch
auch zunaͤchſt nur bezweckten, ein ariſtokratiſches Reichsregi-
ment in kraͤftiger Haltung an die Stelle des ſchwachen Kai-
ſerthums zu ſetzen, ohne dem Werk eine breite, volksthuͤmliche
Baſis zu geben. So ſcheiterte dieſer Plan, und nur die Auf-
regung des reichsfreien Adels, der Mißmuth der Staͤdte, die
ſchrecklichen Bauernkriege zeigten, wie tief die Bewegung und
das Beduͤrfniß einer politiſchen Reform in der Nation gewe-
ſen waren. Inzwiſchen kam die kirchliche Reformation zum
Durchbruch, und zog faſt alle Kraͤfte und alles Intereſſe an
ſich; aber auch ſie ward nicht als ein gemeinſames, nationa-
les Werk durchgefuͤhrt, und vollendete die innere Zerruͤttung
und Zerſplitterung Deutſchlands, welches nun bloß in ſeinen
einzelnen Territorien die Form des modernen Staates auszu-
bilden vermochte. Doch waͤhrte es auch hier lange, bis ſich
die verſchiedenen Elemente der landesherrlichen Gewalt zu dem
beſtimmten ſtaatsrechtlichen Begriff der Landeshoheit conſoli-
dirten. Denn die Rechte der einzelnen Diſtricte und der nach
Staͤnden geſchiedenen Bevoͤlkerung konnten in demſelben Lande
ſehr von einander abweichen, und es war nicht bloß die au-
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