Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Erstes Kapitel. lich für das Privatrecht nur selten vor. Aber eine große, leb-haft bewegte Versammlung, bei der kein parlamentarisch ge- ordneter Geschäftsgang angenommen werden darf, paßt nicht für eine sich regelmäßig wiederholende richterliche Thätigkeit; es kommt nur darauf an, daß diese unter der Aufsicht und Billigung der Gemeinde geübt werde. Daher findet sich schon frühe, daß nach Verhandlung der Sache, die in lebendiger Rede und Gegenrede vor sich ging, Einer oder Mehre der Genossen das Urtheil einsetzten, welches bestehen blieb, wenn die Uebrigen (der Umstand) es nicht verwarfen. Auf diesem Princip beruhte auch die sogenannte Karolingische Schöffen- verfassung, indem unter Leitung eines Sendboten von dem Grafen und seiner Gemeinde bestimmte Personen aus dieser für die Dauer erwählt wurden, um vorstimmend das Urtheil zu finden, was denn in den gebotenen Gerichten, wo die Ge- meinde nicht gegenwärtig zu seyn brauchte, als eine wahre Jurisdiction sich darstellen mußte. Auf diese Weise schien für einen großen Theil des Abend- Erſtes Kapitel. lich fuͤr das Privatrecht nur ſelten vor. Aber eine große, leb-haft bewegte Verſammlung, bei der kein parlamentariſch ge- ordneter Geſchaͤftsgang angenommen werden darf, paßt nicht fuͤr eine ſich regelmaͤßig wiederholende richterliche Thaͤtigkeit; es kommt nur darauf an, daß dieſe unter der Aufſicht und Billigung der Gemeinde geuͤbt werde. Daher findet ſich ſchon fruͤhe, daß nach Verhandlung der Sache, die in lebendiger Rede und Gegenrede vor ſich ging, Einer oder Mehre der Genoſſen das Urtheil einſetzten, welches beſtehen blieb, wenn die Uebrigen (der Umſtand) es nicht verwarfen. Auf dieſem Princip beruhte auch die ſogenannte Karolingiſche Schoͤffen- verfaſſung, indem unter Leitung eines Sendboten von dem Grafen und ſeiner Gemeinde beſtimmte Perſonen aus dieſer fuͤr die Dauer erwaͤhlt wurden, um vorſtimmend das Urtheil zu finden, was denn in den gebotenen Gerichten, wo die Ge- meinde nicht gegenwaͤrtig zu ſeyn brauchte, als eine wahre Jurisdiction ſich darſtellen mußte. Auf dieſe Weiſe ſchien fuͤr einen großen Theil des Abend- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0022" n="10"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſtes Kapitel</hi>.</fw><lb/> lich fuͤr das Privatrecht nur ſelten vor. Aber eine große, leb-<lb/> haft bewegte Verſammlung, bei der kein parlamentariſch ge-<lb/> ordneter Geſchaͤftsgang angenommen werden darf, paßt nicht<lb/> fuͤr eine ſich regelmaͤßig wiederholende richterliche Thaͤtigkeit;<lb/> es kommt nur darauf an, daß dieſe unter der Aufſicht und<lb/> Billigung der Gemeinde geuͤbt werde. Daher findet ſich ſchon<lb/> fruͤhe, daß nach Verhandlung der Sache, die in lebendiger<lb/> Rede und Gegenrede vor ſich ging, Einer oder Mehre der<lb/> Genoſſen das Urtheil einſetzten, welches beſtehen blieb, wenn<lb/> die Uebrigen (der Umſtand) es nicht verwarfen. Auf dieſem<lb/> Princip beruhte auch die ſogenannte Karolingiſche Schoͤffen-<lb/> verfaſſung, indem unter Leitung eines Sendboten von dem<lb/> Grafen und ſeiner Gemeinde beſtimmte Perſonen aus dieſer<lb/> fuͤr die Dauer erwaͤhlt wurden, um vorſtimmend das Urtheil<lb/> zu finden, was denn in den gebotenen Gerichten, wo die Ge-<lb/> meinde nicht gegenwaͤrtig zu ſeyn brauchte, als eine wahre<lb/> Jurisdiction ſich darſtellen mußte.</p><lb/> <p>Auf dieſe Weiſe ſchien fuͤr einen großen Theil des Abend-<lb/> landes eine Staatsform gefunden zu ſeyn, welche die verſchie-<lb/> denen Voͤlkerſchaften, durch gemeinſchaftliche Abſtammung und<lb/> das Band des Chriſtenthums unter einander verbunden, auf<lb/> die Dauer zu einem Staatsganzen vereinen, und ihnen doch<lb/> zugleich die ihrer Eigenthuͤmlichkeit entſprechende Freiheit der<lb/> Bewegung gewaͤhren koͤnne. Aber als Karl’s ſtarke Hand<lb/> nicht mehr uͤber das Reich waltete, da zeigte ſich doch bald,<lb/> wie aͤußerlich die Einheit deſſelben geweſen war; die Natio-<lb/> nalitaͤt der Deutſchen trat immer entſchiedener im Gegenſatz<lb/> zu der der Romanen hervor, und mußte uͤber kurz oder lang<lb/> eine Trennung herbeifuͤhren. Mit der Aufloͤſung der fraͤnki-<lb/> ſchen Monarchie hoͤrte jedoch nicht der Einfluß auf, den ſie<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [10/0022]
Erſtes Kapitel.
lich fuͤr das Privatrecht nur ſelten vor. Aber eine große, leb-
haft bewegte Verſammlung, bei der kein parlamentariſch ge-
ordneter Geſchaͤftsgang angenommen werden darf, paßt nicht
fuͤr eine ſich regelmaͤßig wiederholende richterliche Thaͤtigkeit;
es kommt nur darauf an, daß dieſe unter der Aufſicht und
Billigung der Gemeinde geuͤbt werde. Daher findet ſich ſchon
fruͤhe, daß nach Verhandlung der Sache, die in lebendiger
Rede und Gegenrede vor ſich ging, Einer oder Mehre der
Genoſſen das Urtheil einſetzten, welches beſtehen blieb, wenn
die Uebrigen (der Umſtand) es nicht verwarfen. Auf dieſem
Princip beruhte auch die ſogenannte Karolingiſche Schoͤffen-
verfaſſung, indem unter Leitung eines Sendboten von dem
Grafen und ſeiner Gemeinde beſtimmte Perſonen aus dieſer
fuͤr die Dauer erwaͤhlt wurden, um vorſtimmend das Urtheil
zu finden, was denn in den gebotenen Gerichten, wo die Ge-
meinde nicht gegenwaͤrtig zu ſeyn brauchte, als eine wahre
Jurisdiction ſich darſtellen mußte.
Auf dieſe Weiſe ſchien fuͤr einen großen Theil des Abend-
landes eine Staatsform gefunden zu ſeyn, welche die verſchie-
denen Voͤlkerſchaften, durch gemeinſchaftliche Abſtammung und
das Band des Chriſtenthums unter einander verbunden, auf
die Dauer zu einem Staatsganzen vereinen, und ihnen doch
zugleich die ihrer Eigenthuͤmlichkeit entſprechende Freiheit der
Bewegung gewaͤhren koͤnne. Aber als Karl’s ſtarke Hand
nicht mehr uͤber das Reich waltete, da zeigte ſich doch bald,
wie aͤußerlich die Einheit deſſelben geweſen war; die Natio-
nalitaͤt der Deutſchen trat immer entſchiedener im Gegenſatz
zu der der Romanen hervor, und mußte uͤber kurz oder lang
eine Trennung herbeifuͤhren. Mit der Aufloͤſung der fraͤnki-
ſchen Monarchie hoͤrte jedoch nicht der Einfluß auf, den ſie
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