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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Fortsetzung. -- Das Recht der Genossenschaft.
duldet wird, schon bestehen muß. -- Daß nun der Staat sich
im Allgemeinen zur juristischen Person nicht gleichgültig ver-
halten kann, und daß ihm ein bestimmter Einfluß auf die-
selbe gebührt, ist nicht in Abrede zu stellen; zunächst fragt es
sich aber, ob und inwiefern ihre Begründung von seinem
Willen abhängt, und die Privatwillkühr hierbei ausgeschlossen
ist. Das soll nun mit besonderer Beziehung auf die Genos-
senschaft hier erwogen werden, wobei die verschiedenen darüber
bestehenden Ansichten einer Kritik zu unterziehen sind.

1. Gewöhnlich behauptet man, jede juristische Person
sey als solche eine Fiction, und könne deswegen nur durch die
höchste Gewalt im Staate zur Existenz kommen. Allein Bei-
des ist nicht richtig. Die Genossenschaft namentlich und die
Gemeinde sind so wenig eine Fiction, als der Staat es selber
ist; es liegt in der so geordneten Gesammtheit ein organi-
sches Leben, eine Persönlichkeit, deren Bedeutung man
ganz mißversteht, wenn man sie bloß im Gegensatz zu der
des einzelnen Menschen auffaßt, so wie es auch nicht richtig
ist, wenn man sie ausschließlich auf den civilrechtlichen, freilich
besonders wichtigen Punct der Vermögensfähigkeit bezieht.
Daß aber ferner eine solche Persönlichkeit, die immerhin als
eine juristische bezeichnet werden mag, nur durch den Staats-
willen soll entstehen können, ist einfach eine petitio principii,
welche durch die Geschichte und das Rechtsleben der germani-
schen Völker widerlegt wird. Auch ist schon auf den Wider-
spruch aufmerksam gemacht worden, dessen sich diejenigen schul-
dig machen, welche dem ausdrücklichen Staatswillen die still-
schweigende Anerkennung und Duldung substituiren. Es ver-
hält sich damit, wie mit der älteren Theorie von der Entste-
hung des Gewohnheitsrechts: weil man sich das Gesetz als

Fortſetzung. — Das Recht der Genoſſenſchaft.
duldet wird, ſchon beſtehen muß. — Daß nun der Staat ſich
im Allgemeinen zur juriſtiſchen Perſon nicht gleichguͤltig ver-
halten kann, und daß ihm ein beſtimmter Einfluß auf die-
ſelbe gebuͤhrt, iſt nicht in Abrede zu ſtellen; zunaͤchſt fragt es
ſich aber, ob und inwiefern ihre Begruͤndung von ſeinem
Willen abhaͤngt, und die Privatwillkuͤhr hierbei ausgeſchloſſen
iſt. Das ſoll nun mit beſonderer Beziehung auf die Genoſ-
ſenſchaft hier erwogen werden, wobei die verſchiedenen daruͤber
beſtehenden Anſichten einer Kritik zu unterziehen ſind.

1. Gewoͤhnlich behauptet man, jede juriſtiſche Perſon
ſey als ſolche eine Fiction, und koͤnne deswegen nur durch die
hoͤchſte Gewalt im Staate zur Exiſtenz kommen. Allein Bei-
des iſt nicht richtig. Die Genoſſenſchaft namentlich und die
Gemeinde ſind ſo wenig eine Fiction, als der Staat es ſelber
iſt; es liegt in der ſo geordneten Geſammtheit ein organi-
ſches Leben, eine Perſoͤnlichkeit, deren Bedeutung man
ganz mißverſteht, wenn man ſie bloß im Gegenſatz zu der
des einzelnen Menſchen auffaßt, ſo wie es auch nicht richtig
iſt, wenn man ſie ausſchließlich auf den civilrechtlichen, freilich
beſonders wichtigen Punct der Vermoͤgensfaͤhigkeit bezieht.
Daß aber ferner eine ſolche Perſoͤnlichkeit, die immerhin als
eine juriſtiſche bezeichnet werden mag, nur durch den Staats-
willen ſoll entſtehen koͤnnen, iſt einfach eine petitio principii,
welche durch die Geſchichte und das Rechtsleben der germani-
ſchen Voͤlker widerlegt wird. Auch iſt ſchon auf den Wider-
ſpruch aufmerkſam gemacht worden, deſſen ſich diejenigen ſchul-
dig machen, welche dem ausdruͤcklichen Staatswillen die ſtill-
ſchweigende Anerkennung und Duldung ſubſtituiren. Es ver-
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[173/0185] Fortſetzung. — Das Recht der Genoſſenſchaft. duldet wird, ſchon beſtehen muß. — Daß nun der Staat ſich im Allgemeinen zur juriſtiſchen Perſon nicht gleichguͤltig ver- halten kann, und daß ihm ein beſtimmter Einfluß auf die- ſelbe gebuͤhrt, iſt nicht in Abrede zu ſtellen; zunaͤchſt fragt es ſich aber, ob und inwiefern ihre Begruͤndung von ſeinem Willen abhaͤngt, und die Privatwillkuͤhr hierbei ausgeſchloſſen iſt. Das ſoll nun mit beſonderer Beziehung auf die Genoſ- ſenſchaft hier erwogen werden, wobei die verſchiedenen daruͤber beſtehenden Anſichten einer Kritik zu unterziehen ſind. 1. Gewoͤhnlich behauptet man, jede juriſtiſche Perſon ſey als ſolche eine Fiction, und koͤnne deswegen nur durch die hoͤchſte Gewalt im Staate zur Exiſtenz kommen. Allein Bei- des iſt nicht richtig. Die Genoſſenſchaft namentlich und die Gemeinde ſind ſo wenig eine Fiction, als der Staat es ſelber iſt; es liegt in der ſo geordneten Geſammtheit ein organi- ſches Leben, eine Perſoͤnlichkeit, deren Bedeutung man ganz mißverſteht, wenn man ſie bloß im Gegenſatz zu der des einzelnen Menſchen auffaßt, ſo wie es auch nicht richtig iſt, wenn man ſie ausſchließlich auf den civilrechtlichen, freilich beſonders wichtigen Punct der Vermoͤgensfaͤhigkeit bezieht. Daß aber ferner eine ſolche Perſoͤnlichkeit, die immerhin als eine juriſtiſche bezeichnet werden mag, nur durch den Staats- willen ſoll entſtehen koͤnnen, iſt einfach eine petitio principii, welche durch die Geſchichte und das Rechtsleben der germani- ſchen Voͤlker widerlegt wird. Auch iſt ſchon auf den Wider- ſpruch aufmerkſam gemacht worden, deſſen ſich diejenigen ſchul- dig machen, welche dem ausdruͤcklichen Staatswillen die ſtill- ſchweigende Anerkennung und Duldung ſubſtituiren. Es ver- haͤlt ſich damit, wie mit der aͤlteren Theorie von der Entſte- hung des Gewohnheitsrechts: weil man ſich das Geſetz als

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/185>, abgerufen am 30.04.2024.