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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Das Volksrecht als gemeines Landrecht.
gründet erscheint, so ist das mehr ein Abfall von der alten
Zucht und dem ernsten Hausregiment, vor welchem verbildete
Schwächlinge zurückschrecken, als ein Ausfluß ursprünglich
deutscher Sitte und Art. Aber die Gewalt des Vaters ist bei
uns nie dem egoistischen Princip der einseitigen Berechtigung
unterworfen gewesen; es hat von jeher auch die entsprechende
Verpflichtung, den Kindern gegenüber, in sich getragen, so daß
das Recht nicht erst von einer außer ihm stehenden Sitte be-
stimmt zu werden brauchte. Davon ist die wichtige Folge ge-
blieben, daß die väterliche Gewalt erlischt, wenn sie den Ver-
hältnissen nicht mehr entspricht, das Kind des Schutzes und
der Vertretung nicht mehr bedarf: also die Aufhebung durch
die Ehe der Tochter, welche sich nun an den Mann anlehnt,
und durch die Errichtung eines selbständigen Hauswesens von
Seiten des Sohnes, so daß das peculium profectitium, ca-
strense
und quasi castrense fast gar keine practische Be-
deutung bei uns haben. -- Diesen Verhältnissen nahe ver-
wandt ist die Vormundschaft, welche auch in ihrer gemeinrecht-
lichen Ausbildung wesentlich germanisirt, nur durch die Gesetz-
gebung oft zu sehr unter die Herrschaft bloß äußerlicher, über-
trieben lästiger Garantien gestellt worden ist, und dadurch den
ursprünglichen Charakter, welcher der des Familiensinns und
des Vertrauens ist, verloren hat. Was diesem Institut äu-
ßerlich noch von unpassenden römischen Verbrämungen an-
hängt, z. B. der Unterschied zwischen tutela und cura mino-
rum,
ist durch das Volksleben thatsächlich schon lange besei-
tigt worden, indem sich nur der natürliche Abstand zwischen
Kindern und Erwachsenen bei den verschiedenen Altersstufen
des Mündels geltend macht. Oder wird noch die Person des
Vormundes gewechselt, wenn die tutela beendigt ist? und hat

Das Volksrecht als gemeines Landrecht.
gruͤndet erſcheint, ſo iſt das mehr ein Abfall von der alten
Zucht und dem ernſten Hausregiment, vor welchem verbildete
Schwaͤchlinge zuruͤckſchrecken, als ein Ausfluß urſpruͤnglich
deutſcher Sitte und Art. Aber die Gewalt des Vaters iſt bei
uns nie dem egoiſtiſchen Princip der einſeitigen Berechtigung
unterworfen geweſen; es hat von jeher auch die entſprechende
Verpflichtung, den Kindern gegenuͤber, in ſich getragen, ſo daß
das Recht nicht erſt von einer außer ihm ſtehenden Sitte be-
ſtimmt zu werden brauchte. Davon iſt die wichtige Folge ge-
blieben, daß die vaͤterliche Gewalt erliſcht, wenn ſie den Ver-
haͤltniſſen nicht mehr entſpricht, das Kind des Schutzes und
der Vertretung nicht mehr bedarf: alſo die Aufhebung durch
die Ehe der Tochter, welche ſich nun an den Mann anlehnt,
und durch die Errichtung eines ſelbſtaͤndigen Hausweſens von
Seiten des Sohnes, ſo daß das peculium profectitium, ca-
strense
und quasi castrense faſt gar keine practiſche Be-
deutung bei uns haben. — Dieſen Verhaͤltniſſen nahe ver-
wandt iſt die Vormundſchaft, welche auch in ihrer gemeinrecht-
lichen Ausbildung weſentlich germaniſirt, nur durch die Geſetz-
gebung oft zu ſehr unter die Herrſchaft bloß aͤußerlicher, uͤber-
trieben laͤſtiger Garantien geſtellt worden iſt, und dadurch den
urſpruͤnglichen Charakter, welcher der des Familienſinns und
des Vertrauens iſt, verloren hat. Was dieſem Inſtitut aͤu-
ßerlich noch von unpaſſenden roͤmiſchen Verbraͤmungen an-
haͤngt, z. B. der Unterſchied zwiſchen tutela und cura mino-
rum,
iſt durch das Volksleben thatſaͤchlich ſchon lange beſei-
tigt worden, indem ſich nur der natuͤrliche Abſtand zwiſchen
Kindern und Erwachſenen bei den verſchiedenen Altersſtufen
des Muͤndels geltend macht. Oder wird noch die Perſon des
Vormundes gewechſelt, wenn die tutela beendigt iſt? und hat

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[143/0155] Das Volksrecht als gemeines Landrecht. gruͤndet erſcheint, ſo iſt das mehr ein Abfall von der alten Zucht und dem ernſten Hausregiment, vor welchem verbildete Schwaͤchlinge zuruͤckſchrecken, als ein Ausfluß urſpruͤnglich deutſcher Sitte und Art. Aber die Gewalt des Vaters iſt bei uns nie dem egoiſtiſchen Princip der einſeitigen Berechtigung unterworfen geweſen; es hat von jeher auch die entſprechende Verpflichtung, den Kindern gegenuͤber, in ſich getragen, ſo daß das Recht nicht erſt von einer außer ihm ſtehenden Sitte be- ſtimmt zu werden brauchte. Davon iſt die wichtige Folge ge- blieben, daß die vaͤterliche Gewalt erliſcht, wenn ſie den Ver- haͤltniſſen nicht mehr entſpricht, das Kind des Schutzes und der Vertretung nicht mehr bedarf: alſo die Aufhebung durch die Ehe der Tochter, welche ſich nun an den Mann anlehnt, und durch die Errichtung eines ſelbſtaͤndigen Hausweſens von Seiten des Sohnes, ſo daß das peculium profectitium, ca- strense und quasi castrense faſt gar keine practiſche Be- deutung bei uns haben. — Dieſen Verhaͤltniſſen nahe ver- wandt iſt die Vormundſchaft, welche auch in ihrer gemeinrecht- lichen Ausbildung weſentlich germaniſirt, nur durch die Geſetz- gebung oft zu ſehr unter die Herrſchaft bloß aͤußerlicher, uͤber- trieben laͤſtiger Garantien geſtellt worden iſt, und dadurch den urſpruͤnglichen Charakter, welcher der des Familienſinns und des Vertrauens iſt, verloren hat. Was dieſem Inſtitut aͤu- ßerlich noch von unpaſſenden roͤmiſchen Verbraͤmungen an- haͤngt, z. B. der Unterſchied zwiſchen tutela und cura mino- rum, iſt durch das Volksleben thatſaͤchlich ſchon lange beſei- tigt worden, indem ſich nur der natuͤrliche Abſtand zwiſchen Kindern und Erwachſenen bei den verſchiedenen Altersſtufen des Muͤndels geltend macht. Oder wird noch die Perſon des Vormundes gewechſelt, wenn die tutela beendigt iſt? und hat

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/155>, abgerufen am 30.04.2024.