Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Fünftes Kapitel. sen, daß er die Ehe aus dem Bann des Sacraments befreithat, und statt der verzwickten Nichtigkeitsgründe und anderer Umwege des katholischen Kirchenrechts die Scheidung ehrlich anerkennt. Aber dieß gehört schon nicht mehr zu der privat- rechtlichen Seite des Eherechts; darunter fällt vor Allem die gegenseitige Stellung der Chegatten zu einander, mit besonde- rer Beziehung auf ihr beiderseitiges Vermögen. In dieser Hin- sicht hat sich nun freilich eine bedeutende Abweichung von der älteren deutschen Rechtsanschauung geltend gemacht, seitdem die eheliche Voigtei des Mannes über die Frau entweder ganz beseitigt, oder doch sehr verändert worden ist; aber daß nichts desto weniger noch gegenwärtig in dem privatrechtlichen Theile des Eherechts ein wesentlich germanisches Element vorherrscht, und sich, wenn auch in sehr verschiedenen Formen, als eine selbständige Rechtsbildung darstellt, ergiebt auch eine oberfläch- liche Vergleichung der heutigen Zustände mit den Satzungen des römischen Rechts. -- Ebenso verhält es sich mit der Stel- lung der Eltern und der ehelichen Kinder. Ich denke hier- bei nicht bloß an die mittelbare Einwirkung, welche die ehe- liche Gütergemeinschaft und die damit in Verbindung stehen- den Institute auch auf das Recht der Kinder ausüben, son- dern namentlich auch an die gegenwärtige Gestaltung der vä- terlichen Gewalt. Es ist freilich nicht richtig, wenn man die- ser eine selbstandige mütterliche Gewalt gegenüber stellt, da das, was man damit bezeichnen will, mehr in der Sitte wur- zelt, als sich zum bestimmten Rechtsbegriff ausgebildet hat. Auch will ich nicht behaupten, daß die Gewalt des deutschen Hausvaters über seine Kinder ihrem Umfange nach beschränk- ter gewesen sey, als es nach dem späteren römischen Rechte der Fall ist; denn wenn so etwas heut zu Tage zuweilen be- Fuͤnftes Kapitel. ſen, daß er die Ehe aus dem Bann des Sacraments befreithat, und ſtatt der verzwickten Nichtigkeitsgruͤnde und anderer Umwege des katholiſchen Kirchenrechts die Scheidung ehrlich anerkennt. Aber dieß gehoͤrt ſchon nicht mehr zu der privat- rechtlichen Seite des Eherechts; darunter faͤllt vor Allem die gegenſeitige Stellung der Chegatten zu einander, mit beſonde- rer Beziehung auf ihr beiderſeitiges Vermoͤgen. In dieſer Hin- ſicht hat ſich nun freilich eine bedeutende Abweichung von der aͤlteren deutſchen Rechtsanſchauung geltend gemacht, ſeitdem die eheliche Voigtei des Mannes uͤber die Frau entweder ganz beſeitigt, oder doch ſehr veraͤndert worden iſt; aber daß nichts deſto weniger noch gegenwaͤrtig in dem privatrechtlichen Theile des Eherechts ein weſentlich germaniſches Element vorherrſcht, und ſich, wenn auch in ſehr verſchiedenen Formen, als eine ſelbſtaͤndige Rechtsbildung darſtellt, ergiebt auch eine oberflaͤch- liche Vergleichung der heutigen Zuſtaͤnde mit den Satzungen des roͤmiſchen Rechts. — Ebenſo verhaͤlt es ſich mit der Stel- lung der Eltern und der ehelichen Kinder. Ich denke hier- bei nicht bloß an die mittelbare Einwirkung, welche die ehe- liche Guͤtergemeinſchaft und die damit in Verbindung ſtehen- den Inſtitute auch auf das Recht der Kinder ausuͤben, ſon- dern namentlich auch an die gegenwaͤrtige Geſtaltung der vaͤ- terlichen Gewalt. Es iſt freilich nicht richtig, wenn man die- ſer eine ſelbſtandige muͤtterliche Gewalt gegenuͤber ſtellt, da das, was man damit bezeichnen will, mehr in der Sitte wur- zelt, als ſich zum beſtimmten Rechtsbegriff ausgebildet hat. Auch will ich nicht behaupten, daß die Gewalt des deutſchen Hausvaters uͤber ſeine Kinder ihrem Umfange nach beſchraͤnk- ter geweſen ſey, als es nach dem ſpaͤteren roͤmiſchen Rechte der Fall iſt; denn wenn ſo etwas heut zu Tage zuweilen be- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0154" n="142"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fuͤnftes Kapitel</hi>.</fw><lb/> ſen, daß er die Ehe aus dem Bann des Sacraments befreit<lb/> hat, und ſtatt der verzwickten Nichtigkeitsgruͤnde und anderer<lb/> Umwege des katholiſchen Kirchenrechts die Scheidung ehrlich<lb/> anerkennt. 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Fuͤnftes Kapitel.
ſen, daß er die Ehe aus dem Bann des Sacraments befreit
hat, und ſtatt der verzwickten Nichtigkeitsgruͤnde und anderer
Umwege des katholiſchen Kirchenrechts die Scheidung ehrlich
anerkennt. Aber dieß gehoͤrt ſchon nicht mehr zu der privat-
rechtlichen Seite des Eherechts; darunter faͤllt vor Allem die
gegenſeitige Stellung der Chegatten zu einander, mit beſonde-
rer Beziehung auf ihr beiderſeitiges Vermoͤgen. In dieſer Hin-
ſicht hat ſich nun freilich eine bedeutende Abweichung von der
aͤlteren deutſchen Rechtsanſchauung geltend gemacht, ſeitdem die
eheliche Voigtei des Mannes uͤber die Frau entweder ganz
beſeitigt, oder doch ſehr veraͤndert worden iſt; aber daß nichts
deſto weniger noch gegenwaͤrtig in dem privatrechtlichen Theile
des Eherechts ein weſentlich germaniſches Element vorherrſcht,
und ſich, wenn auch in ſehr verſchiedenen Formen, als eine
ſelbſtaͤndige Rechtsbildung darſtellt, ergiebt auch eine oberflaͤch-
liche Vergleichung der heutigen Zuſtaͤnde mit den Satzungen
des roͤmiſchen Rechts. — Ebenſo verhaͤlt es ſich mit der Stel-
lung der Eltern und der ehelichen Kinder. Ich denke hier-
bei nicht bloß an die mittelbare Einwirkung, welche die ehe-
liche Guͤtergemeinſchaft und die damit in Verbindung ſtehen-
den Inſtitute auch auf das Recht der Kinder ausuͤben, ſon-
dern namentlich auch an die gegenwaͤrtige Geſtaltung der vaͤ-
terlichen Gewalt. Es iſt freilich nicht richtig, wenn man die-
ſer eine ſelbſtandige muͤtterliche Gewalt gegenuͤber ſtellt, da
das, was man damit bezeichnen will, mehr in der Sitte wur-
zelt, als ſich zum beſtimmten Rechtsbegriff ausgebildet hat.
Auch will ich nicht behaupten, daß die Gewalt des deutſchen
Hausvaters uͤber ſeine Kinder ihrem Umfange nach beſchraͤnk-
ter geweſen ſey, als es nach dem ſpaͤteren roͤmiſchen Rechte
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