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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Art. VIII-X.

I. Die Verbrechen. Ein solches soll nur dann angenommen
werden, wenn eine Handlung vorliegt, auf welche eine Freiheitsstrafe
von mehr als fünf Jahren gesetzt ist. Diese Bestimmung, welche der
des §. 1. Abs. 1. des Strafgesetzbuchs entspricht, gilt jedoch nur in
Beziehung auf die Zuständigkeit der Schwurgerichte; die Auferlegung
der gewöhnlichen Strafe des Verbrechens, nämlich der Zuchthausstrafe,
ist noch an andere Bedingungen geknüpft, welche in Art. IX. Abs. 1.
angegeben sind.

In Betreff dieser letzteren Bestimmung wurde in der Kommission
der ersten Kammer eine Dunkelheit gerügt. "Nach der wörtlichen Fas-
sung," heißt es in dem Bericht, "könne man dieselbe dahin auslegen,
daß Zuchthausstrafe im Sinne des neueren Gesetzes nur bei solchen
Handlungen eintreten solle, welche

a. in dem älteren Gesetze nicht blos mit einer in ihrem Maximum
das Maaß von fünf Jahren überschreitenden Freiheitsstrafe,
sondern auch

b. ausschließlich mit Zuchthaus-, Arbeits- oder Festungsstrafe p)
(mithin nicht daneben mit Gefängniß) bedroht sind,
daß jedoch dann, ohne Rücksicht auf das geringere, in dem älteren
Gesetz ausgesprochenen Minimum nicht unter zwei Jahren erkannt
werden solle."

Die Kommission war jedoch einstimmig der Ansicht, daß dieses
nicht die Absicht des Gesetzes sei, daß dasselbe vielmehr dem Richter die
Befugniß, auf das Minimum des älteren Gesetzes, mithin, wenn das-
selbe eine geringere Dauer ergebe, auch unter zwei Jahren zu erkennen,
keineswegs entziehen wolle, und nur eine dritte, zur Anwendung der
Zuchthausstrafe erforderliche Bedingung dahin aufstelle, daß dieselbe

c. nur dann eintreten dürfe, wenn der Richter ein Strafmaaß
von wenigstens zwei Jahren angemessen halte.

Die Kommission beruhigte sich auch, namentlich mit Rücksicht auf
den ersten Satz des zweiten Absatzes, bei der ihr vorgelegten Fassung,
deren Sinn die Kommission der zweiten Kammer nach der so eben an-
geführten Auslegung für unzweifelhaft gehalten hatte.

II. Als Vergehen sollen diejenigen Handlungen betrachtet wer-
den, welche mit einer Freiheitsstrafe von sechs Wochen bis zu fünf
Jahren oder mit einer Geldbuße von mehr als 50. Thalern bedroht
sind. Doch soll, ohne Rücksicht auf dieses Strafmaaß, stets ein Ver-
gehen angenommen werden und also die Zuständigkeit des Einzelrichters

p) S. oben S. 83.
Art. VIII-X.

I. Die Verbrechen. Ein ſolches ſoll nur dann angenommen
werden, wenn eine Handlung vorliegt, auf welche eine Freiheitsſtrafe
von mehr als fünf Jahren geſetzt iſt. Dieſe Beſtimmung, welche der
des §. 1. Abſ. 1. des Strafgeſetzbuchs entſpricht, gilt jedoch nur in
Beziehung auf die Zuſtändigkeit der Schwurgerichte; die Auferlegung
der gewöhnlichen Strafe des Verbrechens, nämlich der Zuchthausſtrafe,
iſt noch an andere Bedingungen geknüpft, welche in Art. IX. Abſ. 1.
angegeben ſind.

In Betreff dieſer letzteren Beſtimmung wurde in der Kommiſſion
der erſten Kammer eine Dunkelheit gerügt. „Nach der wörtlichen Faſ-
ſung,“ heißt es in dem Bericht, „könne man dieſelbe dahin auslegen,
daß Zuchthausſtrafe im Sinne des neueren Geſetzes nur bei ſolchen
Handlungen eintreten ſolle, welche

a. in dem älteren Geſetze nicht blos mit einer in ihrem Maximum
das Maaß von fünf Jahren überſchreitenden Freiheitsſtrafe,
ſondern auch

b. ausſchließlich mit Zuchthaus-, Arbeits- oder Feſtungsſtrafe p)
(mithin nicht daneben mit Gefängniß) bedroht ſind,
daß jedoch dann, ohne Rückſicht auf das geringere, in dem älteren
Geſetz ausgeſprochenen Minimum nicht unter zwei Jahren erkannt
werden ſolle.“

Die Kommiſſion war jedoch einſtimmig der Anſicht, daß dieſes
nicht die Abſicht des Geſetzes ſei, daß daſſelbe vielmehr dem Richter die
Befugniß, auf das Minimum des älteren Geſetzes, mithin, wenn das-
ſelbe eine geringere Dauer ergebe, auch unter zwei Jahren zu erkennen,
keineswegs entziehen wolle, und nur eine dritte, zur Anwendung der
Zuchthausſtrafe erforderliche Bedingung dahin aufſtelle, daß dieſelbe

c. nur dann eintreten dürfe, wenn der Richter ein Strafmaaß
von wenigſtens zwei Jahren angemeſſen halte.

Die Kommiſſion beruhigte ſich auch, namentlich mit Rückſicht auf
den erſten Satz des zweiten Abſatzes, bei der ihr vorgelegten Faſſung,
deren Sinn die Kommiſſion der zweiten Kammer nach der ſo eben an-
geführten Auslegung für unzweifelhaft gehalten hatte.

II. Als Vergehen ſollen diejenigen Handlungen betrachtet wer-
den, welche mit einer Freiheitsſtrafe von ſechs Wochen bis zu fünf
Jahren oder mit einer Geldbuße von mehr als 50. Thalern bedroht
ſind. Doch ſoll, ohne Rückſicht auf dieſes Strafmaaß, ſtets ein Ver-
gehen angenommen werden und alſo die Zuſtändigkeit des Einzelrichters

p) S. oben S. 83.
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[611/0621] Art. VIII-X. I. Die Verbrechen. Ein ſolches ſoll nur dann angenommen werden, wenn eine Handlung vorliegt, auf welche eine Freiheitsſtrafe von mehr als fünf Jahren geſetzt iſt. Dieſe Beſtimmung, welche der des §. 1. Abſ. 1. des Strafgeſetzbuchs entſpricht, gilt jedoch nur in Beziehung auf die Zuſtändigkeit der Schwurgerichte; die Auferlegung der gewöhnlichen Strafe des Verbrechens, nämlich der Zuchthausſtrafe, iſt noch an andere Bedingungen geknüpft, welche in Art. IX. Abſ. 1. angegeben ſind. In Betreff dieſer letzteren Beſtimmung wurde in der Kommiſſion der erſten Kammer eine Dunkelheit gerügt. „Nach der wörtlichen Faſ- ſung,“ heißt es in dem Bericht, „könne man dieſelbe dahin auslegen, daß Zuchthausſtrafe im Sinne des neueren Geſetzes nur bei ſolchen Handlungen eintreten ſolle, welche a. in dem älteren Geſetze nicht blos mit einer in ihrem Maximum das Maaß von fünf Jahren überſchreitenden Freiheitsſtrafe, ſondern auch b. ausſchließlich mit Zuchthaus-, Arbeits- oder Feſtungsſtrafe p) (mithin nicht daneben mit Gefängniß) bedroht ſind, daß jedoch dann, ohne Rückſicht auf das geringere, in dem älteren Geſetz ausgeſprochenen Minimum nicht unter zwei Jahren erkannt werden ſolle.“ Die Kommiſſion war jedoch einſtimmig der Anſicht, daß dieſes nicht die Abſicht des Geſetzes ſei, daß daſſelbe vielmehr dem Richter die Befugniß, auf das Minimum des älteren Geſetzes, mithin, wenn das- ſelbe eine geringere Dauer ergebe, auch unter zwei Jahren zu erkennen, keineswegs entziehen wolle, und nur eine dritte, zur Anwendung der Zuchthausſtrafe erforderliche Bedingung dahin aufſtelle, daß dieſelbe c. nur dann eintreten dürfe, wenn der Richter ein Strafmaaß von wenigſtens zwei Jahren angemeſſen halte. Die Kommiſſion beruhigte ſich auch, namentlich mit Rückſicht auf den erſten Satz des zweiten Abſatzes, bei der ihr vorgelegten Faſſung, deren Sinn die Kommiſſion der zweiten Kammer nach der ſo eben an- geführten Auslegung für unzweifelhaft gehalten hatte. II. Als Vergehen ſollen diejenigen Handlungen betrachtet wer- den, welche mit einer Freiheitsſtrafe von ſechs Wochen bis zu fünf Jahren oder mit einer Geldbuße von mehr als 50. Thalern bedroht ſind. Doch ſoll, ohne Rückſicht auf dieſes Strafmaaß, ſtets ein Ver- gehen angenommen werden und alſo die Zuſtändigkeit des Einzelrichters p) S. oben S. 83.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/621>, abgerufen am 24.11.2024.